Der Schnee knirscht und Lara Croft weht es fast von der Klippe. Sie schlägt ihre Kletteraxt in eine Eiswand und hangelt sich behände hoch. Unter ihr der Abgrund. Ein Rumpeln – in der Ferne donnert eine Lawine herunter. Ihr Begleiter ruft ihr noch zu, es sei zu gefährlich. Ach was! Sie zieht sich an der Klippe hoch und blickt auf eine Ruine, die weit unten im Tal steht. Los, weiter!
Die Abenteuerin ist zurück
Das war ein atemloser Einstieg wie im Film «Mad Max: Fury Road» (2015): Ich habe keine Sekunde, um Luft zu holen. Bis dahin war ich kurz in Sibirien und in Syrien, habe zum ersten Mal den Widersacher von Lara getroffen, mich durch eisige Kälte und sengende Hitze gekämpft. Ein Anfang, wie er der berühmtesten Archäologin der Welt gebührt. Lara Croft ist zurück! Und sie packt mich ab der ersten Sekunde.
Dabei sind die Orte, die Lara besucht, nichts Überraschendes: Staubige Wüsten irgendwo im Nahen Osten habe ich mittlerweile zur Genüge in anderen Games gesehen. Sowjetbasen in eisigen Berggegenden? Gähn. Aber die Landschaften sind dermassen schön, dass sie mir den Atem rauben. Immer wieder bleibe ich stehen, um die Welt zu betrachten. In Sibirien kreuzen hoppelnde Hasen und flatternde Fasane Laras Weg, in Syrien wächst tiefgrünes Moos an Höhlenwänden und Sonnenlicht bringt eine Tempelruine zum Leuchten.
Forschen, entdecken, sammeln
Schnell habe ich mich im Game zurechtgefunden – zum ersten Mal steuere ich Lara auf einer Konsole durch ihre Abenteuer. Das geht ganz gut, und rasch stellt sich eine gewisse Vertrautheit ein, wie ich sie von den früheren Tomb-Raider-Games her kenne: hüpfen, springen, schiessen. Und vor allem: viel entdecken.
Denn in «Rise of the Tomb Raider» begleite ich nicht nur eine Abenteuerin – das Game macht mich selber zu einer. Die Hauptstory ist zwar ziemlich schwach (In kurz: Fanatiker vs. Frau Croft). Aber es gibt unglaublich viel zu erforschen und zu entdecken! Zahlreiche Höhlen und Verstecke locken mit neuen Überraschungen und Dingen, die ich sammeln kann. Fühlten sich im vorherigen Teil diese Nebenexpeditionen etwas gar forciert an, lockt in «Rise of the Tomb Raider» wirklich das Abenteuer neben der eigentlichen Geschichte.
Erfolgreich geschliffenes Game-Prinzip
Damit knüpft der mittlerweile zehnte Teil der Serie erfolgreich an seinen Vorgänger «Tomb Raider» (2013) an und verstärkt, was mich damals schon überzeugte. Wer aufmerksam durch die Gegend pirscht, findet Federn und Holz für den Pfeilbogen von Lara, jagt Tiere und findet Stoff für einen grösseren Rucksack, oder Truhen und Schätze mit Waffenteilen. Und da gewisse Bereiche erst mit entsprechender Ausrüstung zugänglich sind, lohnt es sich, immer wieder an vertraute Orte im Game zurückzugehen und diese erneut zu erforschen.
Als nette Erweiterung lernt Frau Croft auch Fremdsprachen: Je mehr sie beispielsweise Wandgemälde oder Inschriften entziffert, desto besser beherrscht sie Altgriechisch, Russisch oder Mongolisch.
So hinterlässt das Game-Erlebnis von «Rise of the Tomb Raider» einen erfreulichen Eindruck: Hier wurde das geschliffen, poliert und verbessert, was der Serie 2013 einen erfolgreichen Neustart bescherte. Der einzige Nachteil: Mittlerweile ist mir die Game-Mechanik derart vertraut, dass ich im Nu die verborgenen Schätze hebe.
20 Jahre Lara – von Sexobjekt zu Persönlichkeit
Knapp zwanzig Jahre lang forscht und hüpft Lara Croft schon durch die Spielwelt. So lange begleitet sie auch mein Leben als Spielerin. All ihre Wandlungen habe ich miterlebt, bin mit ihr an so viele spannende Orte der Welt gereist: Lara Croft mit realitätsfernen Körperformen in Venedig (1996), mit zu viel Mascara in Paris (2003) bis zu Lara auf einer verwunschenen japanischen Insel (2013).
Erfreulich auch, wie sie sich über die Jahre gewandelt hat – vom Sexobjekt mit überdimensionierten Brüsten zu einer Figur mit Charakter und Tiefgang. Dazu hat der Neustart der Serie im Jahr 2013 beigetragen: Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, eine Persönlichkeit vor mir zu haben und nicht nur eine Hülle, bewehrt mit zwei Brüsten und zwei Pistolen. Und diese neue Lara Croft steckt erst noch in einem realitätsnahen Körper: der einer Frau, die lieber aus Forscherdrang eisige Felsen hochklettert als sich im Bikini am Strand räkelt.
Die neue Lara Croft
Mit dem neunten Teil begann eine Zäsur: Der letzte Teil der Reihe versuchte, neue Wege zu gehen und Lara Croft eine Persönlichkeit zu geben. Er musste einiges an Kritik einstecken. Eine Beinahe-Vergewaltigungsszene. Ein zu grosser Graben zwischen dem, was die Persönlichkeit Lara Croft darstellen sollte und ihren eigentlichen Handlungen: junge, unerfahrene, wehrlose Frau, die langsam in ihre Rolle als Abenteuerin hineinwächst. Und gleichzeitig problemlos alles umlegt, was sich ihr in den Weg stellt.
Auch im zehnten Teil ist die Story nicht perfekt, weil sie nicht immer mit der Entwicklung von Lara Crofts Persönlichkeit korreliert. Doch «Rise of the Tomb Raider» führt weiter, was der vorherige Teil erfolgreich begann: Er weckt in mir Abenteuerlust und Forschungsdrang, fokussiert gleichzeitig auf die Persönlichkeit von Lara, die so lange vernachlässigt wurde.
Der entscheidende Moment, in dem mich das Game packte, war in Sibirien. Lara Croft steckt in einem Gefängnis fest, in der Nebenzelle ein 0815- Nathan-Drake -Verschnitt. Hey Baby, wir zwei, und so. Aber sofort ist klar: Frau Croft rettet sich selbst. Von einem solchen Game will ich mehr.
«Rise of the Tomb Raider» ist ab 18 Jahren und läuft auf der XboxOne und der Xbox360. Eine Version für Windows und die PS4 ist für 2016 angekündigt.