Das Studio «Frima» aus Quebec ist zwar mit über 200 Mitarbeitern alles andere als klein. «Frima» ist mir allerdings bisher nicht sonderlich aufgefallen, weil es vor allem kleinere Auftrags-Spiele produziert. Deshalb habe ich «Chariot» verpasst, als es im letzten November erschien. Erst dank der empfehlenswerten Youtube-Show « Co-Optitude » wurde ich darauf aufmerksam.
Und wow, ist dieses kleine Spielchen grossartig!
Der König ist gestorben. Die Prinzessin und ihr Verlobter sollen die royalen Überreste in eine angemessene Gruft bringen, auf dem titelgebenden «Chariot», einem Wagen. Der König ist als Geist präsent und jammert stetig: zu kalt, zu nass sind die Katakomben, zu wenig schnell machen seine Tochter und ihr Fiancé vorwärts. Ausserdem spornt er sie an, möglichst viele Edelsteine aus den Höhlen zu stibitzen. Der König ist so gierig, dass er gar seine Nachkommen zu Grabräubern macht: Nicht gerade edel, aber auch wir wollen Glitzerglitzer, unser « precioussss ».
Es geht also darum, einen Wagen durch komplizierte Höhlen zu bugsieren. Wir können ihn entweder schieben oder an einem Seil hinter uns her- oder über eine Kante hochziehen.
Schwierige Bedienung, schnell gelernt
Im Minimum sollen wir den Ausgang der Höhle finden, denn Papa Geist ist nie zufrieden und will immer noch weiter. Doch daneben erkunden wir auch, um möglichst viele Schätze, versteckte Schädel und Gegenstände zu finden, die unseren Wagen verbessern – beispielsweise mit einer Lampe, die uns auch dunkle Höhlen erkunden lässt, oder Schneereifen.
Die Bedienung ist komplex: springen und mit Schwert oder Steinschleuder böse Fledermäuse vertreiben; mit dem Seil den Wagen festmachen; mit einem weiteren Knopf das Seil einholen, den Wagen also zu sich herziehen; uns im Boden verankern, damit uns der schwere Wagen nicht über einen Vorsprung nach unten zieht. Doch obwohl wir viele Knöpfe beherrschen müssen, bringt uns das Spiel die Steuerung erstaunlich schnell und reibungslos bei.
Schwingen, Ziehen, Rutschen
Bald sind die Hindernisse in den Höhlen nicht mehr einfach zu überwinden: Beispielsweise hüpfen wir auf den rollenden Wagen, um eine höher gelegene Plattform zu erreichen, springen ab, krallen uns fest und fangen dann den Wagen gerade noch rechtzeitig wieder ein, bevor er in den Abgrund rollt.
Doch genau daraus entsteht Spass und Befriedigung: Wagen, Seil und Spielfigur reagieren alle physikalisch einigermassen korrekt auf Schwingen, Ziehen und Rutschen, was zu viel Überraschungen und Situationskomik führt. Springen wir nicht weit genug oder verankern wir uns nicht rechtzeitig im rutschigen Boden, zieht uns der schwere Wagen am Seil in den Abgrund.
Zu zweit auf der Couch
Wir können «Chariot» alleine spielen und als Prinzessin oder Verlobter losziehen. Doch noch besser ist das Spiel, wenn wir den Wagen zu zweit durch die Höhlen bugsieren. «Couch Co-op» nennt man das: Wir sitzen zu zweit auf der Couch, schauen auf den gleichen Bildschirm, eine Person steuert die Prinzessin, eine den Verlobten.
Dass wir die gleichen Höhlen alleine oder zu zweit durchqueren können, ist eine beachtliche Leistung. Schliesslich soll das Spiel ja nicht zu einfach oder zu schwierig werden. So sind gewisse Hindernisse einfacher zu zweit zu überwinden: der Verlobte hält den Wagen unten fest, die Prinzession springt drauf, dann auf die höhere Plattform und zieht von dort oben Wagen und Verlobter hoch. Bei weiten Sprüngen dagegen kann die zweite Person eher Chaos anrichten, wenn zum Beispiel die Prinzessin etwas zu früh abspringt und den Wagen in den Abgrund zieht, obwohl der Verlobte schon fast auf der anderen Seite war. Alleine ist das Spiel etwas langsamer, kontrollierter; zu zweit schneller, dafür chaotischer.
Die Dynamik, die daraus auf der Couch entsteht, ist schlicht grossartig. Man muss diskutieren und Lösungsvorschläge besprechen. Bei schwierigeren Stellen wird es schnell laut: «Halt ihn fest!» – «Hab ihn! Nein, doch nicht!» – «Zieh mich hoch!» – «Ankern! Ankern!! Ankern!!!» – «Du hast mich runtergeschubst! Waruuum?!?» – «Stress mich nicht!» – «Ahhhh!»
Gemeinsam im Flow
Es gibt Stellen, die man nur zu zweit überwinden kann, markiert mit einem Täfelchen mit zwei Figuren drauf. Diese Abschnitte sind nicht notwendig, um im Spiel weiter zu kommen, doch wir können dort besonders reiche Schätze ergattern. Richtig knifflig – entsprechend verzückend ist es, wenn wir einen fetten Diamanten eingesammeln.
Doch nicht nur diese speziell schwierigen Stellen sind befriedigend. Wie viele Spiele strebt auch «Chariot» den sogenannten Flow an: Wir gehen völlig auf in Mechanik und Spielwelt, sind total konzentriert, handeln, ohne zu denken, gleiten fast reibungslos über die Hindernisse.
«Flow» ist normalerweise ein Zustand, den eine einzelne Person erreichen kann. Hier gelingt dies sogar zu zweit. Wir klettern samt Wagen Treppen hoch, wechseln uns ab im Hochziehen oder Springen, mühelos, synchron, ohne Absprachen, verschmolzen in stiller Einheit. Grandios!
Auch sonst macht «Chariot» alles richtig. Die Figuren sind niedlich gestaltet und schön gesprochen. Die Höhlen sind abwechslungsreich und mit leuchtenden Pflanzen, glitzernden Edelsteinen und fies blinzelnden Fledermäusen wunderschön anzusehen. Laufend kommen neue Spiel-Elemente dazu, beispielsweise Plattformen, die nur den Wagen tragen, aber nicht uns, und umgekehrt. Die werden jeweils behutsam eingeführt und sind sofort verständlich. Ruhige Kammermusik untermalt das Spiel dezent, die Soundeffekte beim Einsammeln der Edelsteine oder Weghauen der Fledermäuse sind toll. Das Spiel erlaubt sowohl Erkunden als auch « Speedruns »: beim ersten Mal verbringen wir schnell eine Stunde in einem Level; versuchen wir, so schnell wie möglich durchzukommen, geht das plötzlich nur noch fünf Minuten.
Doch das Beste an «Chariot» ist die gemeinsam erlebte Anspannung. Darum würde ich das Spiel auch als einen schönen Beziehungstest bezeichnen: Schafft ihr es, mit Freund, Partner oder Geschwister heil durch diese Höhlen zu kommen, wisst ihr danach: Ihr zwei seid ein gutes Team.
«Chariot» ist für Playstation 4, Xbox One, Wii U und PC. Das Haikiew ist hier.