100 Millionen Menschen sind aktuell auf der Flucht und viele unter ihnen suchen sich eine neue Heimat. Es sind Millionen unterschiedliche Integrationsgeschichten. Eine davon ist jene von Nawaz Ali Paiman aus Afghanistan.
Blick in Alis Album
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Bild 1 von 8. Ali zwei Wochen vor seiner Flucht. 2015 ergreift Ali die Flucht, weil die Taliban ihm mit dem Tod drohten. Morgens um 03.00 Uhr verlässt er Ghazni im östlichen Afghanistan. Bildquelle: zVg/Nawaz Ali Paiman.
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Bild 2 von 8. Alis Familie bleibt zurück. Fünf jüngere Geschwister hat Ali. Seine Mutter, drei Schwestern und zwei Brüder leben in Jaghuri in der Provinz Ghazni. Sein Vater war Bauer und starb 2016 an einem Herzinfarkt. Bildquelle: zVg/Nawaz Ali Paiman.
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Bild 3 von 8. Ali und sein Schlepper. Von Afghanistan bis nach Griechenland war Ali auf Schlepper angewiesen. Je näher sie an Europa waren, desto mehr verlangten die Schlepper. Für den ersten durch den Iran bezahlte Ali umgerechnet 400 Franken, für den letzten zwischen der Türkei und Griechenland 1700 Franken. Bildquelle: zVg/Nawaz Ali Paiman.
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Bild 4 von 8. Kulturschock für Ali. Auf seiner Flucht und dann auch im Asylzentrum in Appenzell kam Ali das erste Mal in Kontakt mit anderen Kulturen. Er sagt heute, erst sei es ein Schock gewesen und dann aber eine Bereicherung. Bildquelle: zVg/Nawaz Ali Paiman.
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Bild 5 von 8. Neue Heimat Alpsteingebiet. 2016 stellte der Künstler Christian Meier einen leuchtenden Halbmond mitten in den Alpstein. Anlass für den Muslim Ali, Beatrice und Marco auf den Säntis zu gehen und bei Schweinesteak an Whiskysauce den leuchtenden Halbmond bewundern: Kultureller Brückenschlag par excellence! Bildquelle: zVg/Nawaz Ali Paiman.
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Bild 6 von 8. Die Arbeit als wichtigen Halt. Im Hotel Appenzell bekam Ali die Chance eine Lehre abzuschliessen. Die geregelte Arbeit gab dem jungen Flüchtling Struktur im Alltag. Das sei sehr wichtig gewesen, sagt Ali rückblickend. Bildquelle: zVg/Nawaz Ali Paiman.
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Bild 7 von 8. Der Besuch an der Olma darf nicht fehlen. 2018 ging es an die Olma mit Freunden. Alis Tagesfazit: «Das war mein glücklichster Tag seit langem». Bildquelle: zVg/Nawaz Ali Paiman.
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Bild 8 von 8. Angekommen in der Schweiz. Mit einem Freund bewohnt Ali eine 3.5-Zimmer-Wohnung in Gossau (SG), arbeitet in der Fleischverarbeitung eines Grossverteilers und sagt von sich: «Ich bin angekommen und ich fühle mich nicht mehr als ein fremder Mensch». Bildquelle: zVg/Nawaz Ali Paiman.
Es war an einem Nachmittag im Sommer 2016
Nawaz Ali Paiman hat von einem Kollegen vernommen, dass ich Asylbewerbern schon Deutsch unterrichtet habe. Also suchte er mich auf und klingelte an der Tür.
Hallo, ich bin Nawaz Ali und ich möchte gerne Deutsch lernen.
Leicht überrascht und auch beeindruckt von dieser Initiative öffnete ich ihm die Tür. Nawaz Ali sprach noch sehr wenig Deutsch. Allein schon herauszufinden welches sein Vor- und welches sein Nachname ist, fiel schwer. Wir einigten uns auf Ali und auf gemeinsame Deutschlektionen bei mir. Das war der Beginn einer gemeinsamen Integrationsreise.
Ziele müssen neu abgesteckt werden
Von Alis Ehrgeiz Deutsch zu lernen war ich beeindruckt. Er war getrieben vom fixen Ziel: Politikstudium. Dazu fehlte ihm allerdings die Matura und bei allem Ehrgeiz auch die nötigen Sprachkenntnisse. Wenn er nicht Deutsch lernte, arbeitete er als Küchenhilfe in einem Hotel in Appenzell. Auch dort fiel sein Ehrgeiz auf. Man bot ihm schnell eine Lehrstelle als Koch an. Allerdings waren seine Ziele andere. Mit Ach und Krach liess er sich aber von dieser Lehre überzeugen, anders gesagt, vom dualen Bildungssystem in der Schweiz.
Ich habe gelernt, direkt geht es nicht. Aber, über Umwege geht alles. Ich werde meine Ziele erreichen.
2020 schloss Ali als Klassenbester die Anlehre als Koch ab. Für ihn ist klar, er möchte sich noch weiterbilden, ein Studium ist noch immer das Ziel. Und er weiss, es ist möglich. Allein dieser Abschluss habe ihm schon Türen geöffnet. Heute arbeitet er bei der Fleischverarbeitung eines Grossverteilers mit Aussicht auf eine leitende Position.
Integration ist mehr als Deutsch lernen
Im Asylzentrum in Appenzell fühlte sich der knapp 20-jährige Flüchtling nicht wohl. Immer wieder kam es zu Meinungsverschiedenheiten mit der Heimleitung.
Ich habe nur mich gesehen und was ich wollte. Anders als damals weiss ich, dass es für das Zusammenleben in einem Heim Regeln braucht.
Ich wohnte damals in einer Art Wohngemeinschaft mit Fernsehmoderator Marco Fritsche. Ihm gehörte auch das leerstehende Haus nebenan. Er stellte es Ali zur Verfügung, was Ali die Freiheit gab, sein Leben in die Hand zu nehmen.
Obwohl sein Deutsch schon gut war, redete er zu wenig, vor allem wenn es darum geht, Probleme zu lösen. Als seine Mutter krank wurde, brauchte er 10'000 Franken, um ihr eine Behandlung in Pakistan zu ermöglichen. Anstatt vorgängig mit seinem Chef, mit dem er eine freundschaftliche Beziehung pflegte, zu reden oder mit mir, nahm er einen unseriösen Kredit auf.
Was ich da gemacht habe war dumm. Es hat mich gelehrt, vorher mit Leuten zu reden, denen ich vertraue.
Sein Chef half ihm aus und gab Ali dann die nötige Zeit, die Schulden zurückzuzahlen. Ohne diese Hilfe hätte Ali seine Lehre abbrechen müssen und seine Ziele hätten sich weiter entfernt.
Für Ali war das eine wichtige Lektion, sagt er im Podcast «Input». «Ich habe gelernt zu reden und Integration ist Dialog». Einfach die Wörter kennen, reiche nicht, man müsse verstehen, warum und wieso eine Gesellschaft so funktioniert wie sie es tut. «Wenn ich das verstehe, dann kann ich Teil davon sein».
Ali lebt heute ein unabhängiges Leben und fühlt sich integriert. Wir treffen uns sporadisch oder an Festtagen und pflegen eine freundschaftliche Beziehung. Sollte es irgendwann möglich sein, ist eine gemeinsame Reise nach Afghanistan abgemachte Sache.