Ich kauere im hüfthohen Gras eines Feldes, hinter einer Hecke. Sanft gewölbte Hügel fliessen in einen kleinen Weiler, die verlassenen Häuser von Kings Cheating («Winner of Britain in Gloom », höhö!) schimmern verlockend im Licht weniger Laternen. Vielleicht finde ich da etwas Brot, eine Flasche nahrhaftes Stout oder gar eine Kanne Tee. Auch eine Bandage oder ein paar Patronen für meine Flinte bräuchte ich dringend.
Doch ich bin nicht allein. Drei Roboter patrouillieren zwischen den Häusern; ich habe bereits gelernt, ihr widerliches Gepiepse als furchteinflössendes Warnsignal zu hören. Ich warte. Sie halten Stellung. Ist das Versprechen, in den Häusern etwas zu finden, das Risiko einer Konfrontation wert? Mein Magen knurrt; stetig schwindet meine Kraft. Ich habe keine Wahl. Ich schleiche los.
Rule, Britannia!
Überleben ist erstes Ziel in «Sir, You Are Being Hunted». Denn wir sind allein auf einer Insel, und wir werden gejagt. Von Robotern in Tweed-Jacken, mit Pfeife im Metallmund, gezwirbeltem Schnurrbart, Schiebermütze oder Zylinder, einer schönen goldlaminierten Jagdflinte und einem Robo-Hund an der Seite. Die Roboter sind rechtskonservative englische Snobs. Sie freuen sich über «lovely weather» (will heissen: Regen), beschweren sich über zu hohe Steuern, einer singt « Rule, Britannia! » vor sich hin. Und statt Füchse jagen sie eben Menschen: uns.
Gelandet sind wir hier, weil ein Experiment schief gegangen beziehungsweise explodiert ist. Wir können mit einem magischen Transport-Hinkelstein nach Hause – sofern wir 25 über die fünf Inseln verstreute Splitter finden. Und eben nicht von einem Tory-Bot über den Haufen geballert werden.
Bandagieren und essen
Was schnell passiert. Im Gegensatz zu den meisten Schiessspielen sind wir hier äusserst fragil. Einige wenige Treffer aus den Schrotflinten der Roboter reichen aus. Ausserdem müssen wir eine Blutung sofort mit einer Bandage stoppen, sonst verbluten wir. Unsere Gesundheit regeneriert sich zwar langsam, aber nur wenn wir nicht bluten und wenn wir gut genährt sind.
Nahrung zu finden ist deshalb zentral. Pilze und verschimmeltes Brot lassen wir liegen, Brombeeren oder Schokoladenkekse putzen wir gleich weg. Am besten ist Fleisch, beispielsweise eine schöne Keule Schinken. Noch besser, natürlich: eine schöne Kanne Tee. Auch Whisky findet sich und stärkt – innere Medizin! Doch betrunken schleicht es sich nicht so gut; besser eine Weile in einem Gebüsch sitzen und warten, bis wir wieder klar sehen.
Wir können ausserdem Hasen auf einer Feuerstelle braten; sofern wir auch Zündhölzer gefunden haben. Doch so ein Feuer sieht man von weit her; ist das Wild gebraten, suchen wir deshalb schnell das Weite. Auch sonst sind unsere Jäger recht kompetent: Schrecken wir zum Beispiel Vögel auf, merken das Roboter in der Nähe und kommen gerannt.
Schleichen und flüchten
Wenn wir geschickt Steine, Kerzenständer oder leere Flaschen werfen, können wir versuchen, Roboter abzulenken und hinter ihrem Rücken etwas zu plündern. Was mir allerdings meistens misslang, besonders, wenn die Jäger Hunde dabei hatten. Ohnehin sind wir meist hoffnungslos unterlegen: Selbst wenn es uns gelingt, eine Schrotflinte aufzutreiben, haben wir immer zu wenig Munition, um es auf wilde Schiessereien ankommen zu lassen. Beine unter die Arme nehmen und sich zügig vom Acker machen, ist meist die bessere Strategie.
Erst als ich auf der Nordinsel in einer Kirche ein Jagdgewehr fand, wendete sich das Blatt. Nicht so sehr, dass nun plötzlich Frontalangriffe möglich geworden wären; aber eine einsame Patrouille oder zwei Wächter konnte ich fortan recht sicher in brutzelnde Häufchen Elektroschrott verwandeln. Der Gejagte (oder die Gejagte; per Knopfdruck im Menü wird aus dem Sir eine Madam) wurde zum Jäger.
British Countryside Generator
Besonders beeindruckend ist die Landschaft. Denn die ist nicht, wie meist, von Hand erstellt. Stattdessen werden fünf Inseln zu Beginn des Spiels vom Computer generiert: eine im Zentrum, je eine weitere in den vier Himmelsrichtungen, erreichbar per Ruderboot.
«British Countryside Generator» nennen die Entwickler diesen Algorithmus. Und dem gelingen ganz tolle Landschaften, in drei verschiedenen Typen: Ländlich, mit Feldern, Hecken, lichten Laubwäldchen, verteilten Weilern; Gebirge mit hohen Felsen, Nadelwald, einzelnen Hütten und Burgruinen; und Moor, mit viel Schilf und feuchten Kanälen.
Das spart aber nicht nur den Entwicklern Arbeit. Sondern es bedeutet auch, dass meine Inseln anders aussehen als eure, wir alle unsere eigene kleine britische Inselwelt entdecken können.
Noch lange nicht fertig
«Sir, You Are Being Hunted» ist erst als Alpha-Version erschienen, ist also noch weit davon entfernt, fertig zu sein. Kaufen und spielen kann man es jetzt schon. Die Entwickler setzen sich zum Ziel, im nächsten halben Jahr ungefähr monatlich neue Versionen zu veröffentlichen. Weitere Landschaftstypen stehen hoch oben auf der To-Do-Liste; als nächstes ist eine Industrie-Zone geplant. Durch urbanere Landschaft würde sich nicht nur der Look des Spiels, sondern wohl auch die Spielweise wesentlich erweitern: Um Häuser und Industrieruinen schleicht es sich anders als im weiten Feld.
Mehr Gegner sind ebenfalls geplant, beispielsweise berittene Roboter (vor denen es mir jetzt schon graut) oder Robo-Wilderer, die Fallen stellen. Am aufregendsten ist sicher die Aussicht auf ein Multiplayer-Modus, wo wir nicht mehr alleine auf der Insel sein werden, sondern mit anderen Spielern zusammen. Allerdings kann am Ende nur eine Person entwischen, was eine spannende Dynamik ergeben müsste: Arbeitet man zusammen gegen die Roboter? Zerfleischen sich die Menschen gleich zu Beginn untereinander? Wem vertraut man?
Doch das ist noch weit weg. Entwickler Big Robot ist ein winziges Studio, vier Personen und einige Freelancer; bis zu einem 1.0-Release wird es bestimmt noch ein Jahr dauern. Dennoch kann man «Sir, You Are Being Hunted» heute schon mit Gewinn spielen. Die Landschaften sind wunderbar düster und stimmungsvoll. Die Atmosphäre von Anspannung und Angst ist grossartig; insbesondere, dass es meist still ist, jedes Geräusch eine Funktion hat. Texte und Gestaltung zeugen ausserdem von einem feinen Humor, der das Spiel gleich sympathisch macht. Und die Spielsysteme (schleichen, überleben, ein « Tweed punk Stalker ») sind elegant und konsequent.
Big-Robot-Gründer Jim Rossignol beschreibt sich selbst so: «Jim Rossignol is a device for turning tea into literature». Er schreibt schon lange über Games, zum Beispiel für PC Gamer, Edge und Rock Paper Shotgun. Rossignol ist damit eigentlich Kritiker; er schreibt über die Games anderer, richtet über sie. Es braucht eine gehörige Portion Mut, von da auf die andere Seite zu wechseln. Die bisherige Entwicklung von «Sir, You Are Being Hunted» zeigt allerdings, dass er und sein Team durchaus in der Lage sind, die als Kritiker geäusserten Design-Ideale auch selbst umsetzen zu können. Das ist beeindruckend.
«Sir, You Are Being Hunted» ist für Windows, Mac und Linux, zum Download bei Steam oder direkt bei Big Robot Games. Das Haikiew ist hier.