Wer kennt es nicht: Man will gerade los, als die Chefin noch mit einer kleinen Zusatzaufgabe kommt. Also muss der Feierabend warten. Und obwohl die Augenringe zum Boden reichen, springst du halt doch zum Kinderhüten beim Kollegen ein. Dabei wäre nur ein Wort nötig gewesen: Nein. Warum fällt es uns oft schwer, Nein zu sagen? Das hat viel mit Kindheitserfahrungen zu tun, weiss Psychologin Beatrix Ott. Die gute Nachricht: Nein sagen lässt sich lernen.
SRF: Warum fällt vielen von uns ein Ja leichter als ein Nein?
Beatrix Ott: Der Grund liegt meist in der Kindheit. In der Trotzphase probieren Kinder das Nein aus. Und die meisten von uns machen dann auch die Erfahrung, getadelt oder zurückgewiesen zu werden. So merken viele oft früh, dass es einfacher und konfliktfreier sein kann, einfach Ja zu sagen.
Wir sagen Ja, um Konflikte zu vermeiden. Und auch, um Anerkennung zu erhalten?
Das kann ein weiterer Antrieb sein: Das Gefühl, dass mich die Menschen eher mögen, wenn ich mitmache. Wir können uns dann auch selbst als selbstlosen, als guten Menschen ansehen. Bei vielen geht es zusätzlich darum, Schuldgefühle zu vermeiden – sich nicht schlecht zu fühlen, weil die eigenen Bedürfnisse vor den Bedürfnissen anderer kommen.
Nein sagen hat also viel damit zu tun, welchen Wert jemand sich selbst zugesteht. Mit Selbstachtung.
Genau, damit hat es sehr viel zu tun. Wer sich selbst achtet, der achtet auch eher auf die eigenen Bedürfnisse. Ich kenne die eigenen Wünsche und Grenzen besser. Nur schon dadurch bekommen sie einen höheren Stellenwert im Leben – und es wird schwieriger, einfach über sie hinwegzugehen.
Ich denke schon, dass wir in der Schweiz einem klaren Nein eher ausweichen.
Sagen wir allgemein zu oft Ja – und zu wenig Nein?
Ich denke schon, dass wir in der Schweiz einem klaren Nein eher ausweichen. Wir neigen zu einem Understatement wie: «Das wird schon möglich sein». Das explizite Nein ist in Deutschland wohl häufiger – wobei es natürlich auch da ähnliche Hürden beim Ablehnen gibt.
Wir sollten also häufiger Nein sagen?
Ich würde sagen, wir sollten bewusster Ja oder Nein sagen. Dazu gehört aber die Überlegung, ob eine Anfrage nun wirklich passt oder nicht. Was nicht immer einfach ist. Es heisst manchmal auch, dass wir uns Bedenkzeit rausnehmen, indem wir sagen «Ich gebe später Bescheid» oder «Ich melde mich morgen».
Das ist im Arbeitsalltag nicht immer möglich. Wenn Vorgesetzte noch mit einer Aufgabe aus uns zukommen, die es rasch zu erledigen gilt.
Hier kann es Sinn machen, den Ball zurückzuspielen. Indem wir darauf aufmerksam machen, welche Aufgaben bereits anstehen und auch erledigt werden müssen. Und dann zurückfragen, wo wir die Priorität setzen sollen, wenn wir Zusatzarbeit übernehmen.
Nein sagen müssen wir immer wieder üben.
Wie kann ich Nein sagen lernen?
Wichtig ist das Bewusstsein, dass das Ganze ein Lernprozess ist. Wir müssen es immer wieder üben. Dazu können wir uns konkrete Situationen vornehmen, in denen es jedenfalls zu Beginn um eher Unwichtiges geht. Auf diese Situationen können wir uns dann bewusst vorbereiten: Wir können das Nein vor dem Spiegel einüben, bei Bedarf auch mit der entsprechenden Körperhaltung - verschränkte Arme beispielweise.
Müssen wir ein Nein auch immer begründen können?
Überhaupt nicht. Man darf ein Nein begründen, muss es aber nicht. Und schon gar nicht muss man sich entschuldigen dafür. Ich erlebe aber oft, wenn Menschen das Nein sagen lernen wollen, dass es ihnen anfänglich hilft, wenn sie es begründen, noch etwas dazu sagen. Das gilt aber nicht für lange Zeit. Denn sonst öffnen solche Begründungen den anderen wieder Raum, um Druck auszuüben für ein Ja.
Das Gespräch führte Matthias Büeler.