Zu Beginn ein Blick in die ferne Zukunft: Wir schreiben das Jahr 5098, Ausserirdische landen auf der nun menschenleeren Erde. Unter Tonnen von Schutt und Asche entdecken sie ein Relikt: ein iPhone mit nur einer App darauf, «Kim Kardashian: Hollywood».
Die Aliens starten das Game, spielen fünf Minuten und lassen das Smartphone angeekelt zu Boden fallen. Zurück an Bord ihres Raumschiffes notieren sie im Logbuch, die Erde sei einst von einer debilen humanoiden Rasse bevölkert gewesen. Danach zerstören sie zur Sicherheit den Planeten.
Man wird ihnen diese Reaktion nicht übel nehmen können, denn «Kim Kardashian: Hollywood» ist in der Tat ein grauenhaftes Game. Und was es uns lehrt ist, noch viel grauenhafter. Hier die moralischen Eckpfeiler, auf denen dieses «Leben» gebaut ist:
1.
Du bist nur jemand, wenn du berühmt bist. Und die eigene Berühmtheit zu mehren, soll unser höchstes Ziel sein im Leben. Und natürlich gibt es dafür keine bessere Botschafterin als Kim Kardashian, die berühmt ist, weil sie berühmt ist (und auf einem der meistfotografierten Hintern der Welt sitzt).
Die Leute von Glu, dem Entwickler-Studio hinter dem Game, haben die 33-jährige denn auch bewusst ihrer «Brand Power» wegen zum Aushängeschild gemacht , wegen der Kraft der Marke Kardashian also.
2.
Berühmtheiten sind ihrer Berühmtheit wegen gottgleiche Wesen und all unser Schaffen soll darauf ausgerichtet sein, eine/einer der ihren zu werden (siehe oben). Das erreichen wir am besten, indem wir berühmten Menschen jeden Wunsch von den Lippen ablesen.
So lässt uns das Game in Dialogszenen mit Kim Kardashian meist nur eine Antwortmöglichkeit. Und selbst wenn wir zwischen verschiedenen Optionen wählen können, führen sie schliesslich zum selben Ergebnis. «Bitte Kim, ich will dir dieses Kleid schenken!» – «Wie lieb von dir, aber das kann ich nicht annehmen.» – «Doch, ich bestehe darauf!» – «Nun gut, wenn du es unbedingt willst…»
3.
Sich mit Leuten abzugeben, die nicht berühmt sind, ist reine Zeitverschwendung. Deshalb wird uns bei jeder Figur im Spiel gleich angezeigt, welchen Grad an Berühmtheit sie besitzt
Einem flotten A-Lister leisten wir gerne Gesellschaft und sogar einem B-Lister schenken wir unsere Aufmerksamkeit – zumindest solange wir selbst auf der Skala noch unter ihm stehen. Alle andere sollen sich gefälligst zum Teufel scheren und dafür schämen, dass sie so unberühmt sind.
4.
Aus dem oben Gesagten folgend: Freundschaften pflegen wir einzig der Karriere wegen – sprich: Dem Weg nach oben. Treffen wir im Game auf eine neue Figur, haben wir deshalb bloss zwei Möglichkeit der Interaktion: Networken oder Flirten. Je berühmter dabei das Gegenüber, umso besser.
Oder wie es uns Kim Kardashian gleich während des Ladevorgangs des Spiels lehrt: «Dating costs money, but it's a quick way to level up!»
5.
Aussehen ist alles! «Changing your look and buying nice clothes can get you noticed by the media», meint Kim dazu. Um endlich berühmt zu werden, setzen wir deshalb auf enge Hosen, kurze Röcke und unsere körperlichen Reize.
In dieser Lektion macht das Game immerhin keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen. Auf dem Weg nach oben müssen wir uns alle auf die eine oder andere Art prostituieren, lehrt es uns fröhlich.
6.
Wir sind keine Menschen, wir sind Marken – und wie unser Vorbild Kim Kardashian müssen wir unablässig an dieser Marke arbeiten. Dabei gibt es keine Trennung zwischen Freizeit und Beruf und keine zwischen Freunden und Karrierehelfern.
Am besten spannen wir deshalb unsere echten Freunde und Bekannte ein, um im Game mehr Punkte zu sammeln. Kims Tipp: «You can get friends or game contacts to help you with projects by hiring them as co-stars.» So machen wir uns im Bekanntenkreis gleich noch als Markenbotschafter für Kim Kardashian beliebt.
Geld verdienen und Geld ausgeben
Das alles lehrt uns «Kim Kardashian: Hollywood». Und weil es ein Game ist (für Smartphones und Tablets), müssen wir nach seinen Werten handeln, um vorwärts zu kommen. Mehr als bei einem Film also – den wir auch zu Ende schauen können, ohne die Anschauungen und Werte der Hauptfiguren zu teilen – wird uns hier vermittelt, was im Leben richtig ist und was falsch.
Nun kann man einwenden: «Was soll das Genörgel? Das ist doch einfach ein Spiel und man spielt es, weil es Spass macht!» Darauf sei aber der Einwand erlaubt, dass dieses Spiel keineswegs Spass macht, dass man es nur mit viel gutem Willen überhaupt als Spiel bezeichnen kann. Denn strategische Überlegungen, Geschick und eigene Ideen sind hier fehl am Platz. Wir müssen bloss ab und zu den Bildschirm berühren – entweder um Geld zu verdienen oder um Geld auszugeben.
Mit Geld Sterne kaufen, mit Sternen Energie kaufen
Und ohne ständig in die Tasche zu greifen, lässt sich «Kim Kardashian: Hollywood» kaum spielen. So schnell geht uns im Game die Währung Energie aus, dass wir schon nach wenigen Spielminuten eine lange Pause einlegen müssen. Oder eben mit richtigem Geld neue Energie kaufen. (Bin ich übrigens der einzige, der in diesem Zusammenhang und in diesem Milieu bei «Energie» gleich an Kokain denkt?)
Wie bei vielen «Freemium»-Games – das Herunterladen ist gratis, aber im Spiel kann/müssen wir Geld ausgegeben – ist der wahre Wert der virtuellen Währung dabei nicht gleich ersichtlich: Statt direkt Energie zu kaufen, zahlen wir für sogenannte «K-Sterne», die wir danach in Energie umtauschen müssen. Durch das ständige Umrechnen zwischen den beiden Währungen geht schnell vergessen, wie viel wir nun eigentlich genau für neue Energie haben ausgeben müssen.
Andere Ausgaben im Game sind leichter abzuschätzen. Eine streunende Katze zu adoptieren etwa kostet 20 K-Sterne. 50 K-Sterne zu kaufen kostet 5 Franken. Ein Herz für Tiere kann uns also recht teuer zu stehen kommen – so wie schöne Kleider, Frisuren und Accessoires auch .
Das Game als Haupteinnahmequelle
Bleibt die Frage: Warum tun sich Leute so etwas an? Warum ist «Kim Kardashian: Hollywood» im englischsprachigen Raum derzeit die am meisten heruntergeladene App überhaupt und in der Schweiz immerhin eines der Top-Games für Android- und iOS-Geräte? Allein in diesem Jahr, so wird geschätzt, könnte das Game an die 100 Millionen Dollar Umsatz machen – und Kim Kardashian damit zur noch reicheren Frau, denn sie soll mit 45 Prozent am Erfolg beteiligt sein.
Und das ist ein Novum: Statt über den Umweg von Werbedeals an Geld zu kommen, vergoldet sich Kardashian mit dem Game den eigenen Namen gleich direkt. Zum Vergleich: Das Wirtschaftsmagazin Forbes schätzt, dass die 33-jährige 2013 gut 28 Millionen Dollar verdient hat. Mit den Einnahmen aus dem Game würde sich diese Summe mehr als verdoppeln und «Kim Kardashian: Hollywood» zur Haupteinnahmequelle des It-Girls werden.
Teilhaben an der Scheinwelt
Die Erklärung für den Erfolg mag in der symbiotischen Beziehung liegen, die das Spiel zum übrigen «Oeuvre» der Kardashians pflegt – zu den Reality-Shows, Auftritten in der Klatschpresse und Eheschliessungen mit anderen Celebrities . Für Kardashian-Kenner finden sich im Spiel wohl allerlei Anspielungen auf tatsächliche Ereignisse. Etwa wenn Kim in einem Kleid im Game auftaucht, dass sie auch im richtigen Leben schon getragen hat.
Und das Game wiederum gibt den Fans die Möglichkeit, am Leben des Stars teilzuhaben, Kim quasi zur Freundin zu haben. Es macht also möglich – virtuell zumindest -, was Klatschpresse und Reality-TV den Zuschauern nie werden bieten können. Und stärkt so im Gegenzug das Interesse des Publikums an solchen Berichten und Sendungen.
Die hässliche Fratze des Kapitalismus
Zum Abschluss noch ein Hinweis für alle, die sich «Kim Kardashian: Hollywood» bloss aus Neugierde antun wollen und Kim und ihre Kardashians nicht für die bedeutendsten Menschen des 21. Jahrhunderts halten: Es hilft, sich das Game als ein grandioses Stück situationistischer Spektakelkritik vorzustellen: Als gewitzten Trick, die hässliche Fratze des Konsum-Kapitalismus im Spiegel seiner hohlsten Glücksversprechen zu zeigen.
Das Spiel als Parodie verstanden lässt sich sogar seine monotone Spielmechanik einigermassen aushalten.