Kritik an Streamingplattform - Indiebands verlassen Spotify – doch die Plattform kümmert's wenig
Kleine und mittlere Bands kehren Spotify aus Protest den Rücken, doch ohne die Major-Labels bleibt der Aufstand wirkungslos. Diese dürften aber kein Interesse daran haben, ihre Einnahmequelle zu gefährden.
King Gizzard & the Lizard Wizard, Deerhoof, Xiu Xiu und Massive Attack gehören zu den Bands, die in den letzten Wochen bekannt gegeben haben, dass sie nicht mehr auf der Streamingplattform Spotify vertreten sein wollen. Zwar handelt es sich nicht um einen Massenexodus – und doch überraschte die Meldung.
Die Gründe
Am meisten wird die Verbindung von Spotify-CEO Daniel Ek mit der 2021 gegründeten deutschen Rüstungsfirma Helsing als Ausstiegsgrund genannt.
Legende:
Nicht allen gefällt die Richtung, in die Daniel Ek blickt.
Imago / TT
Helsing entwickelt KI-basierte Militärtechnologie und liefert unter anderem Drohnen an die Ukraine. Ek ist als Investor und strategischer Unterstützer bei Helsing tätig. «Wir wollen nicht, dass unsere Musik Menschen tötet», schreibt etwa die Band Deerhoof.
Andere kritisieren das Geschäfts- und Bezahlmodell von Spotify, bei dem weniger bekannte Musikschaffende das Nachsehen haben. Wieder andere wie etwa Joni Mitchel protestieren mit ihrem Rückzug gegen den kontroversen Podcast «The Joe Rogan Experience». Der Vorwurf: Spotify toleriere aus kommerziellem Interesse problematische Inhalte.
Wer ist Joe Rogan?
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Der US-Amerikaner ist Podcaster, Comedian und ehemaliger Schauspieler. Sein Podcast «The Joe Rogan Experience» gehört weltweit zu den meistgehörten, aber auch kontroversesten.
Rogan hat wiederholt Gäste eingeladen, die wissenschaftlich umstrittene oder widerlegte Aussagen zur Covid-Pandemie und Impfung verbreiteten. Rogan fiel auch durch rassistische Äusserungen auf, für die er sich später entschuldigte.
Spotify zahlte Rogan laut diversen Berichten rund 100 Millionen Dollar für einen Exklusivvertrag.
Wer geht, verliert Reichweite
Spotify ist mit rund 700 Millionen Nutzenden und 30 % Marktanteil weltweit die führende Streamingplattform und für Musikschaffende ein relevantes Werkzeug, um Reichweite zu generieren. Wer Spotify den Rücken kehrt, verliert an Sichtbarkeit.
Dass auch ein Teil des Einkommens wegfällt, dürfte weniger ins Gewicht fallen. Denn kleine und mittelgrosse Bands verdienen aufgrund des Pro-Rata-Systems bei Spotify sowieso sehr wenig Geld.
So funktioniert das Pro-Rata-System
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Musikschaffende werden nicht pro Stream bezahlt. Sondern die Anzahl ihrer Streams wird ins Verhältnis gesetzt zu einer Gesamtzahl von Streams innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Das heisst, dass die Auszahlung proportional zur Popularität eines Künstlers erfolgt.
Spotify sagt, dass eine Auszahlung pro Stream nicht möglich sei, weil auch die Hörerinnen nicht pro Stream bezahlen würden, sondern monatlich mit Abos. Die Rechnung ist auch deswegen so kompliziert, weil Spotify weltweit unterschiedliche Preismodelle anbietet
Für Spotify dürften die aktuellen Abgänge höchstens ein Sturm im Wasserglas darstellen. Selbst wenn ein richtig grosser Name aus dem Popgeschäft wie Drake oder Beyoncé abspringen würde, hätte dies wenig Hebelwirkung. Denn: die Macht liegt nicht bei einzelnen Musikschaffenden, sondern bei den drei Labels Sony, Warner und Universal.
Die Macht der Musiklabels
Die drei Majors haben die Verwertungsrechte für rund 70% des weltweiten Musikkatalogs. Wenn sie «ihre» Titel von Spotify abziehen würden, käme die Streamingplattform gewaltig unter Druck. Doch dass sich Sony, Warner und Universal gegen Spotify wenden, wird kaum passieren, weil sie damit eine wichtige Einnahmequelle gefährden würden.
Legende:
70% bedeutet bei diesem Regal: 5,5 von 8 Fächern.
Shutterstock / Sinnbild-Design (Ausschnitt)
Spotify verdient Geld mit Abo- und Werbeeinnahmen. Davon behält das Streamingunternehmen 30 % für sich, der Rest fliesst in die Musikindustrie. Wie viel Geld die Labels behalten und wie viel sie an die Musikschaffenden weitergeben, ist ein streng gehütetes Geheimnis.
Umsatz im Milliardenbereich
Doch ein Blick auf Umsatzzahlen lässt vermuten, zu wessen Gunsten die Rechnung ausfällt. Musikschaffende verdienen mit rund 0.3 Rappen pro Stream sehr wenig. Spotify hat seit der Gründung 2008 rote Zahlen geschrieben – 2024 war das erste gewinnbringende Geschäftsjahr.
Wer aber seit den Anfängen von Spotify kontinuierlich Gewinn im Milliardenbereich ausweist, sind Sony, Universal und Warner.
Warum Labels so viel Macht haben
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Als Spotify 2008 online gehen wollte, mussten Daniel Ek und Co die drei Major Labels ins Boot holen, denn diese kontrollieren rund 70 % des Marktes für Tonträger.
Dank der geballten Verhandlungsmacht sicherten sich Sony, Warner und Universal 17 % der Spotify-Aktien und somit auch Mitspracherecht.
Die Details von Streaming-Verträgen zwischen Spotify und den Majors sind ein streng gehütetes Geheimnis. Doch 2015 wurde der US-Vertrag von Spotify mit Sony geleaked.
Daraus ging hervor, dass das Label für die ersten zwei Jahre einen Vorschuss in Höhe von 25 Millionen Dollar erhalten hatte, ohne dass klar war, ob dieser mit den Musikschaffenden geteilt werden musste. Sony erhielt ausserdem kostenlose Werbeflächen im Wert von 9 Millionen Dollar.
Wenn kleine und mittelgrosse Bands Spotify verlassen, wird damit höchstens ein symbolisches Zeichen für mehr ethisches Bewusstsein in der Musikbranche gesetzt.
Legende:
Massive Attack gehören zu den Bands, die nicht mehr auf der Streamingplattform vertreten sein wollen.
IMAGO / ABACAPRESS
Erst wenn die Major-Labels oder massenhaft Konsumenten und Konsumentinnen abspringen würden, könnte dies wirtschaftlichen Druck auf Spotify ausüben. Doch das dürfte so schnell wohl nicht passieren.
Alternativen zu Spotify
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Apple Music
Kosten Einzelabo: ca 13.90 CHF
Auszahlung/Stream: ca 0.8 Rp
Besonderes: bietet Konzertmitschnitte an
Tidal
Kosten Einzelabo: ca 13.90 CHF
Auszahlung/Stream: ca 1 Rp
Besonderes: verlustfreie Audioqualität, exklusive Interviews mit Musikschaffenden
Deezer
Einzelabo/Monat: ca 14.95 CHF
Auszahlung/Stream: ca 0.5 Rp
Besonderes: kennzeichnet 100 %-KI-generierte Musik, breite Auswahl an Podcasts und Hörbüchern
Youtube Music
Einzelabo/Monat: ca 13.90 CHF
Auszahlung: ca 0.6 Rp / Stream
Leicht zugänglich, aber unübersichtliche Oberfläche
Soundcloud
Einzelabo/Monat: ca 12.99 CHF
Auszahlung/Stream: ca 0.3 Rp
einfache Upload-Möglichkeit, mit rund 250 Mio Titeln die grösste Plattform, begrenzte Mainstream-Auswahl
Bandcamp
Einzelabo/Monat: kein Streamingabo, Musik wird einzeln gekauft
Auszahlung: 82 % gehen an Musikschaffende
physische Produkt und Merchandising direkt bei Musikschaffenden bestellen, begrenzte Mainstream-Auswahl
Qobuz
Einzelabo/Monat: ca 14.99 CHF
Auszahlung/Stream: ca 3 Rp
Besonderes: verlustfreie Audioqualität, viel Klassik und Jazz, wenig Pop
Spotify
Kosten Einzelabo: ca 14.90 CHF
Auszahlung/Stream: ca 0.3 Rp
Besonderes: Grosse Auswahl an Podcasts, Community- Playlists
Viele Plattformen bieten auch werbefinanzierten Gratis-Accounts an.