Als «Mirror’s Edge» im Jahr 2008 herauskam, war das Game kein Verkaufsschlager. Zu nervig und zu holprig die Steuerung. Doch mit den Jahren gewann es eine kleine, treue Fangemeinde: Aus der Ich-Perspektive von Faith Connors überquerten wir rennend, hüpfend und Salto schlagend futuristische Stadtdächer. Ein neues Spielerlebnis, das zu einem viel gelobten Flow-Gefühl und irrwitzigen Youtube-Videos führte.
Auch visuell setzte «Mirror’s Edge» eigene, neue Standards. Die Stadt war in kaltes, gleissendes Mittagslicht getaucht, mit einer sehr reduzierten Farbpalette von weiss, gelb, knallrot, azurblau. Die Erfahrung, mit Faith durch Glass zu hüpfen, war auch neu: Ständig waren ihre Arme und Beine zu sehen, und wenn sie am Boden abrollte, erlebten wir alles mit.
Zückt eure Checklisten!
Acht Jahre später kommt nun der Nachfolger – der führt vieles aus dem alten Teil weiter, verbessert einiges, erzeugt aber neue Probleme. Es beginnt, dass sich «Mirror’s Edge Catalyst» wie eine einzige riesige Checkliste anfühlt. Als hätte sich das Entwicklerstudio Dice gefragt, «Was machen gerade alle anderen im Gamedesign?». Folgendes:
- Erfahrungspunkte, die sich sammeln lassen...
- ... und wir in einem Fähigkeitenbaum einsetzen, für Kampf, Ausrüstung, Bewegung
- Community von Online-Spielerinnen und -Spielern
- Ganz viele Dinge, die sich sammeln lassen
- Ganz viele Nebenmissionen
- Eine Stimme, die ständig über eine Verbindung mit uns spricht
- Open-World, die wir freispielen müssen
- Noch viel mehr Dinge sammeln
Weiter geht es mit den Figuren und der Geschichte, die sich ähnlich anfühlt – wieder ein Sammelsurium an Versatzstücken:
- Dystopische Zukunft: Alle werden überwacht
- Mega-Konzern «Kruger Security», der alle Lebensbereiche beherrscht
- Mega-Konzern, der Versuche an Menschen durchführt...
- ... in einer geheimen Untergrundanlage
- ... für noch mehr Überwachung
- Kleine Rebellengruppen gegen diesen Mega-Konzern
- Hauptfigur Faith Connors, geprägt von ihrer tragischen Kindheit: Eltern tot, Schwester auch
- Faith Connors gehört zu einer Rebellengruppe
- Wendung: Schwester ist doch nicht tot
- Faith Connors versus Kruger Security
- Noah, absolute Vaterfigur für Faith
- Plastic, gewiefte Teenie-Hackerin
- Icarus, der nervige «Ich-bin-besser-als-du»-Typ, der dann doch nett wird
Eine Geschichte und Figuren, die mehr wie klischierte Versatzstücke denn eigene Erfindungen wirken. Positiv fällt hingegen anderes auf: In «Mirror’s Edge Catalyst» dominieren für einmal Frauenfiguren – sie sind in der Mehrheit. Plastic ist eine afroamerikanische Hackerin, eine andere Rebellengruppe wird von Rebecca Thane angeführt, Faiths Mutter und eine andere Figur sind wichtige Wissenschaftlerinnen. Eine angenehme und willkommene Abwechslung. Mit all diesen spürbaren Checklisten fühlt sich «Mirror’s Edge Catalyst» trotzdem kühl und steril an.
Schöner laufen mit Runner’s Vision
Steril und kühl wirkt auch die «City of Glass», die Stadt, durch die Faith Connors rennt – und das ist positiv. Entwickler Dice hat die klare, kalte Anmutung des ersten Games beibehalten und auf den neusten Stand gebracht. Nun rennt Faith durch verschiedene Stadtteile, die alle wie frisch aus dem Designerkatalog stammen. Jeder Stadtteil hat seine eigene Farbe – etwa gelb für den Baustellenbereich, lila für die High-Society-Meeresbucht. Tag und Nacht wechseln sich regelmässig ab, so dass Faith durch die leuchtend nächtliche Stadt oder das harte Mittagslicht spurtet.
Und gerade ihre Bewegung durch die Stadt, ihren Parkour, hat mich gepackt: Die Steuerung ist um einiges besser als in der ersten Version. Im Gegensatz zu damals wollte ich den Controller nicht schon nach wenigen Stunden aus dem Fenster werfen, sondern weiterhin durch die City of Glass rennen. Schon nach kurzer Zeit stellte sich das Flow-Gefühl ein, Faiths Abstürze und Tode fühlten sich nie unfair an.
Im ersten Teil leuchtete die Umgebung noch rot auf, um uns den Weg zu zeigen. Das wurde durch «Runner’s Vision» ersetzt, eine Art roter Faden, der kurz auftaucht und mir den Weg weist. Diese Sicht ist zeitlich gut abgestimmt und kommt immer im genau richtigen Augenblick, so dass ich im Fluss der Bewegung bleibe. Wenn nur der Rest nicht wäre.
Ach, die Kämpfe! Ach, die XPs!
Denn «Mirror’s Edge Catalyst» verbessert zwar die Parkour-Erfahrung, verschlimmert aber einiges. Das beginnt mit den Ladezeiten: Wenn Faith stirbt, dauert es auf der Playstation 4 gefühlt ewig, bis ich an derselben Stelle weiter spielen konnte. Gerade bei Wettläufen auf Zeit war das äusserst nervenaufreibend, schliesslich basieren sie darauf, dass ich einen Lauf perfektioniere. Ein neuer Versuch sollte nicht eine lange Ladezeit erfordern.
Was auch bei Kollege Guido im «Let’s Play» für viel Frust sorgte (siehe unten), war das Kampfsystem. Gerade das wurde schon im ersten «Mirror’s Edge» kritisiert – was dazu führte, dass Faith im neuen Teil nicht mehr mit Waffen schiesst, sondern nur noch waffenlosen Kampfsport betreibt.
Im neuen Teil ist es jedoch nicht viel besser. Ich fand die Kämpfe teils irritierend, teils befriedigend: Manchmal stolpert Faith orientierungslos hin und her, kickt ins Leere und stirbt einfach viel zu häufig, da sie kaum Schutz hat. Andere Kämpfe wiederum waren sehr flüssig: Aus dem Lauf einen Kick, zack, Faustschlag, weiter. Gerade aber zu Beginn des Spiels zwingt uns das Game in Tutorial-Missionen zu Kämpfen und verlangt ganz bestimmte Angriffe. Weil es bei Fehlern rüde abbricht, sind diese Lektionen nicht lehrreich, sondern frustrierend.
Mehr XP! Mehr! Mehr!
Am meisten zu kämpfen hatte ich mit dem System, Erfahrungspunkte (XP-Punkte) zu gewinnen. Überall im Game lassen sich Dinge sammeln und Nebenmissionen erfüllen, was zu mehr Punkten führt. Netterweise weist uns das Game in der Welt in grosser, roter Schrift darauf hin: Hier! Liefermission! Hier! Energiepunkt sammeln! Hier! Nebenmission! Das störte oft den Bewegungsfluss und den perfekten Lauf.
Als jemand, der möglichst alles sammeln möchte, brach ich oft Faiths Lauf mittendrin ab, um irgendeinen doofen Punkt zu sammeln, um dann wieder weiter zu laufen. Die Idee, «Mirror’s Edge» zu aktualisieren und dieses Punktesystem einzuführen, hat genau das fliessende Spielerlebnis des Parkour verschlechtert – was ursprünglich «Mirror’s Edge» so auszeichnete.
Warten auf die vergünstige Ausgabe?
«Mirror’s Edge Catalyst» hinterlässt deshalb einen gemischten Eindruck. Der Kern des Spiels, das Parkour-Gefühl, ist superb und viel besser als im alten Teil. Doch das wunderschöne Laufgefühl durch die Stadt kann nicht wettmachen, dass das Game an zu vielem krankt. Denn es reicht eben nicht, einfach Checklisten abzuarbeiten.
Mirror’s Edge ist ab 16 Jahren und läuft auf Windows, der Playstation 4 und der Xbox One.