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Zurich Film Festival «The Cleaners»: Diese Billigarbeiter löschen Folter, Sex und Mord

Billigarbeiter säubern soziale Netzwerke von schockierenden Bildern. Der Dok-Film «The Cleaners» gibt ihnen ein Gesicht.

«Löschen, ignorieren, ignorieren, löschen, löschen». So in etwa klingt der innere Monolog eines der Protagonisten im Dokumentarfilm «The Cleaners», der am Zürich Film Festival zu sehen ist. Der Film zeigt fünf ehemalige Content-Moderatorinnen und -Moderatoren. Sie erzählen, wie sie sich jeden Tag durch tausende von Einträgen in sozialen Netzwerken wühlten und entscheiden mussten, was dort zu sehen ist und was nicht.

The Cleaners

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Legende: Gebrueder Beetz Filmproduktion

Der Dokumentarfilm «The Cleaners» ist der Debutfilm der Theaterregisseure Hans Block und Moritz Riesewieck. Erst nach monatelanger Recherche konnten sie den Kontakt zu den fünf Content-Moderatorinnen und Moderatoren aufnehmen, die im Film gezeigt werden.

«The Cleaners» war bereits am Sundance Film Festival, dem International Film Festivial Rotterdam oder dem Münchner Dokfest zu sehen und wurde im Fernsehen unter anderem bei Arte gezeigt. Am Zürich Film Festival läuft er im Rahmen der Reihe «Big Data» am Donnerstag, 4. Oktober um 18:45 Uhr im Kino Arthouse Picadilly.

Bis zu 25'000 solcher Entscheidungen habe er am Tag gefällt, sagt einer von ihnen. Für einen Lohn von drei Dollar am Tag. Denn Firmen wie Google, Facebook oder Twitter lagern solche Arbeiten gerne in an exerne Firmen in Ländern der Peripherie aus. Die Philippinen sind ein beliebter Ort, weil dort die Englischkenntnisse der Arbeiterinnen und Arbeiter gut und die Löhne tief sind. Manila sei so zu einer Art Welthauptstadt der Filter-Dienste geworden, schreibt der «Der Spiegel».

Eine Frau sitzt vor einem Computerbildschirm.
Legende: Die Content-Moderatoren in Manila müssen in Zahn-Stunden-Schichten täglich bis zu 25'000 Inhalte überprüfen. Damit verdienen sie rund drei Dollar am Tag. Gebrueder Beetz Filmproduktion

Keine psychologische Betreuung

«Es ist eine unerträgliche Arbeit», sagt eine der Moderatorinnen im Film «The Cleaners». Bilder, die sie zu sehen bekam, zeigten Sex, Gewalt, Verstümmelungen, Folter, Tod. Nicht alle können damit gleich gut umgehen. Der Film nennt das Beispiel eines Arbeiters, den der Job in den Suizid trieb. In einer anderen Szene, die im Vergleich dazu unfreiwillig komisch anmutet, erzählt eine der Frauen, wie sie noch im Traum von all den Penis-Bildern verfolgt wurde, die sie bei ihrer Arbeit sehen musste.

Audio
Posttraumatische Belastungsstörung wegen Facebook-Inhalten
aus Audio Aktuell SRF 4 News vom 01.10.2018. Bild: Gebrueder Beetz Filmproduktion
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 11 Sekunden.

Eben erst hat in den USA eine ehemalige Content-Moderatorin Facebook verklagt, weil sie wegen ihrer Arbeit eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten habe. Facebook räumte in einer Stellungnahme ein, die Arbeit sei zwar oft schwierig. Die Mitarbeiter erhielten aber spezielle Training und psychologische Hilfe. Solche Ressourcen würden auch von Partnerfirmen verlangt. «The Cleaners» zeigt, dass zumindest den Angestellten auf den Philippinen keine solchen Mittel zur Verfügung stehen.

Es fehlt an Wissen

Der Dokumentarfilm macht klar, wie schwammig die Vorgaben sind, aufgrund derer die Moderatorinnen und Moderatoren ihre Entscheide häufig fällen müssen. Nach nur drei bis fünf Tagen Training sollen sie sich an den Richtlinien der auftraggebenden Technologiefirmen orientieren. Doch bei vielen Inhalten fehlt das nötige Hintergrundwissen.

Eine Frau steht vor einen Fenster, vor ihr ist die nächtliche Skyline einer Grossstadt zu sehen.
Legende: Die philippinische Hauptstadt Manila ist zu einer Art Welthauptstadt der Filter-Dienste geworden. Gebrueder Beetz Filmproduktion

So ist zu sehen, wie ein Moderator einen amerikanischen Soldaten, der einen Insassen des Abu-Ghraib-Gefängnisses mit einem bellenden Hund drangsaliert, für einen Kämpfer der Terrormiliz Isis hält. Auch politische Karikaturen von Donald Trump oder Recep Tayyip Erdoğan werden bloss als herabwürdigende Zeichnungen von alten Männern gesehen und deswegen gelöscht.

Dem Problem ein Gesicht gegeben

Facebook, Google, Twitter und Co. unternehmen viel, um die Arbeit der Content-Moderatoren geheim zu halten. So mussten alle der portraitierten Moderatoren bei ihren ehemaligen Arbeitgebern eine Schweigeerklärung unterzeichnen und ihre Trainingshandbücher kurz nach der Einstellung wieder abgeben. Die Frauen und Männer sind im Film nur zu sehen, weil sie ihre Stelle inzwischen gekündigt haben.

Die Silhouetten von zwei Menschen zeichnen sich vor einem grünen Hintergrund ab.
Legende: Internetfirmen wie Facebook, Google oder Twitter versuchen die Arbeit der Content-Moderatoren möglichst geheim zu halten. Den bei Drittfirmen angestellten Arbeiterinnen und Arbeiter ist vertraglich verboten, über ihren Job zu sprechen. Gebrueder Beetz Filmproduktion

Trotz dieser Massnahmen wurden über die Jahre immer wieder Details über die Arbeitsbedingungen bei solchen Drittfirmen in Billiglohnländern bekannt. Wer sich mit dem Thema schon länger beschäftigt, erfährt mit «The Cleaners» deshalb kaum Neues. Doch dank des Films bekommen die Moderatorinnen und Moderatoren zum ersten Mal ein Gesicht. Die Schilderungen der Arbeitsbedingungen gehen einem dabei besonders nahe.

Das Schlechteste im Menschen hervorbringen

Eine der interessantesten Bemerkungen macht gegen Ende des Films Tristan Harris, der für drei Jahre als «Design Ethicist» so etwas wie das moralische Gewissen bei Google war. Er gibt zu bedenken, dass Technologie nicht neutral sei, sondern stets ein Ziel verfolge. Im Fall der sozialen Netzwerke sei es, die Aufmerksamkeit von möglichst vielen Leuten zu ergattern. Und das sei am einfachsten mit Inhalten möglich, die polarisieren und für Empörung sorgen.

Harris meint, wer mit Blick auf die verstörenden Bilder die Konzerne hinter den sozialen Netzwerken aus der Veranwtortung entlasse, mit der Begründung, die Inhalte würden ja von Nutzern hochgeladen, der verkenne, dass es in der Natur dieser Netzwerke liege, das Schlechteste im Menschen hervorzubringen, um die nötige Aufmerksamkeit zu generieren.

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Legende: SRF

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