Skaten war nie nur ein Sport. Nie ging es nur um motorische Fähigkeiten oder Gleichgewichtssinn. Es musste auch immer gut aussehen. Schon für die Pioniere in den 1970er Jahren standen Style, die Ästhetik der Tricks, das dramatische In-Szene-Setzen und Festhalten im Zentrum – wie Skate-Pionier Stacy Peralta in seiner Dokumentation « Dogtown and Z-Boys » eindrücklich vorführt.
Gesponserter Style
Dass Ausübung und Darstellung von Anfang an miteinander verflochten waren, erwies sich als wirtschaftlich vorteilhaft – Skate-Magazine stilisierten den Sport, zogen Sponsoren an, die wiederum den Lifestyle finanzierten.
Es ist deshalb nicht überraschend, dass sich Skate-Spiele immer auf diesen Style, auf die Ästhetik konzentrieren. Wie Fotos oder Videos des Sports wollen auch die Spiele hyperreal sein: eine überhöhte, idealisierte Version des echten Skatens.
Und wenn sich dadurch schöne Werbeverträge mit Ausrüstern abschliessen lassen und die Stars der Szene ihre Auftritte im Spiel haben, dann beschweren sich deren kommerzielle Hersteller natürlich nicht.
So setzen die « Tony Hawk's »-Reihe von Activision oder « Skate » von Electronic Arts auf coole Typen in coolen Kleidern, die zu cooler Musik superspektakuläre Tricks abliefern: Alles ganz mühelos, vom Sofa aus, besser als in echt.
Rein mechanisch fordern diese Spiele aber vor allem das Gedächtnis der Spieler. Denn sie müssen sich die richtigen Knöpfe merken, um die spektakulärsten Tricks auszulösen. Ein bisschen muss das Timing schon stimmen, aber besonders streng sind diese Spiele selten – im Gegenteil, sie helfen uns aktiv, spektakulär auszusehen.
Timing und Feinmotorik
«OlliOlli» auf der Playstation Vita wählt entschlossen einen anderen Weg: Hier sind präzises Timing und feine Fingermotorik absolut zentral. Dieses Spiel kennt keine Gnade.
Wir sehen unseren Skater von der Seite. Die einzelnen Level in einer Stadt, einem Schrottplatz, einem Hafen sind unsere Hindernisparcours und Spielwiesen. Mit der linken Hand, dem linken Stick bereiten wir einen Trick vor. Wir halten ihn, um in die Knie zu gehen, und lassen dann los, um abzuspringen. Je nach Bewegung (von oben nach unten, von links nach rechts, gerade oder in einem Viertelkreis) macht unser kleines Figürchen dann einen «Backside Shove-It», einen «Frontside Bigspin» oder einen «360 Hardflip».
Soweit ist das noch vergleichbar mit anderen Skate-Spielen. Doch jetzt kommt der grosse Unterschied: Punkte zur Belohnung gibt es nur, wenn wir den Trick auch stehen. Dafür müssen wir kurz vor der Landung am Boden mit der rechten Hand das X drücken. Wenn wir stattdessen auf einem Geländer oder einer Kante einen Grind hinlegen wollen, müssen wir mit der linken Hand den Stick rechtzeitig in eine Richtung drücken. Diese Links-/Rechts-Wechsel präzise auszuführen ist motorisch richtig schwierig.
Und Präzision ist zentral: Je besser unser Timing ist, also je näher am Boden oder am Geländer wir drücken, desto mehr Punkte gibt es. Drücken wir allerdings zu spät, fallen wir hin und gehen leer aus.
Risk and Reward
Ein höheres Risiko gibt eine höhere Belohnung – dieses Grundprinzip setzt «OlliOlli» vorbildlich um. Nicht nur bezogen auf einen einzelnen Trick. Denn wenn wir Trick an Trick reihen, erhöht sich ein Combo-Multiplikator. Stehen wir eine lange Kombination am Schluss, gibt es viel mehr Punkte, als wenn wir uns nach jedem einzelnen Trick hätten «auszahlen» lassen. Doch auch hier gilt natürlich: Stehen wir dann den letzten Sprung nicht, verlieren wir alles.
So sind wir immer auf der Suche nach einer Möglichkeit, einen weiteren Trick in den Run einzubauen, um an einer Schlüsselstelle die Combo zu verlängern.
Üben, üben, üben
Ein guter Run dauert knapp eine halbe Minute, nicht länger – doch wir müssen die Abfolge von Hindernissen und Treppen, von Sprüngen und Grinds genau kennen, um gut durchzukommen. Also wie beim echten Skaten auch einen Run planen und dann üben, üben, üben. Bei einem Fehler reicht ein schneller Knopfdruck, um gleich noch einmal von vorn zu beginnen. Hier schaut «OlliOlli» bei der tollen «Trials»-Serie ab und macht es genau richtig: Ein «Instant Reset» passiert ohne jede Verzögerung und wird nie bestraft.
In den ersten Leveln ist heiles Durchkommen nicht allzu schwierig; gegen Ende brauchte ich aber oft Dutzende Versuche, scheiterte immer und immer wieder an der gleichen Schlüsselstelle.
Aufgaben und Highscores
Doch Durchkommen ist erst der Anfang. «OlliOlli» stachelt uns zu immer besseren Leistungen an, indem es uns die Highscores der Weltbesten in diesem Level anzeigt – oft ein Vielfaches der Zahl, auf die wird gerade noch so stolz waren.
Dazu stellt uns das Spiel in jedem Level fünf Aufgaben. Das können gradlinige sein wie eine bestimmte Punktzahl für eine Combo oder ein hohes Total zu erreichen. Dazu gibt es aber auch speziellere Aufgaben: Sammle Gegenstände ein; grinde an fünf bestimmten Dächern; komme durch, ohne je anzugeben.
Diese Aufgaben bringen Abwechslung in die reine Highscore-Jagd. Denn oft müssen wir unseren einstudierten Run verändern, um die Aufgabe erfüllen zu können. Das macht uns flexibler und lässt uns den gleichen Level neu entdecken.
Herzklopfen und Schweisshände
Besonders konsequent zeigt sich das «Risk and Reward»-Schema im «Täglichen Grind». In diesem Modus präsentiert uns das Spiel einen Level, in dem sich dann alle Spieler weltweit im Laufe der nächsten 24 Stunden messen können. Der Level wird vom Spiel zufällig erstellt, damit niemand einen Vorsprung hat. Üben können wir die Strecke dann so oft wir wollen. Doch für den Run, der in die Rangliste aufgenommen wird, haben wir genau eine einzige Chance.
Das ist eine grossartige Idee. Wie richtige Sportler können wir hart trainieren. Doch jede gute Leistung im Training nützt uns nichts, wenn wir sie dann im entscheidenden Moment nicht abrufen können.
Denn es geht auf diesen Strecken darum, den ganzen Run mit einer einzigen langen Combo zu durchfahren. Wenn wir irgendwo vor dem Ende des Levels eine Combo abschliessen, ist der Run sofort zu Ende – und wohl auch die Chance vertan, in die besseren Ränge vorzustossen. Wir wollen also möglichst viele möglichst schwierige Tricks aneinanderreihen. Doch erst, wenn wir den allerletzten stehen, fahren wir die Punkte ein.
Besser kann man das nicht gestalten. Ich habe schon lange nicht mehr bei einem Spiel so sehr Schweisshände und Herzklopfen gekriegt.
Perfekter Erstling
«OlliOlli» ist der erste Konsolen-Titel des kleinen Londoner Studios Roll7. Dass ihnen gleich ein so perfektes Spiel gelingt, ist erstaunlich.
«OlliOlli» ist ein Spiel, das auf «Flow» abzielt: diesen Zustand, in den wir in die «Zone» vorstossen, in dem wir eins werden mit der Spielfigur, in dem die Finger machen, ohne dass wir denken.
Und es ist anspruchsvoll. Es fordert unser Können. Es fokussiert absolut konsequent auf die Highscore-Jagd. Nichts ist verschwendet oder unnötig, jedes Element ist maximal clever eingesetzt.
Mit seiner minimalistischen Grafik sieht «OlliOlli» nicht aus wie echtes Skaten. Trotzdem kommt es echtem Skaten näher als jedes andere Skate-Spiel. Und darum ist es das beste Skateboard-Spiel der Welt.
«OlliOlli» ist für die Playstation Vita, zum Download über das Playstation Network. Das Haikiew ist hier.
Update: «OlliOlli» ist mittlerweile auch für PC, Mac und Linux erhältlich, über Steam. Für Playstation 3 und 4 ist es angekündigt.