Eigentlich ist Musik ja nichts weiter als Töne in Form von Schallwellen. Trotzdem kann sie uns berühren - emotional und auf der Haut. Neuropsychologe Lutz Jäncke erklärt: Beim Hören eines Stücks, das uns gefällt, wird das Lustzentrum im Hirn hochaktiv. Es schüttet das Hormon Dopamin aus, die Herzfrequenz steigt, die Haut wird stärker durchblutet. Aber längst nicht jeder Song führt zur Gänsehaut.
Persönliche Gründe und kollektive Erregung
Häufig sind es persönliche Gründe, die unsere Körperhaare anheben. Wir verknüpfen spezifische Erlebnisse mit den Melodien, die wir dazu gehört haben – und legen die erste Liebe oder ein prägendes Urlaubsereignis so in unserem Gedächtnis ab. Diese Songs bringen alte Emotionen unmittelbar zurück. «Das nennt man sentimentales Hören», sagt Jäncke.
Musik formt unsere Erinnerung und ist daher ein wichtiger Teil unserer Persönlichkeit – denn wir sind, was wir erinnern
Es gibt aber auch Elemente in der Musik selbst, die fast alle Menschen bewegen und erregen. Der plötzliche Anstieg von Intensität oder Lautstärke, ein schriller Ton, ein beeindruckender Chor. Auch die Bewunderung für die Musikmachenden spielt eine Rolle. Oder wie gut wir den jeweiligen Song kennen: Nur schon das Denken an eine besonders virtuose Stelle kann Gänsehaut auslösen.
Das Fell ist weg, der Reflex ist geblieben
Eigentlich ist die Gänsehaut ein evolutionäres Überbleibsel unserer noch viel stärker behaarten Vorfahren. Sie diente als Kälteschutz: Wenn die Haut dem Zwischenhirn -genauer gesagt dem Hypothalamus – Kälte meldete, sorgte dieser dafür, dass sich die Haare aufstellten. Diese bildeten so eine Isolationsschicht und wärmten uns. Warum auch Musik uns Gänsehaut beschwert, ist wissenschaftlich nicht abschliessend geklärt. Aber es gibt Vermutungen.
«Ich sehe die Gänsehaut als eine Art nonverbales Kommunikationsmittel», sagt Jäncke. Wir zeigen unseren Mitmenschen beim Hören von Musik in welchem emotionalem Zustand wir sind: Durch unsere Mimik und die Körperhaltung, die mit der Gänsehaut einhergehen. Ganz grundsätzlich ist Musik mehr als ein kulturelles Add-On: Sie schweisst uns zusammen.
Der biologische Sinn der Musik
Wenn wir Musik in der Gruppe hören, an einem Konzert oder vor 60'000 Jahren mit den ersten Instrumenten am Lagerfeuer, übernehmen wir unbewusst die Emotionen der anderen: Die Gruppe synchronisiert sich. Das fördert den Gruppenzusammenhalt ungemein. Und die Gruppe war und ist für den Menschen überlebenswichtig. «Sie hilft uns zusammenzukommen, uns auszutauschen, eine Bindung aufzubauen. Darin sehe ich den biologischen Sinn».