Natürlich ist «Super Mario Bros.» ein grossartiges Spiel. Es ist mit über 40 Millionen verkauften Exemplaren eines der erfolgreichsten überhaupt. Mario ist die wohl bekannteste Game-Figur aller Zeiten. Es ist völlig unbestritten ein Meilenstein der Game-Geschichte. Doch wie spielt sich ein Spiel von 1985 heute? Ist es gut gealtert? Ich will es wissen.
Natürlich kenne ich «Super Mario Bros.». Doch ich kann behaupten, dass ich – wohl im Gegensatz zu den meisten von euch – ohne den süssen Dunst der Nostalgie in dieses Review gehen kann. Denn ich habe nie ein Nintendo Entertainment System (NES) besessen. Ich habe damals stattdessen «The Great Giana Sisters» gespielt. Und heiss geliebt, denn ich wusste nicht, dass es eine unverfroren offensichtliche Kopie des Originals war.
Original-Setup, inklusive Röhren-TV
Um auszuschliessen, dass für mein Review moderne Technologie das ursprüngliche Erlebnis verändert, besorgte ich mir ein Original-Setup. Die Konsole inklusive Spiel lieh uns Nintendo Schweiz aus. Den Röhren-TV fand ich schliesslich bei uns in den Requisiten (im normalen Einsatz haben wir keine mehr).
Es geht los mit «World 1-1», dem ersten Level. Ich renne mit Mario nach rechts. Ich hüpfe. Achtung, ein Goomba ! Draufhüpfen, Gefahr gebannt. Von unten an den Fragezeichen-Block hüpfen. Es kommt eine Münze raus. Aus einem anderen ein Pilz. Einfangen, um Mario in den grossen Super Mario zu verwandeln. Nicht in Löcher fallen. Am Schluss des Levels möglichst hoch an die Fahnenstange hüpfen.
Alles bekannt: Grüne Röhren, Schildkröten-Panzer, 1UP
Dann kommen all die anderen Elemente, die ich kenne wie mich selbst. Die grünen Röhren – manchmal führen sie in eine geheime Höhle, manchmal wachsen fleischfressende Pflanzen heraus. Die Schildkröten, deren Panzer wir herumschubsen können. Die Feuerblume, dank der wir Feuerbälle auf Feinde werfen können. Die Hammer Bros. , die ihre Hämmer nach uns werfen. Fliegende Fische. Pilze, überall Pilze. Das 1UP-Geräusch. Die Musik, die wir alle noch immer im Ohr haben. Tibidi badi Tip, Pap! (Das war Level 1-1.) Duba duba duba – Duba duba duba! (Level 1-2, natürlich.)
Und es funktioniert, noch immer! Der Bildschirm flimmert. Er ist altersschwach verzerrt. Die Pixel sind grob. Der Kontroller ist unbequem rechteckig. Es rauscht, die Musik dudelt mono. Doch das ist alles egal: Nach kurzer Zeit habe ich klamme Schweisshände. Und ein breites Grinsen im Gesicht.
Schweisshände und breites Grinsen
Natürlich ist es aus heutiger Perspektive unangenehm, nur drei Leben zu haben. Und, sind sie verbraucht, wieder ganz von vorn beginnen zu müssen. Da kommen die Schweisshände vor allem her: Wir müssen uns konzentrieren, das Spiel verzeiht keine Fehler. Und je weiter wir vorstossen, desto grösser wird der Druck, desto grösser unsere Angst, mit einem dummen Fehler alles zu versauen.
Je länger ich spiele, desto grösser wird meine Ehrfurcht. «Super Mario Bros.» ist ein Lehrstück hervorragenden Game-Designs. Es ist ein Monument minimaler Eleganz.
Den ersten Auftritt hatte Mario in «Donkey Kong» , damals noch unter dem Namen «Jumpman». Ein passender Name, denn «Donkey Kong» ist das erste Spiel, in dem unsere Spielfigur über Hindernisse und Abgründe springt. Dann erscheint «Mario Bros.» und schliesslich 1985 der dritte Auftritt von Mario in «Super Mario Bros.». Und hier blüht er so richtig auf.
Perfektes Springen
Warum dieses Spiel so grossartig ist, wird erst beim genauen Hinsehen offensichtlich. Springen ist die Kernmechanik und zunächst simpel: Auf «A» drücken und Mario hüpft. Doch im Detail ist es enorm vielschichtig: länger drücken bedeutet höher springen. Mit Tempo Anlauf holen («B» gedrückt halten) führt zu besonders weiten Sprüngen. Wenn Mario an den Rand einer Plattform springt, zieht er sich bei genug Schwung gewissermassen daran hoch und kann so Plattformen erreichen, die eigentlich ein paar Pixel zu hoch lägen. Und wenn er landet, rutscht er noch ein bisschen weiter.
Springen fühlt sich deswegen viel organischer an, als man es von der technisch doch stark limitierten Konsole von 1985 erwarten würde. Aber trotzdem nicht schwammig, sondern präzise und deshalb immer fair.
Behutsam didaktisch
Das alles spüren wir im allerersten Screen, wo Mario alleine vor blauem Himmel steht (eine Neuheit, die meisten Spiele waren damals auf schwarzem Grund). Und sogleich beginnt «Super Mario Bros.», uns das Spiel beizubringen. Wir können nur nach rechts laufen, der Bildschirm scrollt nicht nach links. Es ist sogleich klar, wo unser Ziel ist.
Dann ein erster Fragezeichen-Block, den wir wohl eher zufällig anspringen – das güldene Pling der erscheinenden Münze signalisiert Erfolg, wir lernen, dass wir Dinge von unten anhüpfen sollen.
Gleichzeitig erscheint der erste Gegner. Wir wissen zuerst nicht, dass wir ihn besiegen können. Wir versuchen also, über ihn zu hüpfen und der Gefahr auszuweichen. Doch Fragezeichen-Block ist genau so platziert, dass wir bei dem Versuch, über den Goomba zu springen, am Block anstossen, an ihm abprallen und auf dem Goomba landen. Was ihn besiegt. Wieder etwas gelernt: Wir können Gegner besiegen, in dem wir von oben auf sie hüpfen.
Im zweiten Fragezeichen-Block ist dann ein Pilz versteckt. Weil der Goomba ebenfalls Pilzform hatte, könnte der Pilz auch Gefahr bedeuten. Der Pilz bewegt sich deshalb auf Mario zu, prallt gar an einer grünen Röhre ab, damit wir ihn auf keinen Fall verfehlen. Und lernen, dass uns der Pilz in einen grösseren, stärkeren Mario verwandelt, also gut für uns ist.
Das alles ist schlicht genial. In zwei Screens und lediglich einer Handvoll Interaktionen bringt uns «Super Mario Bros.» alles bei, was wir wissen müssen: laufen, hüpfen, kämpfen, sammeln, verstärken.
Didaktisch gewissenhaft geht es weiter: In jedem Level wird ein neues Konzept eingeführt. Seien es neue Gegner (Schildkröten mit Flügeln! Fliegende Fische! Bowser!) oder neue Bauteile wie bewegliche Plattformen, Röhren oder Wasser. Das hält die Spannung hoch, überfordert aber nie.
Mehr über «Super Mario Bros.» nachdenken?
In einem Interview mit dem kürzlich verstorbenen Nintendo-Präsidenten Satoru Iwata beschreibt Mario-Erfinder Shigeru Miyamoto, wie gezielt und detailversessen «Super Mario Bros.» entwickelt wurde. Beispielsweise entschied sich Nintendo, dass sich der Pilz, den Mario in Super Mario verwandelt, bewegen sollte. Weil es aufregend ist, dem Ding, das wir wollen, nachzujagen. Doch wie schnell bewegt sich ein Pilz? Gleich schnell wie Mario, etwas langsamer oder etwas schneller? Man testete es aus und entschied sich für etwas langsamer, da diese Variante den Testpersonen am meisten Spass machte.
Enorm innovativ
Nach Springen führt «Super Mario Bros.» also auch das Konzept des «Power-Ups» ein: ein Objekt, das wir im Spiel finden und das unsere Spielfigur stärker macht. Auch hier muss man fairerweise sagen, dass die weisse Pille in «Pac-Man» zuerst war. Doch «Super Mario Bros.» verbessert die Idee entscheidend: Es gibt mehrere Power-Ups mit unterschiedlichen Auswirkungen (Pilz, Feuerblume, ein Stern, der für kurze Zeit unverwundbar macht). Und wenn wir verstärkt einen Gegner oder eine Feuerbarriere berühren, sterben wir nicht sofort, sondern verlieren zuerst das Power-Up – es verlängert also unser Leben.
Und schliesslich sind da die «Warp Pipes»: Wenn wir in Level 1-2 an einer Stelle besonders hoch springen, laufen wir sozusagen über dem Dach des Levels am normalen Ausgang vorbei und entdecken dahinter einen geheimen Raum. Dort gibt es Röhren, die uns direkt in die Level 2-1, 3-1 und 4-1 transportieren, uns also ein paar Level überspringen lassen.
So löst «Super Mario Bros.» elegant das Problem, dass es keine Spielstände speichern kann, wir also immer wieder von vorn beginnen müssen. Denn kennen wir einmal das Geheimnis der «Warp Pipes», haben wir die Wahl, ob wir alle Level durchspielen oder ein paar überspringen wollen.
Auch sonst versteckt «Super Mario Bros.» allerlei: Power-Ups, Extraleben (1UP), geheime Höhlen oder Münzen hoch über den Wolken. All diese kleinen und grossen Geheimnisse zu entdecken, hält die Level auch noch interessant, wenn wir sie zum x-ten Mal durchlaufen.
Als Konsolen fast gestorben wären, kam Mario
Zwischen 1983 und 1985 brach der amerikanische Konsolenmarkt komplett zusammen – von 3 Milliarden Dollar Umsatz auf nur noch 100 Millionen! Viel zu viele Konsolen mit veralteter oder inkompatibler Hardware, unzählige schludrige Klone der immergleichen Spielidee und die Konkurrenz durch die aufkommenden Heimcomputer liessen den Eindruck entstehen, dass Spielkonsolen vielleicht nur ein kurzlebiger Trend waren.
Doch 1985 kam die NES auf den amerikanischen Markt (in Japan war sie schon 1983 erschienen), und mit ihr «Super Mario Bros.». Und plötzlich fanden die Amerikaner ihre Freude an der Konsole wieder. 1989 war der Umsatz wieder auf 5 Milliarden Dollar angestiegen – viel davon floss nun aber nach Japan. «Super Mario Bros.» hat an dieser Wiederauferstehung einen ganz entscheidenden Anteil.
Doch das Spiel nur im Museum auf einen Sockel zu stellen, wäre schade. Denn nicht viele altern so gut wie «Super Mario Bros.». Es ist ein Meisterwerk, das heute unverändert Spass macht. Wir gratulieren zum Geburtstag!
«Super Mario Bros.» ist für das Nintendo Entertainment System. Das Haikiew ist hier.