Dieses Spiel demütigt mich.
Entweder verliere ich haushoch zu Null. Oder noch schlimmer: Ich habe das Gefühl, ja, jetzt packe ich es, ich kann gewinnen, nur noch dieser eine Zug und dann ist es im Sack – und peng, verliere ich doch.
Jede einzelne Niederlage tut weh. Ich fühle mich dumm. Und dennoch ist «Frozen Cortex» ein grossartiges Strategiespiel.
Das kleine Studio Mode 7 aus Oxford hat mir schon mit dem Vorläufer « Frozen Synapse » gezeigt, dass ich kein guter Strategiespieler bin. Ich antizipiere schlecht. Ich konzentriere mich auf das was ist, statt auf das was sein wird. Wunschdenken leitet mich zu sehr.
Gleichzeitig ziehen
Das ist hier besonders schlecht, denn «Frozen Cortex» setzt auf das gleiche Grundprinzip wie «Frozen Synapse»: Mein Gegner und ich ziehen gleichzeitig. Also nicht abwechslungsweise, wie im Schach oder den meisten anderen rundenbasierten Strategiespielen. Und das heisst eben, dass ich nicht nur überlegen muss, was denn jetzt ein toller Zug für mich wäre, sondern dass ich gleichzeitig auch erkennen muss, wohin der Gegner wohl zieht.
Und diese zweite Variante dieses Prinzips ist sogar noch besser als die erste. Denn nun geht es inhaltlich nicht mehr darum, ein Team von Soldaten zu lenken und Geiseln zu befreien wie in «Frozen Synapse». Stattdessen spielen wir in «Frozen Cortex» eine futuristische Mischung aus American Football und Rugby mit Robotern.
Sport-Strategie
Dieser Themenwechsel ist riskant, weil «Frozen Cortex» so messerscharf auf Strategie fokussiert, dass es wohl Spieler abstösst, die « FIFA », « Madden » oder andere Action-lastige Sportspiele mögen. Doch gleichzeitig macht das Thema absolut Sinn, denn American Football mit seinen einstudierten Spielzügen, die meist nach wenigen Sekunden wieder unterbrochen werden, ist eigentlich auch nichts anderes als rundenbasiert.
Im Kern sind die Regeln gleich wie bei American Football: Als angreifendes Team sollen wir den Ball in die gegnerische Endzone bringen; als Verteidiger versuchen wir, das zu verhindern, indem wir Gegner blocken oder den Ball in der Luft abfangen oder wegnehmen – und so selber zu Angreifern werden. In den groben Zügen verstehen wir «Frozen Cortex» also sofort. Wir spielen online gegen menschliche Gegner oder alleine gegen den Computer.
Football mit einer Prise Hockey und Rugby
Im Detail gibt es dann aber einige Unterschiede: So spielen in einem Team nur fünf Roboter. Ausserdem ist das Spielfeld klein, also eher wie Eishockey – in drei bis vier Zügen müssten wir es schaffen, den Ball in die gegnerische Endzone zu bringen. Zusatzpunkte können wir holen, wenn wir den eigenen Roboter mit Ball über auf dem Feld verteilte blaue Punkte rennen lassen.
Dieser Roboter mit dem Ball in der Hand darf nur passen und dann laufen oder ausschliesslich laufen. In einer Umkehr der Rugby-Grundregel darf er den Ball weder nach hinten spielen noch tragen, nur nach vorn.
Ein Spielzug endet meist, wenn ein Roboter den Ball fängt oder ihn jemandem abluchst. In der Regel endet ein Match nach einer bestimmten Anzahl Züge.
Abwechslung entsteht, indem die Spielfelder Hindernisse enthalten: durch halbhohe Blöcke können die Roboter nicht durchrennen, aber sehr wohl einen Pass darüber werfen; hohe Blöcke blockieren dann auch Pässe. Diese Blöcke werden zu Beginn des Matches zufällig gesetzt – damit ist kein Spiel gleich wie das nächste.
Spielzüge planen
Um einen Spielzug zu planen, klicke ich jeden meiner fünf Robo-Spieler an und zeichne einen Laufweg auf das Spielfeld: Renne da hin, warte kurz, renne da hin. Oder: Spiele einen Pass dort hin. Das kann ich auch mit den gegnerischen Spielern tun: Auch für sie kann ich die Laufwege einzeichnen, die ich erwarte. Und mir eine Vorschau ansehen, was passiert, wenn mein Gegner tatsächlich so zieht, wie ich vermute. Wenn ich mit meinem Plan zufrieden bin, bestätige ich und sehe, ob ich schon wieder falsch antizipiert habe oder ob mein Plan ausnahmsweise einmal aufgeht.
Im Unterschied zum Vorläufer «Frozen Synapse» ist «Frozen Cortex» zugänglicher, weil die Regeln und das Ziel einfacher verständlich sind. Und es ist deutlich schneller und weniger defensiv: Wir können hochriskante weite Pässe spielen, oder einem Läufer einen langen Weg freiblocken. Gelingt ein solcher Zug, ist es spektakulär – wenn es schief geht, schämen wir uns immer.
Um das Sportspiel herum erzeugt «Frozen Cortex» eine hervorragende Stimmung: Zwischen den Spielen bekommen wir eine Geschichte um Korruption in der Liga erzählt. Die futuristische Tron-Optik wird von einem erstklassigen sphärischen Elektro-Soundtrack untermalt.
In einem soeben veröffentlichten, umfangreichen Gratis-Update wurde das Spiel ausserdem um eine Manager-Komponente erweitert: Wir können neue Roboter kaufen, die Aufstellung verändern und Verletzte auswechseln. Und dann nach Wunsch auch zurücklehnen und einen Match komplett vom Computer simulieren lassen.
Einfach demütigend
Für mich die wichtigste Erweiterung ist aber der «Easy Mode»: In dieser Spielvariante stellt «Frozen Cortex» sein eigenes Grundprinzip auf den Kopf. Denn es lässt uns auf Knopfdruck anzeigen, was der Computer-Gegner für seinen nächsten Zug geplant hat. Worauf wir wie ein Hellseher unseren eigenen Plan entsprechend anpassen können.
Das macht die Demütigung komplett: «Frozen Cortex» verhöhnt uns, indem es sich lächerlich einfach macht.
Auch wenn Siege im «Easy Modus» deshalb hohl und leer sind: Wir lernen dennoch langsam grundlegende Spielzüge. Wie wir einen Pass in den freien Raum spielen. Wie wir geschickt Räume abdecken. Wie wir einen Lauf freiblocken.
So baut es langsam mein zerschmettertes Selbstbewusstsein wieder auf und lässt mich davon träumen, irgendwann, ja irgendwann, vielleicht doch einmal gewinnen zu können.
«Frozen Cortex» ist für PC, Mac und Linux. Das Haikiew ist hier.