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Musik und Emotionen Was soll diese Gänsehaut beim Musikhören?

Vieles im Leben ist planbar. Die Gänsehaut ist es nicht. Sie kommt wie angeworfen bei Angst, Kälte, Ekel, Erregung, Freude- und beim Hören von Musik. Aber warum eigentlich?

Eigentlich ist Musik ja nichts weiter als Töne in Form von Schallwellen. Trotzdem kann sie uns berühren - emotional und auf der Haut. Neuropsychologe Lutz Jäncke erklärt: Beim Hören eines Stücks, das uns gefällt, wird das Lustzentrum im Hirn hochaktiv. Es schüttet das Hormon Dopamin aus, die Herzfrequenz steigt, die Haut wird stärker durchblutet. Aber längst nicht jeder Song führt zur Gänsehaut.

Persönliche Gründe und kollektive Erregung

Häufig sind es persönliche Gründe, die unsere Körperhaare anheben. Wir verknüpfen spezifische Erlebnisse mit den Melodien, die wir dazu gehört haben – und legen die erste Liebe oder ein prägendes Urlaubsereignis so in unserem Gedächtnis ab. Diese Songs bringen alte Emotionen unmittelbar zurück. «Das nennt man sentimentales Hören», sagt Jäncke.

Musik formt unsere Erinnerung und ist daher ein wichtiger Teil unserer Persönlichkeit – denn wir sind, was wir erinnern
Autor: Lutz Jäncke Neuropsychologe

Es gibt aber auch Elemente in der Musik selbst, die fast alle Menschen bewegen und erregen. Der plötzliche Anstieg von Intensität oder Lautstärke, ein schriller Ton, ein beeindruckender Chor. Auch die Bewunderung für die Musikmachenden spielt eine Rolle. Oder wie gut wir den jeweiligen Song kennen: Nur schon das Denken an eine besonders virtuose Stelle kann Gänsehaut auslösen.

Das Fell ist weg, der Reflex ist geblieben

Eigentlich ist die Gänsehaut ein evolutionäres Überbleibsel unserer noch viel stärker behaarten Vorfahren. Sie diente als Kälteschutz: Wenn die Haut dem Zwischenhirn -genauer gesagt dem Hypothalamus – Kälte meldete, sorgte dieser dafür, dass sich die Haare aufstellten. Diese bildeten so eine Isolationsschicht und wärmten uns. Warum auch Musik uns Gänsehaut beschwert, ist wissenschaftlich nicht abschliessend geklärt. Aber es gibt Vermutungen.

Lutz Jäncke

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Portrait von Mann in Anzug
Legende: Universität Zürich

Lutz Jäncke ist Professor für Neuropsychologie an der Universität Zürich. Er erforscht seit vielen Jahren, wie wir Musik im Hirn verarbeiten. Viele seiner Studien führte er mit Spitzenmusikern durch und fand so auch zu seiner Leidenschaft für die Musik.

«Ich sehe die Gänsehaut als eine Art nonverbales Kommunikationsmittel», sagt Jäncke. Wir zeigen unseren Mitmenschen beim Hören von Musik in welchem emotionalem Zustand wir sind: Durch unsere Mimik und die Körperhaltung, die mit der Gänsehaut einhergehen. Ganz grundsätzlich ist Musik mehr als ein kulturelles Add-On: Sie schweisst uns zusammen.

Der biologische Sinn der Musik

Wenn wir Musik in der Gruppe hören, an einem Konzert oder vor 60'000 Jahren mit den ersten Instrumenten am Lagerfeuer, übernehmen wir unbewusst die Emotionen der anderen: Die Gruppe synchronisiert sich. Das fördert den Gruppenzusammenhalt ungemein. Und die Gruppe war und ist für den Menschen überlebenswichtig. «Sie hilft uns zusammenzukommen, uns auszutauschen, eine Bindung aufzubauen. Darin sehe ich den biologischen Sinn».

Test: Diese vier Songs lösen (fast) immer Gänsehaut aus

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Vier Song-Tipps von Lutz Jäncke, die bei den meisten Menschen die Haare aufstellen:

  • Un'aura amorosa – Arie aus Così fan tutte
  • We Are The Champions – Queen
  • The Cold Song – gesungen von Andreas Scholl oder Karl Nomi
  • Ebben ne andro lontana - Maria Callas
  • Die grösste Chance auf Gänsehaut besteht übrigens, wenn das ganze Stück gehört wird.

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