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Games «Global Game Jam»: 1 Motto + 2 Tage - Schlaf = 1 Game

In zwei Tagen ein Game fixfertig entwickeln – das ist die Idee des «Global Game Jam». Rund um die Welt haben dieses Wochenende junge Spielentwickler wilde Ideen ausprobiert – auch in der Schweiz.

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Reportage vom «Global Game Jam» in Zürich (SRF 3)
02:56 min
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In einer geräumigen Halle der Roten Fabrik in Zürich sind einige Tische aneinandergereiht. Sie sind übersät mit Notebooks, Bildschirmen, Plüschmaskottchen, halb leeren Getränkeflaschen. An den Wänden hängen Skizzen und Listen. Auf, unter und zwischen den Tischen knäueln sich Netzwerk- und Stromkabel. Im hinteren Teil des Raums liegen auf einem Tisch die schon etwas muffligen Überreste des Frühstücks.

Am späten Samstagnachmittag sitzen rund 60 meist junge Game-Entwickler an den Tischen. Angemeldet waren etwa 80 – einige gönnen sich gerade zu Hause eine Ruhepause. Die meisten arbeiten konzentriert an ihren Bildschirmen; andere stehen in kleinen Gruppen um einen Tisch und diskutieren eine Idee oder ein Problem.

Rund um die Welt Games jammen

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Reportage vom «Global Game Jam» in Zürich (SRF 2 Kultur)
03:40 min
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Der «Global Game Jam» ist nicht nur dem Namen nach eine globale Veranstaltung: Dieses Jahr haben über 23'000 Spielentwickler teilgenommen, in 72 Ländern. Und nicht nur in Europa und Amerika, sondern beispielsweise auch in Nigeria oder Pakistan. In der Schweiz wurden zwei Jams organisiert, in Zürich und in der Nähe von Vevey.

Abstraktes Thema als Aufgabe

Alle Jams rund um die Welt finden mehr oder weniger gleichzeitig statt – und alle beginnen damit, dass das diesjährige Thema vorgestellt wird.

Nach dem Bild der Schlange Ouroboros vor zwei Jahren und dem Klang eines Herzschlages letztes Jahr wählten die Organisatoren dieses Jahr einen abstrakten Satz:

We don't see things as THEY are, we see them as WE are.

Für die Anfänger im Saal, die an einem Workshop einige Grundlagen vermittelt bekommen, mag der philosophische Gedanke zu Wahrnehmung und Identität eine schwierige Herausforderung sein – etwas Konkreteres würde die Konzeptarbeit vereinfachen. Doch für die schon erfahrenen Spielentwickler ist der Satz ein guter Ausgangspunkt für kreative Ideen.

Nach dem Jam die Show

Box aufklappen Box zuklappen

An der «Global Game Night» werden alle am Jam entstandenen Spiele vorgestellt – am 7. Februar 2013, 20:00 Uhr, Rote Fabrik, Zürich.

Weil das Motto vor dem Beginn des Jams geheim gehalten wird, können sich die Entwickler kaum vorbereiten. Ausserdem würden sie ermuntert, alleine zu kommen, meint Dragica Kahlina, die den «Game Jam» in Zürich mitorganisiert. Es sei einer der Reize der Veranstaltung, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die man vorher nicht oder nur flüchtig kannte. Um so nicht nur neue Beziehungen in der kleinen Schweizer Game-Design-Szene zu knüpfen, sondern auch neue kreative Anstösse zu erhalten.

Spontane Teambildung

So bilden sich die Teams dann spontan: Zwei bis etwa sechs Personen finden sich, abhängig davon, wer was kann und wer an welchen Ideen Gefallen findet. Während Grafiker und Programmierer in der Regel die ganzen zwei Tage zusammenarbeiten, können die gewöhnlich etwas untervertretenen Sound-Designer auch von Team zu Team springen.

Es sei üblich, dass sich die Teams zu viel vornehmen, sagt Dragica Kahlina. Tolle Grafik, viele Levels, komplexe Spielmechanik: Alles wollten die Teams in ihr Spiel packen – nur um dann eine Stunde vor Schluss zu merken, dass das Spiel vor lauter Fehlern nicht spielbar sei.

Teilnehmer Jeremy Spillmann («Born To Run») stört das nicht. Das sei der Sinn des Jams: Herzukommen und zu träumen, sich etwas Riesiges vorzunehmen – und dann halt ab Samstag die Ambitionen zurückzunehmen, das Projekt auf etwas Realistischeres zusammenzustreichen.

Roboter und Häschen

Die Taschenlampe eines Roboters erhellt einen kahlen Raum dürftig.
Legende: «Soul Glitch» Screenshot

Spillmann arbeitet in einem sechsköpfigen Team an der Idee eines Roboters, dessen Seele «glitcht» – plötzlich in eine andere Figur in Sichtweite springt. Die Spieler steuern dann diese und nicht mehr den Roboter, die eigentliche Hauptfigur des Spiels. Nach einer Weile springt die Seele und damit die Steuerung wieder zurück, oder in nochmals eine andere Figur. Aufgabe der Spieler ist es, den Roboter trotz dieses ständigen Kontrollverlusts ans Ziel zu manövrieren.

Zu Halbzeit hat das Team bereits einen funktionieren Prototypen erstellt, inklusive Verhalten der vom Computer gesteuerten Figuren. Nun gehe es vor allem darum, Grafik zu erstellen: 3D-Modelle für die Figuren oder eine ansprechende Benutzeroberfläche.

In einen Raum hineinprojizierte Wiese mit Häschen.
Legende: «Super To Aru Wagashi no Railgun DX» Screenshot

Auch das Projekt von Janina Woods («Black Island») ein paar Tische weiter ist schon im fortgeschrittenen Stadium. Hier geht es darum, einen Hasen herumhoppeln und Nahrung einsammeln zu lassen, dabei Hindernissen auszuweichen und sich zu vermehren. Woods interpretiert das Thema des Jams – wie wir Realität wahrnehmen – indem sie auf «Augmented Reality» setzt: Das Spiel nutzt die Kamera eines Smartphones oder Tablets. Die Kamera filmt ein zuvor ausgedrucktes Bild, das auf einen Tisch gelegt wird. Auf dem Bildschirm wird nun statt dieser Vorlage aber die virtuelle Welt mit Hasen angezeigt, gewissermassen in die reale Welt hineinprojiziert.

Nicht alle Projekte werden bis am Sonntag Nachmittag fertig – und nicht alle Spiele werden wirklich unterhalten. Doch darum geht es nicht. Wie in einer Jazz-Jam-Session sollen Spielentwickler aufeinandertreffen, die sich noch nicht kannten. Sich spontan auf etwas einlassen, das vielleicht ausserhalb ihrer Komfortzone liegt. Und sie können sich an abstruse Ideen wagen, für die sonst wohl niemand Zeit oder Geld riskieren würde.

Und ab und zu entsteht so auch ein Spiel, dass später verfeinert und kommerziell veröffentlicht wird. «Surgeon Simulator 2013» ist so ein Beispiel: Entstanden am letztjährigen «Game Jam», wurde das Spiel später in einer überarbeiteten Version veröffentlicht und erhielt für seinen grotesken Humor durchwegs gute Kritiken.

Als ich den Saal wieder verlasse, gönnt sich ein erschöpfter Spielentwickler auf einer Luftmatratze gerade ein Nickerchen. Vielleicht träumt er von begeisterten Kritiken und Independent-Preisen – oder einfach davon, am Sonntag fertig zu werden.

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