Ein Autounfall auf einsamer Strasse. Benommen und verletzt steigen wir aus dem kaputten Fahrzeug. Fast nichts ist zu sehen in der dunklen Nacht. Nur etwas abseits der Strasse eine einsame Villa, umgeben von einem eisernen Zaun.
Mit letzter Kraft stossen wir das Tor auf, laufen durch den leicht verwilderten Vorgarten auf die Eingangstüre bei der Veranda zu. Ein Schild steht im Gras, «For Sale» – zu verkaufen. Daneben eine einsame Parkbank, eine Statue und ein paar Gräber. Das alles nur spärlich beleuchtet.
Im Licht eines Streichholzes
«White Night» ist ein unheimliches Spiel. Wenn das nicht schon der Auftakt klar macht, dann merken wir es spätestens beim Betreten des Hauses. Auch drinnen alles: schwarzweiss und dunkel. Nur im Schein eines Streichholzes sind die seltsamen Bilder an den Wänden zu sehen, Möbel, die zum Teil umgestürzt auf dem Boden liegen. Das Haus ist ein Labyrinth, die Gänge verstellt, die meisten Türen verschlossen. Unser Ziel: den Weg zurück nach draussen finden.
Doch das Haus ist nicht ganz verlassen. Es ist mit Schrecken gefüllt. In ihm wohnen Geister, gute und böse. Und es liegt an uns, die Geschichte dieses furchterregenden Ortes zu enträtseln – Licht ins Dunkel zu bringen, sozusagen.
Wir tun das, indem wir Dinge finden, die im Dunkeln verstreut sind. Die uns helfen, Rätsel zu lösen und verschlossene Türen zu Öffnen. Versteckte Hinweise, die nur im Lichtkegel eines Streichholzes zu sehen sind. Zum Glück liegen in dem Haus viele Streichholzschachteln herum.
In der strengen Schwarzweiss-Grafik von «White Night» gibt es keinen Platz für Grautöne. Das sieht nicht nur gut aus, es ist auch ein zentrales Spielelement. Denn sobald unser Streichholz erlischt, stehen wir in völliger Dunkelheit. Und wenn um uns herum nur noch schwarz ist, dann kommen bald die bösen Geister, die uns mit nur einer Berührung töten können. Sie lassen sich nur mit Streichhölzern vertreiben und nur mit elektrischem Licht ganz auslöschen. Und leider gibt es im Haus nicht mehr viele Lichtschalter, die zuverlässig funktionieren…
Vorbild Film Noir
Was die Atmosphäre angeht, ist an «White Night» kaum etwas aussetzen. Zur ungewöhnlichen Grafik mit ihren harten Kontrasten gesellt sich ein reduzierter Soundtrack aus Geräuschen und leisen Pianoklängen, an manchen Stellen von dunklem Jazz begleitet. Die Geschichte spielt in den 30er-Jahren, während der grossen Wirtschaftskrise. Der deutsche expressionistische Film stand für die Ästhetik ebenso Pate wie der amerikanische Film Noir. Genau wie die Geschichte, in die unser namenloser Protagonist hineingerät, eine Mischung ist von Horror wie aus dem «Cabinet des Dr. Caligari» und einem Marlowe-Thriller.
Dass «White Night» die strenge Dualität von Licht und Dunkelheit zu seinem zentralen Thema macht, kann den Spielfluss aber auch hemmen. Etwa wenn wir in einem Raum verzweifelt nach einem Gegenstand suchen, von dem wir wissen, dass er irgendwo im Dunklen verborgen sein muss. Dann lässt die Ungeduld nach einer Weile selbst die gruselige Atmosphäre vergessen und das Suchen wird zur nervenzehrenden Geduldprobe.
Auch die Kameraführung des Games kann frustrieren: «White Night» bedient sich fester Kameraeinstellungen, wie man sie etwa vom Survival-Horror-Klassiker «Resident Evil» kennt. Und die ungewohnten Blickwinkel tragen viel zur klaustrophobischen Atmosphäre bei.
Doch gelegentlich wird die Kamera auch zum Feind des Spielers. Wenn wir in panischer Angst vor einem Geist flüchten, nur um die Kamera ohne unser Zutun umschwenken zu sehen – so dass unsere Figur dem Geist nun nicht mehr davonläuft, sondern direkt in seine tödliche Umarmung rennt.
Platz nehmen im Speicher-Sessel
So ein Tod ist besonders ärgerlich, wenn wir danach eine längere Spielstrecke noch einmal durchlaufen müssen. Und dabei noch einmal die Rätsel lösen, die wir schon gelöst hatten. «White Night» speichert Fortschritte im Game nicht automatisch, sondern nur am Ende eines Kapitels.
Dazwischen können wir das Spiel nur sichern, wenn wir uns auf einen der Ledersessel setzten, die in der Villa verteilt sind. Das funktioniert allerdings nur, wenn der Sessel auch beleuchtet ist. Und gerade in schwierigen Passagen sind die Lichtquellen rar und ist der nächste Sessel weit entfernt.
Allerdings: Die Angst, nicht schnell genug wieder einen Speicher-Sessel zu finden erhöht den Druck und zieht die Furcht-Schraube noch zusätzlich an. Und dass das Game schwierig ist und wir die Spielwelt nicht einfach im ersten Anlauf hinter uns bringen, ist bei einem atmosphärisch so reizvollen Spiel wie «White Night» nicht eben schlimm.
«White Night» gibt es auf der Steam-Plattform in Internet zum Herunterladen für PC und Mac. Es ist ausserdem für die Playstation 4 und die Xbox One verfügbar.