Ich hasse Golm.
Der Ork trägt den Titel «Der Sadist», und er hat mich schon fünf oder sechs Mal getötet. Ich weiss es nicht mehr genau, weil der Hass meine Urteilskraft trübt. Ich habe es vorsichtig versucht: seine Truppe aus der Distanz ausdünnen, mit Pfeil und Bogen, anschleichen, von oben auf sie springen, hinterrücks erdolchen. Oder im direkten Kampf, mein Schwert blitzt, schwarzes Ork-Blut spritzt, aber irgendwann umzingeln sie mich immer, ich mache einen dummen Fehler, kontere nicht schnell genug, renne nicht rechtzeitig weg.
Und Golm stösst mir seinen Speer in die Brust und lacht mich aus und ich hasse, hasse, hasse ihn.
Ork-Hierarchie ständig in Bewegung
Von dieser Mechanik lebt «Mittelerde: Mordors Schatten». Die Orks, gegen die wir kämpfen, haben Namen, eine Persönlichkeit, Stärken und Schwächen. Wenn sie uns töten, verändert sich die Ork-Hierarchie entsprechend: Der Siegreiche gewinnt an Macht und steigt auf.
Das bedeutet, dass unser Tod die Spielwelt verändert. Das ist selten. Meist hat der Tod der Spielfigur nur Konsequenzen für diese selbst: Wir verlieren Zeit oder Gegenstände. Doch die Welt bleibt gleich: Wir werden zurückgesetzt und machen dort weiter, wo wir kurz vor dem Tod waren, als wäre nichts gewesen. Nicht so in «Mittelerde: Mordors Schatten».
Wenn die Orks uns schon einmal angetroffen haben, erinnern sie sich daran; wenn sie uns bereits zuvor einmal getötet haben, verspotten sie uns. Besonders schlimm: Einigen Orks gelingt es, einen vermeintlichen Tod zu überleben – nach einer Weile tauchen sie plötzlich wieder auf, vernarbt und voller Rachelust. Und wenn wir einen wirklich töten, füllt sogleich ein anderer seine Stelle aus. Jeder Tod verändert also die Hierarchie der Orks dauerhaft.
Weil es eben drauf an kommt, weil es nicht egal ist, welcher Ork wann stirbt, bauen wir eine Verbindung zu dieser Welt auf. Es ist uns wichtig. Es ist persönlich.
Sehr oft sterben
Die logische Konsequenz dieser Idee ist, dass wir oft sterben müssen. Sonst würde man das Verändern der Hierarchie zu selten erleben. Entsprechend schwierig ist das Spiel.
Im Nahkampf mit dem Schwert ist Timing wichtig. Wenn das Spiel anzeigt, dass wir jetzt den Hieb eines Orks kontern können, müssen wir es sofort tun; wer glaubt, Hiebe einfach wegstecken zu können, wird nie lange stehen. Ebenso wichtig ist gute Positionierung, uns nie von der Horde umzingeln zu lassen.
Bevor uns ein Ork den Todesstoss versetzt, können wir noch versuchen, diesen abzuwehren. Wir müssen dazu einen Stick in eine zufällige Richtung und einen der vier farbigen Knöpfe drücken. Diese Mechanik nervte mich, weil sie mir zu zufällig, zu untrainierbar ist. Doch ich muss zugeben: Wenn es in einem Kampf soweit kommt, habe ich davor schon zu viele Fehler gemacht.
Denn besser ist es ohnehin, nicht bemerkt zu werden. Unsere Spielfigur ist Talion, ein Waldläufer aus Gondor, und da macht es natürlich Sinn, dass er schleicht oder seinen Bogen einsetzt. Und im Zweifelsfall auch mal wegrennt.
Zwischen «Hobbit» und «Herr der Ringe»
«Mittelerde: Mordors Schatten» spielt in Mordor, bezieht sich sonst aber nicht auf die Bücher Tolkiens oder die Filme. Stattdessen ist die Geschichte des Spiels zwischen «Der Hobbit» und «Der Herr der Ringe» angesiedelt. Gollum beispielsweise hat seinen Schatzsssss bereits verloren und sucht ihn. Mordor ist noch nicht das schwarz verbrannte Land der Dunkelheit geworden, das Frodo später durchwandern wird. Und es geht nicht um alles, alles, alles wie in «Herr der Ringe». Stattdessen «nur» um Talions Familie: Bei einem Überfall nahmen Orks seine Frau, seinen Sohn und ihn gefangen und töteten alle rituell. Nun steht Talion von den Toten auf, um Rache zu üben.
Wir können uns sehr frei durch Mordor bewegen, selber die nächsten Ziele auswählen, die Geschichte weitertreiben oder gezielt auf Ork-Hauptmänner Jagd machen, uns in ihre steten Machtkämpfe einmischen. Das Spiel hat dabei keinen Respekt davor, uns gleich zu Beginn jede Menge Systeme und Knöpfe um die Ohren zu hauen. Was zunächst recht überwältigend ist, gewährt auf die Dauer aber viel Freiheit.
Rache als blutroter Faden
Obwohl es viel zu entdecken und zu erledigen gibt, hatte ich nie das Gefühl, mich zu verzetteln (im Gegensatz beispielsweise zur «Assassin's Creed»-Reihe). Denn hier gibt es einen blutroten Faden, der alles zusammenhält: Rache. Die Geschichte will Rache für den Tod unserer Familie. Rache ist ein Kernmotiv unserer Gegner, an uns oder anderen Orks. Und wir haben das tiefe Bedürfnis, unsere vielen Tode beim Spielen zu rächen.
Deswegen ist «Mittelerde: Mordors Schatten» so grossartig: Geschichte, Mechanik und die vorherrschende Emotion beim Spielen sind aussergewöhnlich deckungsgleich.
Und jetzt entschuldigt mich. Golm hat lange genug seinen modrigen Gestank ausgeatmet. Sein schwarzes Blut muss den staubigen Boden Mordors tränken.
«Mittelerde: Mordors Schatten» ist für Xbox One & 360 und Playstation 3 & 4. Es ist ab 18. Zu den PR-Methoden im Vorfeld siehe das Video von Jim Sterling.