Hey, Max, falsche Richtung! Statt aus dem Geburtsstädtchen ins grosse Seattle zu ziehen, macht die 18-Jährige genau das Gegenteil: Sie kehrt der Grossstadt den Rücken und in das Kaff Arcadia Bay zurück, um dort Fotografie zu studieren.
Die Blackwell Academy soll eine tolle Privatschule sein, und dass die gerade in diesem Kaff steht, ist nicht wirklich plausibel. Muss aber so sein, denn so sieht Max ihre beste Freundin von damals wieder, Chloe.
Das Duo versucht, das mysteriöse Verschwinden einer Schülerin aufzuklären. Und schlägt sich generell mit Teenager-Problemen herum. Dabei hilft, dass Max kurz nach ihrer Ankunft in Arcadia Bay feststellt, dass sie die Zeit zurückdrehen kann.
Teenager-Existentialismus
Somit ist «Life Is Strange» klar im Genre « Young Adult » (YA) angesiedelt – eine « coming of age »-Geschichte, Mystery und Drama, das Traum-Fach Fotografie. Und der Name der Protagonistin Max Caulfield ist natürlich ein direkter Bezug auf Holden Caulfield, den Ich-Erzähler im Gymnasium-Klassiker « The Catcher in the Rye ».
Vielschichtig sind dabei nur die beiden Hauptfiguren Max und Chloe. Um sie herum tanzen einfarbige Holzschnitte: der reiche Schnösel. Die reiche Intrigantin. Der Skaterboi. Die depressive Religiöse. Das Geekgrrl. Der Nerd. Der Football-Jock. Doch die simplen Schablonen müssen nicht komplexer sein, denn sie dienen dem Teenager (und uns Spielern) zur Orientierung.
Im Kern dreht sich «Life Is Strange» also um Teenager-Existentialismus: das Gefühl von Isolation, sowohl sozial als geographisch; die Frage nach der eigenen Identität; die Suche nach dem Platz in der Gemeinschaft, im Leben.
Fehler gemacht? Zeit zurückdrehen!
Dargestellt in einem wunderschönen Stil, der eher Illustration als Fotorealismus ist, weichgezeichnet, untermalt mit sanftem Indie-Folk. Warme Farben und Klänge – «Life Is Strange» findet den richtigen Ton.
Wir spielen uns durch die Geschichte, indem wir mit Max zu Personen oder Objekten hinspazieren und dann eine kontextabhängige Option auswählen («Look», «Take photo»). Doch der interessante Mechanismus ist eben der, die Zeit zurück zu drehen. Trifft zum Beispiel ein Ball den Kopf einer Freundin, können wir die Zeit zurückdrehen und sie rechtzeitig warnen. Worauf sie uns total cool findet.
In Gesprächen können wir so auch gezielt Informationen sammeln: erst mal «weiss nicht» antworten, uns belehren lassen, Zeit zurück drehen, plötzlich total viel wissen. So verändern wir stetig leicht den Fortgang der Geschichte.
Fünf Episoden
Zum Abschluss der Episode listet das Spiel alle unsere Entscheidungen noch einmal auf. Ausserdem zeigt es an, wie andere Spielerinnen und Spieler entschieden haben. So sehen wir, ob wir dort in der kleinen Minderheit waren, ob jene Entscheidung sehr umstritten war oder ob wir hier das Gleiche wie alle machten. Selbst das passt schön in das Teenager-Thema: Wir finden unseren Platz im Spiel, indem wir beobachten, was andere machen, und uns daran orientieren.
«Life Is Strange» ist in fünf Episoden aufgeteilt. Mit «Chrysalis» ist jetzt die erste erschienen. Die zweite folgt im März, die anderen im Laufe des Jahres. Man kann die Episoden entweder einzeln oder aufs Mal bezahlen.
Zarter Tonfall
Nach nicht ganz drei Stunden war ich durch die erste Episode durch. Viel passiert ist noch nicht. Doch die Protagonisten sind ausgelegt, und die Anfänge der Geschichte mysteriös genug, um mich neugierig auf mehr zu hinterlassen. Und was mir am besten gefallen hat, die wesentliche Stärke des Spiels, ist der Tonfall. Die wankende Unsicherheit der jungen Figuren. Die zarten Momente in dem verschlafenen Örtchen an der Pazifikküste.
«Life Is Strange, Episode 1: Chrysalis» ist für Playstation 3 & 4, Xbox 360 & One und PC. Es ist ab 16. Das Haikiew ist hier.