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Games Review: «Icycle: On Thin Ice»

Der seltsame Brite Reece «Damp Gnat» Millidge schafft mit feinem Humor surreale Welten. Jetzt ist sein Web-Spiel «Icycle» in einer überarbeiteten Version für iOS erschienen.

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Der Game-Tipp zu «Icycle: On Thin Ice» (SRF 3)
05:28 min
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 28 Sekunden.

Wenn Reece Millidge etwas macht, schaue ich hin. Als sein Web-Spiel «Icycle» 2009 erschien, waren wir hier in der Digital-Redaktion begeistert. Auch das wirre Minigolf-Spiel «Wonderputt» fanden wir toll. Jetzt hat «Damp Gnat», wie sich Millidge nennt, das alte «Icycle» hervorgeholt und komplett für iOS überarbeitet – die Level völlig neu gestaltet und das Spielprinzip erweitert. Die Original-Version ist ausserdem inbegriffen, sie kann freigespielt werden.

Dennis allein im Eis

Die Hauptfigur ist Dennis: Ein Mann, der nackt auf einem viel zu kleinen Velo sitzt und schlottert. Er radelt durch eine einsame, wunderschön eingefrorene Welt voller spitziger Eiszapfen oder einstürzender Höhlen. Das Sounddesign ist grossartig: Das Eis klirrt und knackt, der Wind heult, das Velo quietscht, Dennis stöhnt oder ruft unsicher «Hello?» in die Stille.

Was will man mehr! Ein nackter Mann auf einem kleinen Velo im Eis! Wir haben ständig Angst um sein Gemächt – selten wächst uns eine Spielfigur so schnell ans Herz.

Der Schneefrau ist der Kopf abgefallen.
Legende: Die Schneefrau weiss nicht mehr, wo ihr der Kopf steht. Screenshot

Während es in der Original-Version lediglich darum ging, einer mysteriösen Spur eingefrorener Blasen zu folgen, ist nun die Mechanik etwas komplexer. Wir sammeln Eiskristalle auf, die wir einsetzen können, um andere Gefährte zu kaufen oder dem armen Dennis wenigstens einen Pulli überzustreifen.

Ebenso können wir das Eis einsetzen, um in einem Level nach mehreren Unfällen an der selben Stelle weitermachen zu können statt von vorn beginnen zu müssen. Und wir können die Fähigkeiten von Dennis etwas verbessern: Mit einem stärkeren Staubsauger sammelt er Eiskristalle in einem etwas grösseren Radius ein. Und grössere Regenschirme halten ihn beim Springen länger in der Luft.

Eiskristalle und Herausforderungen

Sehen wir einen Level zum ersten Mal, geht es lediglich darum, heil durchzukommen. Danach fordert uns das Spiel heraus. Beispielsweise will es, dass wir den Level schaffen, ohne den Regenschirm zu benutzen. Oder mit möglichst wenigen Sprüngen. Oder wir sollen einen versteckten Gegenstand finden.

Dennis radelt durch eine schwebende Stadt mit Äpfeln und Fischen.
Legende: Ceci n'est pas une pipe! Screenshot

Die Welt, in die uns Reece Millidge entführt, ist schlicht atemberaubend schön gezeichnet. Höhlen, in denen Kristalle wachsen. Versunkene Städte, die um uns zerbröckeln. Der Bauch eines Riesenviechs. Schwebende Häuser und Äpfel wie bei René Magritte, inklusive Fisch auf Velo. Und Schützengräben und Bomben aus dem Kalten Krieg. Alles, was Millidge irgendwie mit kalt assoziiert, fügt sich auf wundersame und humorvolle Weise zusammen. Wir kommen aus dem Staunen und Schmunzeln nicht heraus.

Aber. Es bricht mir das Herz, aber jetzt kommt das Aber.

Schlechte Steuerung

Die Steuerung ist schlecht. Sie ist ein Schulbeispiel dafür, wie man es nicht machen soll. Am PC spielte man das Original mit der Tastatur: Pfeil nach rechts um zu pedalen und Leertaste zum springen. Das war einfach und präzise. In der iOS-Version kann man nun nicht nur vorwärts, sondern auch rückwärts fahren. Am unteren Bildschirmrand gibt es also drei Felder, die virtuelle Tasten bilden: Links- und Rechts-Pfeile auf der einen Seite, Springen auf der anderen.

Abgehalftertes Rotlichtviertel und Autowracks.
Legende: Die Kälte urbanen Zerfalls. Screenshot

Das ist natürlich die einfachste Art, wie man eine Steuerung umsetzen kann. Aber es ist auch die schlechteste. Denn im Gegensatz zu einer richtigen Tastatur merke ich auf dem Touchscreen nicht, ob ich mit dem Finger auf einer Taste bin oder nicht. Und ich merke nicht, ob ich sie gedrückt habe oder nicht. Weil die virtuellen Tasten ausserdem recht klein sind, passiert es einfach zu oft, dass wir daneben fingern und Dennis aufgespiesst auf einem Eiszapfen endet.

Damit geht jedes Vertrauen und Gefühl für Präzision verloren. Ich habe Dennis nicht mehr unter Kontrolle, und ich fühle mich ungerecht behandelt. Besonders später im Spiel werden einige Level sehr knifflig und verlangen eine Präzision, welche die Steuerung schlicht nicht erlaubt. Das frustriert unnötig.

Denn es wäre nicht so schwierig gewesen. Die immer exzellenten Steuerungs-Systeme meines Lieblings-Schaf-Hippies Jeff Minter («Minotaur Rescue», «Deflex», «Goat Up») hätten als Vorbild dienen können. Man hätte den Bildschirm unsichtbar zweiteilen sollen. Irgendwo auf der einen Seite gedrückt ist ein Sprung. Auf der anderen Hälfte drücken und nach links oder rechts ziehen könnte das Velo entsprechend beschleunigen. Klar, das würde sich anfühlen, als ziehe man an einem Gummiband. Doch weil das Velo ohnehin recht träge beschleunigt, hätte das gerade besser gepasst als eine Taste, die Präzision suggeriert.

Nun sag, wie hast du's mit der Bewegung?

Dennis küsst einen riesigen Fisch.
Legende: Das hatte sich Dennis schöner vorgestellt. Screenshot

So hat mich «Icycle: On Thin Ice» etwas enttäuscht. Ich war sicher, dass Reece Millidge etwas Tolles gestalten würde, und dieses Versprechen hat er mehr als erfüllt – die surreale Welt von «Icycle: On Thin Ice» ist etwas Besonderes. Mit einer besseren Steuerung hätte ich wohl gejubelt. So hingegen duldete ich das Spiel nur in kurzen Schüben: Gerade so lange, wie das Staunen den Frust überstrahlte.

Als einer, der ausserordentlich viel Wert auf ein gutes Gefühl beim Bewegen der Spielfigur legt, kann es sein, dass für mich die Steuerung mehr ins Gewicht fällt als für andere. Solltet ihr diesbezüglich toleranter sein, lege ich euch «Icycle: On Thin Ice» kältestens ans Herz. Und auch ich bin froh, trotzdem gespielt zu haben – weil hey, nackter Mann auf kleinem Velo im Eis!

«Icycle: On Thin Ice» ist im App Store für iOS. Die ältere Online-Version ist hier spielbar. Das Haikiew ist hier.

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