Immer, wenn man eigentlich seine Weihnachtseinkäufe erledigen sollte, kommt etwas dazwischen. Etwa böse Engel, die den Kampfjet einer Flugshow kapern. Damit beginnt die Story von «Bayonetta 2». Und Engel bekämpfen, das geht für die schwarzhaarige Umbra-Hexe Bayonetta auch im eleganten weissen Abendkleid. Ohne zu zögern schwingt sie sich auf den Kampfjet und gemeinsam mit ihrer Mit-Hexe und Freundin Jeanne bodigt sie spielerisch die Armee von Engel-Zentauren.
Auch dem auftretenden Engel namens Belief macht Bayonetta den Garaus, indem sie den Dämon Gomorrah heraufbeschwört. Das wird ihr jedoch zum Verhängnis: Der höllische Dämon krallt sich Jeanne. Bayonetta kann Gomorrah zwar besiegen, doch dann muss sie sich auf die Suche nach Jeannes Seele machen, um sie ins Leben zurück zu holen.
Soweit die Handlung von «Bayonetta 2». Die ist zwar etwas verworren, aber im Zentrum des Spiels stehen ohnehin das Design, die Spielmechanik und die Figur Bayonetta selbst.
Schlagen, treten, fliegen, schiessen
Das Spiel beginnt, passend zur Figur Bayonetta, mitten in der Action, mit heranstürmenden bösen Engeln und infernalischen Dämonen, Kämpfen auf fahrenden Zügen, fliegenden Jets und auf der Spitze eines Wolkenkratzers. Und das ist erst der Prolog. Irgendwo dazwischen bekomme ich all die Kampfkombinationen erklärt, die den Kern des Spiels ausmachen: Mit Füssen und Händen schlagen, treten, schiessen, in der Luft, auf der Erde. Und wenn ich alles in richtiger Kombination und im richtigen Rhythmus drücke, gibt‘s schneller Punkte und noch schneller tote Engel.
Beim abschliessenden Gegner des ersten Levels sterbe ich noch im Dutzend, dann aber, nach den ersten zwei, drei Kapiteln sitzen die Kombos besser in den Fingern. Kämpfen war selten schöner als mit Bayonetta: die Schläge und Tritte bauen sich zu einer Kampfperformance auf, die jeden Shaolin-Mönch vor Neid erblassen liesse.
Der Kombo-Kampftanz macht mir Spass und nach zwei, drei Kapiteln kriege ich auch das wichtigste Element in Griff: Weiche ich im richtigen Moment einer Attacke aus, verlangsamt sich die Zeit zur «Witch Time», einer Zeitlupe, in der die Spielwelt blau-violett wird. Dann kann ich munter und unbescholten die himmlischen Gegner attackieren. Hier ist der Moment für die schönsten und besten Kombos.
Kurze Verschnaufpausen bringen willkommene Abwechslung zu den vielen Kämpfen. Da bleibt Zeit, Schätze zu suchen und Bayonetta damit auszurüsten, und in der Bar «The Gates of Hell» das Inventar aufzustocken. Ein bisschen ist das Spiel wie eine erweiterte Form von «Tomb Raider»: Lara Croft mit mehr Waffen, mehr Ironie, mehr Kampfkünsten und mehr Schätzen. Die versteckten Schätze sind in «Bayonetta 2» zwar etwas einfach zu finden, aber Rätsel lösen steht hier nicht im Vordergrund. Vielmehr sollen die Schätze Bayonetta zu neuen Waffen führen, besserer Gesundheit und mehr Ausrüstung.
Engel in Rokoko, Dame in knappen Schwarz
Das Design des Spiels und der Figuren finde ich hinreissend: Die himmlischen Gegner erscheinen wie aus der Rokoko-Zeit entsprungen, üppig dekoriert und mit viel Gold ausgestattet. Sie sind so vielfältig, dass ich sie gerne in Zeitlupe angesehen hätte. Die Umgebung, in der die Gegner auftreten, ist nicht minder bunt und überwältigend.
Zwar mögen die Stadtansichten etwas gar geschleckt wirken, aber kaum begibt sich das Spiel in fantastischere Welten, kennt das Leveldesign kein Halten mehr. Gerne lasse ich mich davon mitreissen, staune und geniesse die Reise: Einmal durch den Raum fliegend auf Rochen-artige Monster eindreschen? Kein Problem. Einmal auf einem Höllenpferd durch zusammenbrechende Höllenbauten rasen? Oh ja!
Rokoko und Gold passen zur Grundstimmung des Spiels: Alles ist opulent und überdreht. Bayonetta kämpft sich im enganliegenden, rückenfreien Catsuit und Flügelcape durchs Geschehen, entworfen von der Charakterdesignerin Mari Shimazaki . Und wenn Bayonetta läuft, dann liegt es nahe, dass in dieser Welt Schmetterlinge von ihren Füssen aufflattern. Steigt sie in einen Kampf, erklingt keine episch-dramatische Musik, sondern der zuckrig-süsse Pop-Song « Tomorrow is Mine ».
Die Krönung dieser überdrehten Welt sind die Kostüme, in die wir Bayonetta kleiden können: das pinke Kleid von Prinzessin Peach aus «Super Mario», Samus Arans gelbe Rüstung aus «Metroid» und Links grünes Kostüm aus «Zelda». Diese überdrehte Welt von Bayonetta war zuerst überwältigend, aber nach einer gewissen Eingewöhnungszeit war mir klar: Das ist ein stimmiges Gesamtpaket in einer in sich geschlossenen Welt – und gefällt mir.
Bayonetta: Lady Gaga der Spielheldinnen
Die überdrehte Spielwelt und die Spielfigur Bayonetta erinnert mich deshalb stark an Lady Gaga: Alles ist inszeniert, nichts ist dem Zufall überlassen und wenn etwas schon genug wäre, gibt’s noch einen obendrauf. Für Bayonetta ist deshalb die Pose der Normalzustand – kein einziges Mal im Spiel habe ich das Gefühl, dass sich Bayonetta irgendwie zufällig bewegt. Selbst wenn sie steht, wirft sie sich in Pose. Wenn sie spricht, dann höre ich immer ein Augenzwinkern. Vielleicht ist daran auch ihr schöner britischer Akzent schuld, gesprochen von Hellena Taylor.
Wie Lady Gaga ist auch Bayonetta bei homosexuellen Spielern sehr beliebt: Sie sei schon fast so etwas wie eine Ikone geworden, schreibt Gavin Greene bei Gaygamer.net. Andernorts wird auch spekuliert, dass Bayonetta so viele homosexuelle Fans habe, da sie mit ihrem Stil und Auftreten auch als Drag Queen interpretiert werden könnte.
Zu sexualisiert - oder einfach ein Subjekt?
In einer weiteren Parallele zu Lady Gaga gibt es auch bei Bayonetta Kritik: Sie sei zu sexy und zu sexualisiert . Denn natürlich beginnt das Game wie so viele: Kamerafahrt dem weiblichen Spielfigurkörper entlang, möglichst viel Haut und möglichst enge Kleidung, möglichst laszive Posen. Wie so oft für ein bestimmtes, männliches Zielpublikum geschrieben. So der Anschein.
Aber Bayonetta ist nicht nur Objekt der männlichen Begierde – denn sie ist die Hauptfigur. Das ist der entscheidende Punkt, weshalb mir Bayonetta als Spielfigur sympathisch ist: Sie hat Handlungsmacht. Sie ist kein Objekt, wird nicht geschlagen, ist nicht stumm, ist keine Prostituierte und nicht nur da, um zu sterben oder heroisch gerettet zu werden.
Nein, Bayonetta rettet sich selbst. Bayonetta ist ein Subjekt, selbstbestimmt, lässt sich nicht einschüchtern und behält, in welcher Situation auch immer, sowieso die Oberhand. Klar, dass so eine Person auch im richtigen Leben über ihre Sexualität die Oberhand behalten würde. Wie Lady Gaga.
«Bayonetta 2» ist ab 16 Jahren und nur für die Wii U erhältlich.