Zum Inhalt springen

Integration Nawaz Ali Paiman: «Ich bin angekommen»

Nawaz Ali Paiman gehört in Afghanistan der schiitischen Minderheit Hazara an. Weil er sich den Taliban nicht anschliessen wollte, wurde ihm das Studium verweigert und mit dem Tod gedroht. Mit 17 beschliesst er zu flüchten. Sein Ziel war klar: Die Schweiz. Grund: Das Bildungssystem.

100 Millionen Menschen sind aktuell auf der Flucht und viele unter ihnen suchen sich eine neue Heimat. Es sind Millionen unterschiedliche Integrationsgeschichten. Eine davon ist jene von Nawaz Ali Paiman aus Afghanistan.

Blick in Alis Album

Es war an einem Nachmittag im Sommer 2016

Nawaz Ali Paiman hat von einem Kollegen vernommen, dass ich Asylbewerbern schon Deutsch unterrichtet habe. Also suchte er mich auf und klingelte an der Tür.

Hallo, ich bin Nawaz Ali und ich möchte gerne Deutsch lernen.
Autor: Nawaz Ali Paiman Flüchtling

Leicht überrascht und auch beeindruckt von dieser Initiative öffnete ich ihm die Tür. Nawaz Ali sprach noch sehr wenig Deutsch. Allein schon herauszufinden welches sein Vor- und welches sein Nachname ist, fiel schwer. Wir einigten uns auf Ali und auf gemeinsame Deutschlektionen bei mir. Das war der Beginn einer gemeinsamen Integrationsreise.

Ziele müssen neu abgesteckt werden

Von Alis Ehrgeiz Deutsch zu lernen war ich beeindruckt. Er war getrieben vom fixen Ziel: Politikstudium. Dazu fehlte ihm allerdings die Matura und bei allem Ehrgeiz auch die nötigen Sprachkenntnisse. Wenn er nicht Deutsch lernte, arbeitete er als Küchenhilfe in einem Hotel in Appenzell. Auch dort fiel sein Ehrgeiz auf. Man bot ihm schnell eine Lehrstelle als Koch an. Allerdings waren seine Ziele andere. Mit Ach und Krach liess er sich aber von dieser Lehre überzeugen, anders gesagt, vom dualen Bildungssystem in der Schweiz.

Ich habe gelernt, direkt geht es nicht. Aber, über Umwege geht alles. Ich werde meine Ziele erreichen.
Autor: Nawaz Ali Paiman Flüchtling

2020 schloss Ali als Klassenbester die Anlehre als Koch ab. Für ihn ist klar, er möchte sich noch weiterbilden, ein Studium ist noch immer das Ziel. Und er weiss, es ist möglich. Allein dieser Abschluss habe ihm schon Türen geöffnet. Heute arbeitet er bei der Fleischverarbeitung eines Grossverteilers mit Aussicht auf eine leitende Position.

Integration ist mehr als Deutsch lernen

Im Asylzentrum in Appenzell fühlte sich der knapp 20-jährige Flüchtling nicht wohl. Immer wieder kam es zu Meinungsverschiedenheiten mit der Heimleitung.

Ich habe nur mich gesehen und was ich wollte. Anders als damals weiss ich, dass es für das Zusammenleben in einem Heim Regeln braucht.
Autor: Nawaz Ali Paiman

Ich wohnte damals in einer Art Wohngemeinschaft mit Fernsehmoderator Marco Fritsche. Ihm gehörte auch das leerstehende Haus nebenan. Er stellte es Ali zur Verfügung, was Ali die Freiheit gab, sein Leben in die Hand zu nehmen.

Beatrice Gmünder (46)

Box aufklappen Box zuklappen
Ali und Beatrice
Legende: Ali und Beatrice Ali und mit seiner Deutschlehrerin Beatrice Gmünder. Ali Nawaz Paiman

«Input»-Redaktorin Beatrice Gmünder lebt in Appenzell und ist ausgebildete Primarlehrin, unterrichtete Deutsch während der Balkankrise im Asylzentrum Appenzell. Seit 2003 arbeitet sie als Journalistin in verschiedenen Funktionen bei Radio SRF.

Obwohl sein Deutsch schon gut war, redete er zu wenig, vor allem wenn es darum geht, Probleme zu lösen. Als seine Mutter krank wurde, brauchte er 10'000 Franken, um ihr eine Behandlung in Pakistan zu ermöglichen. Anstatt vorgängig mit seinem Chef, mit dem er eine freundschaftliche Beziehung pflegte, zu reden oder mit mir, nahm er einen unseriösen Kredit auf.

Was ich da gemacht habe war dumm. Es hat mich gelehrt, vorher mit Leuten zu reden, denen ich vertraue.
Autor: Nawaz Ali Paiman

Sein Chef half ihm aus und gab Ali dann die nötige Zeit, die Schulden zurückzuzahlen. Ohne diese Hilfe hätte Ali seine Lehre abbrechen müssen und seine Ziele hätten sich weiter entfernt.

Für Ali war das eine wichtige Lektion, sagt er im Podcast «Input». «Ich habe gelernt zu reden und Integration ist Dialog». Einfach die Wörter kennen, reiche nicht, man müsse verstehen, warum und wieso eine Gesellschaft so funktioniert wie sie es tut. «Wenn ich das verstehe, dann kann ich Teil davon sein».

Ali lebt heute ein unabhängiges Leben und fühlt sich integriert. Wir treffen uns sporadisch oder an Festtagen und pflegen eine freundschaftliche Beziehung. Sollte es irgendwann möglich sein, ist eine gemeinsame Reise nach Afghanistan abgemachte Sache.

Input SRF3, 19:03 Uhr, 12.06.2022 ; 

Meistgelesene Artikel