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«Input» Warum ist uns der Anus peinlich?

Die Klitoris hat sie hinter sich, die Vulva auch. Der Penis sowieso: die Enttabuisierung. Nicht aber der Anus. Kein Körperteil ist uns peinlicher – aber warum eigentlich? Ein Gastroenterologe klärt auf.

Niemand hat charmanter über unser Verdauungsorgan geschrieben als die junge Ärztin Giulia Enders, die Autorin von «Darm mit Charme» . Ihr Buch tummelt sich noch immer in den Bestseller-Listen, auch fünf Jahre nach der Erscheinung.

Der Anus ist ein Arbeitstier

Trotz dem Erfolg: Der allerletzte Abschnitt des Darms und die damit verbundene Öffnung vermochte sie nicht zu enttabuisieren. Noch immer führt der Anus in unserer Gesellschaft ein Schattendasein, obwohl er ein richtiges Arbeitstier ist:

  • Pro Menschenleben laufen 50’000 Liter Flüssigkeit durch den Anus. Und 30 Tonnen Nahrung. Im Schnitt öffnet sich der Anus 30’000-mal pro Leben für eine Stuhlentleerung.
  • Schweizerinnen und Schweizer produzieren pro Tag zusammen fast 1900 Tonnen Stuhl .

«Es ist höchste Zeit, dass wir den Anus enttabuisieren!»

Nun startet Martin Wilhelmi einen Anlauf: «Es ist höchste Zeit, dass wir den Anus enttabuisieren», sagt der in Zürich praktizierende Gastroenterologe. Er ist überzeugt, dass wir dadurch mehr Toleranz und Gleichberechtigung erreichen.

Die SRF 3-Sendung zum Thema

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«Input» holt das tabuisierte Organ aus der Schmutz- und Ekel-Ecke und erklärt, warum wir den Anus als «Übeltäter» freisprechen sollten. Er ist nämlich ein Wunder der Natur.

Den Kurzpodcast «Input Story» kannst du dir jetzt hier anhören . Die einstündige «Input» -Sendung zum Thema strahlen wir am Sonntag, 15. September um 20 Uhr auf SRF 3 aus.

Also hat er vor kurzem ein Buch veröffentlicht, «Der Po-Doc» heisst es, «Eine Reise zum Ende des Darms». Auf über 300 Seiten klärt er wohl alle Fragen zum Enddarm: Wie funktioniert er genau? Was kommt raus, was darf rein? Und auch: Warum ist uns der Anus so peinlich?

Warum ist er uns peinlich?

Ja, warum ist uns der Anus so peinlich? Die Antwort liegt nahe: Er ist unser Ausscheidungsorgan. Und vor dieser Ausscheidung ekeln wir uns. Der Kot stinkt, er sieht unappetitlich aus.

Zwar ist Ekel ein natürlicher Schutzmechanismus, der uns auch ein soziales Zusammenleben ermöglicht. Rein biologisch gesehen aber sei es nicht gerechtfertigt, dass wir uns vor unserem Kot ekeln, findet Martin Wilhelmi: «In der Tierwelt haben wir viele Beispiele dafür, dass Stuhl nach der Geburt instinktiv aufgenommen wird, um den Darm mit den richtigen Bakterien zu besiedeln. Etwa Fohlen.»

«Stuhl löst keine Krankheiten aus»

Auch für uns Menschen ist der Stuhl nicht schädlich: «Rein medizinisch-gesundheitlich gesehen löst der Stuhl in der Regel keine Krankheiten aus, selbst wenn wir ihn essen würden.». Der Gastroenterologe selbst ekelt sich denn auch mehr vor Ohrenschmalz als vor Exkrementen.

Martin Wilhelmi, Gastroenterologe.
Legende: Martin Wilhelmi: Der Gastroenterologe setzt sich für die Enttabuisierung des Anus ein. PD

Nicht zuletzt deshalb ist er überzeugt, dass der Ursprung für unsere Abneigung gegen Exkremente in unserer Kindheit liegt: «Wir versuchen Kinder zu trainieren, um einen gewissen Hygienestandart herzustellen. Meiner Meinung nach aber wird das überhöht.»

«Der Anus hat nichts mit Homosexualität zu tun!»

Der Anus ist aber auch aus einem anderen Grund eine Tabu-Zone: wegen der noch immer weit verbreiteten Homophobie, also der Angst vor Gleichgeschlechtlichkeit .

Das erlebt Martin Wilhelmi in seinem Praxisalltag immer wieder: «Bei vielen heterosexuellen Männern besteht eine natürliche, sexuelle Neugierde für den Anus, welche jedoch häufig unterdrückt wird – aus Angst mit Homosexualität in Verbindung gebracht zu werden oder der Sorge, ‹schwul› zu sein.» Den Grund dafür sieht er im gesellschaftlichen Verständnis von Männlichkeit:

Das Bild des Mannes ist noch immer das des Aktiven und damit Eindringenden. Ein Mann, der eindringt – auch in den Anus einer Frau – ist immer noch ein Mann. Wenn ein Mann sich aber passiv der analen Lust hingibt, dann kriegt er Probleme mit seinem Selbstbild und mit seinem Bild in der Gesellschaft. Weil er sich in den passiven Bereich begibt.
Autor: Martin Wilhelmi Gastroenterologe

Eine völlig unlogische Schlussfolgerung, findet der Gastroenterologe und betont: «Der Anus hat nichts mit Homosexualität zu tun!»

«Sexuelle Lust akzeptieren»

Martin Wilhelmi denkt noch einen Schritt weiter: «Wenn wir die sexuelle Lust am Anus bei beiden Geschlechtern gleichermassen akzeptieren würden, wäre das wahre Gleichberechtigung. Denn es würde in letzter Konsequenz auch die stereotypen Geschlechterrollen «aktiv-passiv» und «dominant-devot» aufbrechen.»

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