Ich war noch selten so verwirrt in einem Spiel wie in «Killer Is Dead». Das ist volle Absicht: Das Spiel ist eine Grenzerfahrung. Als läge man mit hohem Fieber im Bett, unter dem Einfluss harter Drogen.
Zumindest die Rahmenhandlung lässt sich nachvollziehen: Unsere Spielfigur Mondo ist ein Auftragsmörder. Für eine seltsame Agentur arbeitet er und erfüllt Aufträge von Kunden, die grosses Leid erfahren haben und sich an ihrem Peiniger rächen wollen. Deshalb sagt Mondo jeweils: «The job: (streicht seine Haare zurück) Killer is dead.» Und meint wohl, dass er Mörder ermordet; moralische Rechtfertigung und knackiges Motto zugleich.
Tausend-Stock-Wolkenkratzer und Loki-Monster
Doch wer nun denkt: «Ah, Krimi, Thriller!», ist schon falsch abgebogen. So kommt eine Komponistin zu uns. Ein Mann namens Victor hat ihr die Ohren gestohlen. Nun sitzt er zuoberst in einem tausendstöckigen Wolkenkratzer, wo er mit Hilfe dieser Ohren und angeschlossen an ein riesiges violettes Hirn böse Musik über die Welt aussenden will, um die Menschen böse zu machen.
Oder eine Lokomotive namens Tommy sollte abgewrackt werden. Das missfällt ihr, worauf sie durchdreht und als wildgewordenes Zugmonster durch Sibirien rast. Dort sollen wir sie exekutieren, bevor sie Moskau überfährt, indem wir ihr im Kesselraum riesige Schlangenaugen abschlagen. Nachdem wir uns Waggon für Waggon durch Horden sogenannter «Wires» gekämpft haben – Wesen vom Mond in Rüstungen wie der verchromte feuchte Traum eines Sadomaso-Afficionados, die in violetten Gas-Explosionen sterben.
Oder ein Oberbösewicht namens David, der auf dem Mond in einem Palast lebt, weshalb der Mond von einem violetten Schleier aus bösem Dunst überzogen ist. David trägt einen güldenen Pharaonenhut und einen String-Slip, der ein wenig an die berühmte Badehose von Borat erinnert, aber aus Gold geschmiedet und kunstvoll verziert ist, ohne allerdings mehr Hintern zu bedecken. Und irgendwie hat dieser David wohl etwas mit dem Tod der Mutter zu tun. Aber wir wissen nicht, ob wir das nur träumen oder ob eine böse Zauberin namens Dolly mit silberner Kanye-West-Brille und Rotkäppchen-Umhang uns diese Erinnerungen nur einflüstert.
Irgendwo zwischen Traum und Wachzustand
Nie ist uns vollständig klar, wer da für wen weswegen gegen wen kämpft. Ob wir träumen oder wach sind. Ob wir in einer Erinnerung stecken oder in der Gegenwart. Wer tot ist, wer lebt, wer Geist ist, wer nicht. Mondo hat zwar einen Metallarm, den er mit verschiedenen Waffen bestücken kann, ist also Cyborg. Doch dieser mechanische Arm namens «Musselback» ist auch magisch: Nach jedem erfolgreichen Auftrag saugt er den violetten Dampf des ermordeten Mörders auf, sozusagen die Essenz des Bösen, ähnlich wie damals Christopher Lambert in « Highlander ».
Musselback klingt wie Nickelback. Kanadischen Klo-Rock hört man im Spiel aber nie. Stattdessen sanft geklimperten Pianobar-Jazz. Nichts sagt lauter «Action!» als sanft geklimperter Pianobar-Jazz.
«Killer Is Dead» ist ein Autoren-Spiel. Es trägt die deutlich erkennbare Handschrift von Goichi Suda , genannt Suda51. Nach «Killer7», «No More Heroes» und «Lollipop Chainsaw» verstört er uns erneut mit einer Geschichte um einen Mörder, düster und voller Gewalt. In einem Look, der wie Anime aussieht, klare Linien, starke Kontraste, dunkel Schatten, extreme Kamerapositionen, viel Schwarz und Violett, mehr angedeutet als ausgestaltet.
Die Handschrift von Suda51
Neben der Manga-Ästhetik bezieht sich «Killer Is Dead» aber auch sonst auf japanische Erzähltradition. In diesem Lichte betrachtet ist das Spiel zwar noch immer total verrückt, aber nicht mehr ganz so unverständlich.
So ist in vielen japanischen Geschichten keine klare Trennung zwischen Science Fiction und Fantasy auszumachen. Gegenstände haben Seelen, können von Geistern oder Dämonen befallen sein. Das hat einen religiösen Hintergrund: In Buddhismus oder Shintoismus ist alles beseelt, es gibt keine klare Trennlinie zwischen der Welt der Menschen und jener der Geister und Dämonen. Schon das Nō-Theater aus dem 14. Jahrhundert erzählt solche Geschichten. Schwerter wie das Katana von Mondo oder eben auch moderne Maschinen und Cyborgs sind häufig beseelt oder besessen.
Japanische Erzähltradition
Ebenfalls im Nō mit seinen Masken und strengen Rollenvorgaben verankert kann man die holzschnittartigen Figuren sehen. Wir haben es hier nicht mit individuell und naturalistisch ausgestalteten Figuren zu tun, sondern mit Archetypen, Platzhaltern, Vorlagen. Damit lässt sich auch begründen, warum das Spiel stellenweise ohne jede Scham der brutalen Gewalt oder dem offensichtlichen Sexismus frönt. Nicht irdische Geschichten werden hier erzählt, sondern Sagen, die sich hemmungslos und manchmal auch direkt in die Kamera zwinkernd Klischees bedienen.
Und schliesslich bleibt in der japanischen Sprache und Umgangsform oft vieles unausgesprochen, nur zwischen den Zeilen angedeutet. Es ist deshalb kein Wunder, wenn auf dieser Grundlage Geschichten entstehen, die vieles nur mit Symbolen andeuten und Raum für eigene Interpretationen lassen.
Grenzerfahrung
«Killer Is Dead» trennt nicht zwischen Fantasy und Science Fiction; Magie und Technologie sind stattdessen eng verwoben. So wie sich in diesem mystischen Weltbild das Verstehen der Welt dem Zugriff der Wissenschaft entziehen soll, so will sich auch diese Geschichte unserem Verstehen entziehen.
Also tanzen wir mit unserem Schwert in choreografierten Kämpfen durch einen fiebrigen Drogen-Albtraum und bleiben verwirrt und erschöpft zurück. Wer in Spielen nur etwas leichtverdauliche Unterhaltung sucht, lässt wohl besser die Finger davon. Wer eine Grenzerfahrung machen und den Horizont erweitern möchte, weiss, was der Job ist (Haare zurückstreichen!): «Killer Is Dead».
«Killer Is Dead» ist für Playstation 3 und Xbox 360. Es ist ab 18. Das Haikiew ist hier.