Es gibt Leute, die aus Rage plötzlich aus einem Game aussteigen – «Ragequit» nennt man das. Bislang habe ich darüber gelächelt: Was, es gibt Leute, die aus Frust und Wut einfach ein Game verlassen?
Bis «Dark Souls III».
Bis zum ersten grösseren Boss, der Iudex Gundyr heisst: zwei Mal Ragequit.
Und bislang habe ich mich immer etwas vor den Games der «Souls»-Reihe und « Bloodborne » gedrückt: Die Games von From Software gelten als brutal schwierig, eine knallharte Übung in Frustrationstoleranz und Disziplin.
Auch nach diesem Game werde ich kein grosser Fan. Ich muss aber das Gamedesign anerkennen, ja bewundern, das in «Dark Souls III» steckt.
Passe dich an, oder sterbe
«Dark Souls III» beginnt ganz harmlos: einen Charakter erstellen. Ich wähle zuerst eine Magierin, später wechsle ich zu einer Kriegerin, und los geht‘s mit Fuyumi.
Schon nach wenigen Minuten zeigt mir «Dark Souls III», wer hier das Sagen hat. Das Gefühl überkommt mich, da sei ein Fuss, der drücke genüsslich mein Gesicht nach unten in den Matsch. Auch wortwörtlich: Das Game hat noch gar nicht richtig angefangen, und der erste Boss – Iudex Gundyr – lässt mich schon unzählige Male sterben, Fuyumi sinkt immer wieder in den Matsch.
Der rote Schriftzug «You Died» brennt sich unweigerlich in mein Gehirn.
Doch auch einen anderen Satz habe ich mir gemerkt: «Alles hat in Dark Souls seine Verwendung. Du musst nur üben und nachdenken, wo du es einsetzen kann.» «Dark Souls III» lehrt deshalb vor allem eines: Beobachte deine Umgebung und lerne Disziplin. Also lerne ich, wie sich mein erster Erzfeind Iudex Gundyr verhält: Angriffsarten, Schwachpunkte, ich beobachte ihn genau. Lerne, zeitlich genau abgestimmte Angriffe zu vollführen.
So folgt in «Dark Souls III» alles gewissen Regeln, die es zu lernen gilt. Ansonsten droht nach zwei, drei gegnerischen Schlägen der Tod. Wer sich nicht anpasst, stirbt, oder verlässt das Game eben in Rage. Denn die Welt von «Dark Souls III» ist nicht nett und voller Tücken. Skelette, die uns hinter einer Ecke auflauern. Monster, die einem aus dem Nichts angreifen. Kurzum, das Game lehrt uns, voller Furcht und Vorsicht durch diese Welt zu gehen, und vor allem sehr, sehr defensiv.
Ein Retro-Game?
So fühlt sich der dritte Teil der «Souls»-Reihe auch etwas retro an: Games wie anno dazumal, die sich darum foutieren, ob dir ihr Schwierigkeitsgrad passt, Hauptsache, du kaufst sie. Games, die anspruchsvoll sind und dich von Anfang an überfordern: Ein Überbleibsel aus den Spielhallen, in denen ein hoher Schwierigkeitsgrad klingelnde Kassen bedeutete. Schliesslich will man ja doch irgendwie diesen einen Boss meistern und wirft nochmals ein Geldstück ein.
Um in «Dark Souls III» also voran zu kommen, müssen wir uns ihm anpassen. Lernen, wie es funktioniert. Das geht nur mit Übung. Stundenlang dieselbe Szene spielen, bis man im Schlaf die Untoten und Monster bodigen kann. Auch das widerspricht den heutigen Prinzipien vieler Games, die in Episoden ablaufen. Diese erlauben, an einem Abend eine Episode abzuschliessen und ein gutes Stück voran zu kommen – und dann auch die nächste Episode zu kaufen. Schliesslich will man ja wissen, wie die Geschichte weitergeht, die eigene Figur verbessern, mehr erleben.
« Git gud » – «Werd' besser» heisst hingegen die Devise in «Dark Souls III». Ein aufmunternd-abschätziger Zuruf, wenn sich Spielerinnen und Spieler in sozialen Medien und auf Foren über den Schwierigkeitsgrad des Games beschweren. Denn es kann Stunden dauern, an einem einzigen Gegner vorbei zu kommen. So erfahre ich kaum etwas von der Geschichte, die aber ohnehin nur wie eine Kulisse wirkt. Sterben ist schliesslich die Hauptbeschäftigung.
Zum Glück gibt es Hilfe. Wenigstens etwas – und das gibt dem Game seine moderne Würze.
Gemeinsam sterben ist schöner
«Dark Souls III» ist – wie seine Vorgänger – so schwierig, dass sich die Gaming-Community regelrecht gegen das Game verschwört. Das ist nur möglich, weil das Gamedesign raffinierte Mechanismen eingebaut hat, die dies erlauben. Mechanismen, die eben überhaupt nicht retro sind.
So können Spielerinnen und Spieler sich gegenseitig Hinweise hinterlassen, die vor Gefahren warnen: «Scharfschütze vorne» oder «Ungeheuer geradeaus». Auch mehr oder weniger kryptische Tipps sind möglich, etwa «Nicht der Schlüssel, sondern das Loch». Solche Hinweise schaffen ein Gemeinschaftsgefühl: Hier haben andere gelitten, so wie ich auch. Blutflecken am Boden lassen uns nacherleben, wer hier schon alles gestorben ist und ein rötliches Phantom spielt die letzten Todessekunden nach – oft eine Warnung vor einem Hinterhalt.
Eine weitere Hilfe ist, bis zu zwei Mitspielerinnen und Mitspieler ins eigene Game zu holen. Das hat aber seinen Preis: Ich benötige dafür ein Stück glühende Kohle, meine Mitspielerin wiederum ein Stück weissen Speckstein. Beide sind im Game zu finden oder mit Seelen zu kaufen, der Währung innerhalb des Games. Und diese Seelen bekomme ich nur, wenn ich Monster töte – wer also ganz unten steht, muss sich eine mögliche Hilfe zuerst erarbeiten.
Sind aber alle Zutaten da, erscheint meine Mitspielerin wie ein weisses Phantom neben mir und hilft, gegen die grausame Welt von «Dark Souls III» zu bestehen. Geteilter Frust ist halber Frust, und so spielt es sich gleich etwas unterhaltsamer. Sterbe ich aber, ist der Zauber vorbei und die Mitspielerin wird aus dem Game geworfen. Was in meinem Fall schon nach sehr kurzer Zeit passierte. Online spielen, mit anderen zusammen: Auch das ist überhaupt nicht retro.
Ein «Ulysses» der Game-Industrie
So sehr ich auch von anderen hörte, wie toll «Dark Souls III» sei, so sehr musste ich mich überwinden, mich wenigstens etwas dafür zu erwärmen. Dass das nicht der Fehler des Games ist, sondern an meiner Vorliebe für andere Genres und Spielmechaniken liegt, war mir von Anfang an klar.
Doch ich wollte und will «Dark Souls III» immer noch spielen. Man könnte die «Souls»-Reihe mit Klassikern wie «Ulysses» von James Joyce vergleichen: 1922 publiziert, rund 1000 Seiten, ein Wälzer und eines der wichtigsten Werke der modernen Literatur . Und eine beinharte Knacknuss voller Referenzen, Anspielungen, Zitate und formaler Experimente. Wer sich da durchkämpfen will, der leidet. Die meisten geben auf halbem Weg auf.
Trotzdem hat «Ulysses» die englische Literaturgeschichte des 20. Jahrhundert nachhaltig geprägt. Selbst wenn also der Roman unglaublich schwer zu erfassen und zu lesen ist, lohnt es sich, wenigstens einen Blick hinein zu werfen. Nur so lässt sich tatsächlich erkennen, weshalb denn alle diesen Roman derart loben und weshalb er Literaturgeschichte schrieb.
Dasselbe gilt für «Dark Souls III». Man muss es kennen und gespielt haben. Doch um es durchzulesen, muss man Leiden lieben.
«Dark Souls III» ist ab 16 Jahren und läuft auf Windows, der Playstation 4 und Xbox One.