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Aktuell mit Judith Wernli im Gespräch zum Thema Neinsagen
Aus Focus vom 23.01.2023. Bild: Colorboux
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 51 Sekunden.
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Gegen Stress Nein sagen lernen: So geht's

Wer kennt es nicht: Man will gerade los, als die Chefin noch mit einer kleinen Zusatzaufgabe kommt. Also muss der Feierabend warten. Und obwohl die Augenringe zum Boden reichen, springst du halt doch zum Kinderhüten beim Kollegen ein. Dabei wäre nur ein Wort nötig gewesen: Nein. Warum fällt es uns oft schwer, Nein zu sagen? Das hat viel mit Kindheitserfahrungen zu tun, weiss Psychologin Beatrix Ott. Die gute Nachricht: Nein sagen lässt sich lernen.

Beatrix Ott

Beatrix Ott

Psychotherapeutin

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Beatrix Ott ist Psychotherapeutin und führt eine eigene Praxis in St. Gallen. Ein Fokus ihrer Arbeit liegt auf Stressmanagement.

SRF: Warum fällt vielen von uns ein Ja leichter als ein Nein?

Beatrix Ott: Der Grund liegt meist in der Kindheit. In der Trotzphase probieren Kinder das Nein aus. Und die meisten von uns machen dann auch die Erfahrung, getadelt oder zurückgewiesen zu werden. So merken viele oft früh, dass es einfacher und konfliktfreier sein kann, einfach Ja zu sagen.

Wir sagen Ja, um Konflikte zu vermeiden. Und auch, um Anerkennung zu erhalten?

Das kann ein weiterer Antrieb sein: Das Gefühl, dass mich die Menschen eher mögen, wenn ich mitmache. Wir können uns dann auch selbst als selbstlosen, als guten Menschen ansehen. Bei vielen geht es zusätzlich darum, Schuldgefühle zu vermeiden – sich nicht schlecht zu fühlen, weil die eigenen Bedürfnisse vor den Bedürfnissen anderer kommen.

Nein sagen hat also viel damit zu tun, welchen Wert jemand sich selbst zugesteht. Mit Selbstachtung.

Genau, damit hat es sehr viel zu tun. Wer sich selbst achtet, der achtet auch eher auf die eigenen Bedürfnisse. Ich kenne die eigenen Wünsche und Grenzen besser. Nur schon dadurch bekommen sie einen höheren Stellenwert im Leben – und es wird schwieriger, einfach über sie hinwegzugehen.

Ich denke schon, dass wir in der Schweiz einem klaren Nein eher ausweichen.
Autor: Beatrix Ott Psychologin

Sagen wir allgemein zu oft Ja – und zu wenig Nein?

Ich denke schon, dass wir in der Schweiz einem klaren Nein eher ausweichen. Wir neigen zu einem Understatement wie: «Das wird schon möglich sein». Das explizite Nein ist in Deutschland wohl häufiger – wobei es natürlich auch da ähnliche Hürden beim Ablehnen gibt.

Nein sagen kann man lernen

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Legende: Colourbox

Ablehnen oder Absagen lässt sich trainieren. Hier die wichtigsten Tipps von Expertin Beatrix Ott:

1. Übung: Nein sagen ist ein Lernprozess, der Zeit braucht. Es hilft zum Beginn, sich konkrete Situationen vorzunehmen, in der wir Nein sagen wollen. Auf die wir uns dann vorbereiten können. Wir können das Nein sagen dann vor dem Spiegel einüben, vielleicht auch mit der entsprechenden Körperhaltung. Am besten sind das Situationen, in denen es um eher unwichtige Entscheide geht.

2. Bedenkzeit: Es ist wichtig, sich beim Abwägen von Ja oder Nein die nötige Zeit zu geben. Nur so spüren wir wirklich, ob wir für eine bestimmte Aufgabe noch Kraft haben, ob sie uns zusagt, etc. Es hilft daher, sich Sätze bereitzulegen, welche Bedenkzeit schaffen: «Ich melde mich später nochmals» oder «Ich rufe morgen zurück».

3. Mut: Viele Befürchtungen im Zusammenhang mit Nein sagen sind unbegründet. Wer auch mal Nein sagt, wird deswegen nicht abgelehnt oder als Egoist abgestempelt. Im Gegenteil: Es gibt den gesunden Egoismus – die Fähigkeit, für sich selbst einzustehen. Wer diese hat, bekommt dafür auch meist Respekt von anderen.

Wir sollten also häufiger Nein sagen?

Ich würde sagen, wir sollten bewusster Ja oder Nein sagen. Dazu gehört aber die Überlegung, ob eine Anfrage nun wirklich passt oder nicht. Was nicht immer einfach ist. Es heisst manchmal auch, dass wir uns Bedenkzeit rausnehmen, indem wir sagen «Ich gebe später Bescheid» oder «Ich melde mich morgen».

Das ist im Arbeitsalltag nicht immer möglich. Wenn Vorgesetzte noch mit einer Aufgabe aus uns zukommen, die es rasch zu erledigen gilt.

Hier kann es Sinn machen, den Ball zurückzuspielen. Indem wir darauf aufmerksam machen, welche Aufgaben bereits anstehen und auch erledigt werden müssen. Und dann zurückfragen, wo wir die Priorität setzen sollen, wenn wir Zusatzarbeit übernehmen.

Nein sagen müssen wir immer wieder üben.
Autor: Beatrix Ott Psychologin

Wie kann ich Nein sagen lernen?

Wichtig ist das Bewusstsein, dass das Ganze ein Lernprozess ist. Wir müssen es immer wieder üben. Dazu können wir uns konkrete Situationen vornehmen, in denen es jedenfalls zu Beginn um eher Unwichtiges geht. Auf diese Situationen können wir uns dann bewusst vorbereiten: Wir können das Nein vor dem Spiegel einüben, bei Bedarf auch mit der entsprechenden Körperhaltung - verschränkte Arme beispielweise.

Eine kleine Übung: Shoppingtour ohne Einkauf

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Bist du ein Mensch, der nur schlecht Nein sagen kann? Der in jedem Verein noch aushilft, beim Job überall einspringt, den Kollegen bei jedem Umzug die Möbel trägt? Beatrix Ott hat eine einfache Übung, um das Nein sagen in einem einfachen und unproblematischen Umfeld zu üben: Die Shoppingtour ohne Einkauf.

«Gehen Sie in einen Laden, probieren Sie Kleidung an, lassen Sie sich beraten. Und kaufen Sie nichts», so Ott: «So manche Menschen fühlen sich da schon verpflichtet, auch etwas zu kaufen. Weil sie beispielsweise die Zeit des Personals beansprucht haben.»

Das Portemonnaie bewusst in der Tasche zu lassen, ist in diesem Fall schon eine erste Übung, über diesem Pflicht- oder Schuldgefühl zu stehen.

Müssen wir ein Nein auch immer begründen können?

Überhaupt nicht. Man darf ein Nein begründen, muss es aber nicht. Und schon gar nicht muss man sich entschuldigen dafür. Ich erlebe aber oft, wenn Menschen das Nein sagen lernen wollen, dass es ihnen anfänglich hilft, wenn sie es begründen, noch etwas dazu sagen. Das gilt aber nicht für lange Zeit. Denn sonst öffnen solche Begründungen den anderen wieder Raum, um Druck auszuüben für ein Ja.

Das Gespräch führte Matthias Büeler.

Aktuell, Montag 23.01.2023, 09:50 Uhr, Radio SRF 3;

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