Nach dem atomaren Weltkrieg ist die Oberfläche zerstört. Doch unter der Erde sind die Bunker, die «Vaults». Und wer da rechtzeitig reinfand, hat die Apokalypse überlebt.
Eine dieser kleinen, isolierten, ästhetisch in den 50er-Jahren eingefrorenen Kleinst-Gemeinschaften umsorgen wir. Als Aufseher eines Vaults bauen wir den Bunker aus und sorgen dafür, dass es allen Siedlerinnen und Siedlern gut geht.
Und wir machen uns tatkräftig an den Wiederaufbau, indem wir regelmässig eine Frau und einen Mann zum Techtelmechtel in die Kojen schicken. Wo sie dann – schwups! – ein Baby machen und so den Vault-Nachwuchs sichern.
«Fallout Shelter» ist ein Smartphone-Spiel: ein Apéro, der die Wartezeit überbrückt, bis im November das heiss ersehnte «Fallout 4» erscheint.
Ein bisschen kaputt
Dieses Atomapokalypsentamagotchi ist ein bisschen kaputt. So werden mir bei jedem Start Erfolge angezeigt, die ich schon lange verbucht habe oder noch gar nicht haben kann. Die Steuerung ist zu grob und reagiert oft falsch. Bei grösseren Vaults verlieren wir schnell die Übersicht oder weisen Bewohner ungewollt falschen Räumen zu. Wenn wir optimieren und allen die ideale Uniform und Waffe zuteilen wollen, ist das unnötig umständlich. Und es saugt die Batterie leer, als gäbe es kein Morgen.
Wenn unser Vault mal einigermassen stabil läuft, gibt es auch nicht mehr viel zu tun oder zu entscheiden. Immer wieder jemanden raus in die Ödnis schicken, um die Ruinen nach Ausrüstung und der Währung «Kronkorken» zu durchstöbern. Ausgebrochene Feuer löschen. Radioaktive Ratten, mutierte Maulwürfe oder Plünderer abwehren. Langsam ausbauen. Kinder zeugen. Immer schön alles einsammeln. Was zu Beginn noch aufregend ist, wird schnell zur Routine.
Aber halt! Trotz alledem hat «Fallout Shelter» seine Krallen tief in mein schon leicht verstrahltes Fleisch gegraben. Immer wieder ziehe ich das Smartphone hervor und schaue zu meinen Vault-Bewohnern. Warum?
Sehr einfache Interaktion
Zunächst hat das sicher mit der einfachen Interaktion zu tun. Das ist kein komplexes Spiel. Es fordert nicht meine ganze Aufmerksamkeit, es will mich nicht stundenlang an den Bildschirm fesseln. Stattdessen: kurz öffnen, ein paar Dinge antippen, die leuchten, kleine Belohnung erhalten, wieder wegstecken.
Doch «Fallout Shelter» ist mehr als das. Es ist hervorragend gezeichnet: Die Räume im Vault sind mit vielen kleinen Details ausgestattet, der 50er-Jahre-Stil ist in Diner, Radiostudio und den Frisuren der Bewohner konsequent durchgezogen.
Bewohner ideal platzieren
Auch mechanisch ist das Spiel clever. So haben alle Bewohner «S.P.E.C.I.A.L.»-Werte. Die beeinflussen, wie gut sie ihre Jobs machen. Wer im Reaktor arbeitet, sollte viel S haben (Stärke). Wer Wasser aufbereitet, benötigt P (Perception, Wahrnehmung). Wer sich ins Ödland wagt, hat besser viel E (Endurance, Ausdauer). Wer im Radiostudio sendet, braucht C (Charisma). Auf der Krankenstation ist I gefragt (Intelligenz). Wer im Diner kocht, braucht A (Agility, Beweglichkeit). Und L (Luck, Glück) schliesslich beeinflusst, wie viele Kronkorken wir verdienen und wie gut die gefundene Ausrüstung ist.
Dieses vielteilige Puzzle – welche Bewohner lassen wir idealerweise wo arbeiten – ist aber nicht völlig symmetrisch: S, P und A haben erste Priorität. Diese klare Gewichtung macht Sinn: Ohne Strom, Wasser und Essen überlebt der Vault nicht.
Diskretes Bezahlen
Nach meinem schlechten Erlebnis mit «Angry Birds 2» sei ausserdem erwähnt, dass auch «Fallout Shelter» ein «Free to play»-Spiel ist: Der Download ist gratis, später im Spiel können wir dann Geld auszugeben. Doch hier wird das sehr diskret gehandhabt und hat mir deshalb das Erlebnis nicht vermiest.
Verkaufen statt spielen
Wir können «Lunchboxes» kaufen (zwischen 50 Rappen und einem Franken pro Box, je nach Paketgrösse), die Kronkorken, Ausrüstung und manchmal besonders starke Siedler enthalten können. Da der Inhalt zufällig ist, würde ich das nicht empfehlen. Denn auch im Spiel erhalten wir ab und zu für das Erfüllen eines Ziels («Bringe 7 Babies zur Welt») eine Lunchbox.
Praktischer ist ein Paket mit fünf Robotern (namens «Mr. Handy»), die automatisch Ressourcen einsammeln, Feuer löschen oder Eindringlinge bekämpfen. Mir war das vier Franken wert. Auch, weil die Roboter zwar mit der Zeit kaputtgehen, aber mit Spielwährung wiederbelebt werden können – das bleibt also eine einmalige Ausgabe.
Aufziehen und umsorgen
Am stärksten aber ist das Konzept selbst: Das ist mein Vault und ich bin dafür verantwortlich, dass die kleinen Menschlein darin zufrieden sind. Es ist ein Instinkt, etwas aufzuziehen, etwas zu umsorgen. Schon die gute alte Ameisenfarm zapft den an. Oder das Tamagotchi . Und natürlich die Urgrossmutter aller virtueller Lebewesen, «Little Computer People» von 1985.
Kleine Geschichten entstehen
Dreissig Jahre später umsorgen wir in «Fallout Shelter» wieder unsere kleinen Lebewesen und beobachten sie – und sofort entstehen Geschichten. Wie die von Pamela Grant: Sie ist mit Abstand die Härteste meiner Vault-Bewohner.
Rennt unermüdlich ins gefährliche Ödland hinaus, um Ausrüstung zu finden. Kämpft gegen riesige Mutanten, während die zu Hause schon wegen ein paar lächerlicher Ratten in Panik geraten. Pamela ist einsam. Als sie ein Kind kriegt, ist sie zwar glücklich – doch zieht es sie sogleich wieder hinaus. Mutter werden ist ihr Ding, nicht Mutter sein.
Kein Autor hat sich diese tragische Geschichte ausgedacht. Sie ist in meinem Spiel entstanden, aus Zufälligkeiten und meinen Entscheidungen und Interpretationen. Emergenz nennt man das, und «Fallout Shelter» lebt ganz wesentlich davon. Und deshalb bleibe ich dran.
So, muss schnell nach Pamela schauen. Sie hat gerade einen abstossenden Zentauren von seinen Qualen erlöst. Und ein rostiges Repetiergewehr und einen Handwerker-Overall gefunden. Es geht ihr gut.
«Fallout Shelter» ist für iOS und Android. Das Haikiew ist hier.