Gestatten: Jürg Tschirren, Vogel-Experte der SRF-Digital-Redaktion (hier Beweisstücke eins und zwei ). Niemand ist also besser qualifiziert als ich, wenn es um die Besprechung eines Games wie «Aviary Attorney» geht. Darin spielen wir einen Anwalt im Paris der ausgehenden 1840er-Jahre. Ein Anwalt, notabene, der ein Falke ist.
Jayjay Falcon heisst der Vogel und er wird unterstützt von seinem grossmäuligen – pardon: grossschnabligen Assistenten namens Sparrowson. Der wiederum ist ein Spatz und hat ein ebensolches Hirn. So passt er gut zu seinem Compagnon Falcon, seines Zeichens auch nicht eben eine Geistesgrösse.
Unser erster Fall: Der gutbetuchte Kaufmann Monsieur Grenwee wird ermordet aufgefunden. Dame Caterline, Tochter eines Geschäftspartners von Grenwee, steht mit Blut an den Händen bei der Leiche. Alle anderen Gäste des festlichen Abendessens, an dem der Mord geschah, scheinen ein Alibi zu haben. Nun liegt es an uns, die Unschuld der Dame zu beweisen! Ach ja: Grenwee war ein Frosch, Dame Caterline ist eine grossbürgerliche Katzendame.
170 Jahre alte Grafik
Dass « Aviary Attorneys » Besetzung ausschliesslich aus anthropomorphisierten Tiergestalten besteht hat seinen guten Grund: Sketchy Logic Games, die Macher des Spiels, haben die Grafik komplett aus historischen Zeichnungen zusammengestellt, die sich in der Public Domain befinden – also kostenlos genutzt werden dürfen.
So sind sämtliche Figuren den « Scènes de la vie privée et publique des animaux » entnommen, die der französische Karikaturist Grandville Anfang der 1840er-Jahre illustriert hat.
Sketchy Logic haben Grandvilles Karikaturen teilweise animiert, so dass unsere Vögel nun mit den Schnäbeln klappern und die Katzendame ihre Augen verdreht. Zusammen mit der Musik des Komponisten Camille Saint-Saëns , die dem Game als Soundtrack dient, wird aus «Aviary Attorney» so etwas wie ein anachronistisches Gesamtkunstwerk, ein audiovisuelles Erlebnis, das kein anderes Game so bietet.
Gute Vorbereitung ist nötig
Was das Spielprinzip angeht, gibt es aber wohl Vergleichbares: Nintendos Spielserie « Ace Attorney » rund um den Star-Anwalt Phoenix Wright stand ganz offensichtlich Pate. Wie Wright müssen auch Falcon und Sparrowson im Game nach Beweismitteln suchen, um die Unschuld ihrer Mandanten zu beweisen.
Und wie bei «Ace Attorney» müssen sie in der anschliessenden Gerichtsverhandlung Zeugen befragen und im richtigen Moment das passende Beweisstück zu zücken und sie der Falschaussage zu überführen.
Allerdings: Das ist nicht immer so einfach. Denn zum Sammeln der Beweisstücke steht vor Prozessbeginn nur eine begrenzte Zahl von Tagen zur Verfügung. Und der Besuch bestimmter Schauplätze dauert im Spiel bis zu einem ganzen Tag.
Da gilt es, Prioritäten zu setzen: Welche Schauplätze müssen wir unbedingt besuchen, welchen können wir getrost links liegen lassen? Und wir müssen hoffen, dass auf dem Weg zum Gerichtstermin nichts Unvorhergesehenes unsere Pläne durcheinanderbringt.
Die Geschworenen verzeihen kaum Fehler
Denn ungenügend vorbereitet und ohne stichfeste Beweise vor Gericht zu stehen, ist eine äusserst unangenehme Erfahrung. In etwa so, als hätte man sich schlecht auf eine Schulprüfung vorbereitet.
Denn die Geschworenen verlieren schnell die Geduld mit unserem gefiederten Anwalt: Führt seine Zeugenbefragung ins Leere oder beschuldigt er zu oft den Falschen, ist seinem Mandanten die Guillotine so gut wie sicher.
Zwei Vögel im politischen Tumult
Doch «Aviary Attorney» geht auch nach einem Schuldspruch weiter. Insgesamt vier Fälle müssen wir bestreiten, die zum Durchspielen alle etwas mehr als eine Stunde dauern.
Je nachdem, wie wir vor Gericht abschneiden, ändert sich der Verlauf der Geschichte. Das Game hat drei verschiedene Endszenarien. Wer mit dem jeweiligen Ausgang nicht zufrieden ist kann danach noch einmal an die Schauplätze der Verbrechen zurückkehren, noch einmal Beweise sammeln und so hoffentlich zu einem besseren Abschluss kommen.
Detektivarbeit macht aber nur einen kleinen Teil von «Aviary Attorney» aus. Im Zentrum steht die jeweilige Gerichtsverhandlung. Und in der zweiten Hälfte des Games wird auch der historische Hintergrund immer wichtiger, als es in Frankreich wieder revolutionär zu brodeln beginnt. Da finden sich Falcon und Sparrowson plötzlich mitten drin im politischen Tumult.
Wer in diesem Jahr nur eine Gerichtssimulation spielen will…
In dieser zweiten Hälfte des Games haben wir als Spieler immer weniger zu tun. «Aviary Attorney» verwandelt sich dann in eine Art interaktiven Roman, bei dem wir vor allem durch die Auswahl vorgegebener Textantworten den Verlauf der Geschichte bestimmen.
Das heisst aber keineswegs, dass das Game damit langweilig wird: Die Dialoge zwischen den verschiedenen Tieren und nicht zuletzt zwischen Falcon und Sparrowson sind mit so viel Witz und Freude am Wortspiel geschrieben, dass alleine das Lesen der Texttafeln schon grossen Spass macht.
Also: Wer in diesem Jahr nur eine Gerichtssimulation spielen will, in der ein Vogel im Frankreich des 19. Jahrhunderts als Verteidiger auftritt, der sollte zu «Aviary Attorney» greifen. Wer für 5 bis 6 Stunden einfach ein wenig Spass mit Vögeln haben will auch. Gnihihi.
«Aviary Attorney» gibt es für Mac und PC. Man kann es direkt über die Steam-Plattform herunterladen.