Amazon sei ein «Mysterium», schreibt der eben erschienene E-Commerce Report Schweiz. Mysteriös, weil der Online-Riese die Schweiz bis heute nur nebenher bedient. Und niemand weiss, ob es dabei bleiben wird, oder ob sich Amazon in Zukunft stärker im Schweizer Markt engagieren will.
Solange das nicht der Fall ist, wird es weiterhin eine Fülle von Produkten geben, die Amazon oder seine Drittanbieter nicht in die Schweiz liefern. Ebenso müssen Schweizer Kunden auf Dienstleistungen wie Amazon Prime oder die besonders schnelle Lieferung verzichten. Und Amazon eigene Geräte wie die intelligenten Echo-Lautsprecher sind bei uns auch nicht erhältlich.
EU-Abseits als Hindernis
Warum engagiert sich der weltweit grösste Online-Marktplatz nicht stärker in der Schweiz? Am Potenzial kann es nicht liegen, schliesslich sind die Kaufkraft der Einwohner und das Preisniveau in der Schweiz überdurchschnittlich hoch.
Der Schweizer Markt ist einfach zu klein für Amazon.
Doch diesen günstigen Voraussetzungen stehen einige Hindernisse entgegen, weiss Ralf Wölfle. Er leitet den Kompetenzschwerpunkt E-Business der Hochschule für Wirtschaft der FHNW und ist Mitherausgeber des E-Commerce Reports.
Das grösste Hindernis sei, dass die Schweiz kein EU-Land ist. Dadurch entsteht ein grösserer administrativer Aufwand, unter anderem weil in der Schweiz oft andere regulative Bestimmungen gelten als in der EU.
«Dazu kommt die separate Währung, die Dreisprachigkeit und die relative Kleinheit des Marktes», ergänzt Wölfle. Weil die verschiedenen Sprachgruppen bei unterschiedlichen Amazon-Vertretungen bestellen – Westschweizer Kunden in Frankreich, Tessiner in Italien – kann Amazon die Schweiz auch nicht einfach an die deutsche Logistik anhängen, um Kosten zu sparen.
Auf Amazon.de wird das Angebot immer grösser sein
Dieselben Hindernisse lassen auch viele Dritthändler vor Lieferungen in die Schweiz zurückschrecken. Das würde sich mit einem direkteren Engagement von Amazon in der Schweiz nicht ändern, glaubt Ralf Wölfle. Amazon könnte Dritten dann zwar die Lieferung in die Schweiz erleichtern, «das müsste der Händler aber vermutlich zusätzlich bezahlen, was seinen Ertrag schmälern würde.»
Gerade für kleinere Händler würde sich das Geschäft mit der Schweiz unter diesen Umständen kaum lohnen, weshalb sie lieber ihren jeweiligen Heim-Markt im Auge behielten. Wölfle geht darum davon aus, dass diese Anbieter ihre Produkte auch weiterhin nur im deutschen, französischen oder italienischen Amazon-Ableger anböten und nicht auch auf einer eigens für die Schweiz gemachten Seite.
Ein Filter nur für Schweizer Produkte würde Amazon nichts nützen.
Eine solche Seite (oder ein Schweizer-Filter auf der deutschen Amazon-Seite) würde den Schweizer Kunden also immer bloss einen verkleinerten Teil des anderswo verfügbaren Angebotes zeigen.
«Ein Teil der Schweizer Nachfrage würde wohl weiterhin an ausländische Amazon‐Plattformen gehen und über ausländische Postadressen oder die Einfuhr in die Schweiz organisierende Dienstleister abwickelt werden», stellte Wölfle bereits im letztjährigen E-Commerce-Report dazu fest.
Amazon profitiert sogar davon, wenn sich Schweizer Kunden zum Beispiel bei Amazon.de Produkte in den Warenkorb legen, die sie dann doch nicht bestellen können, sagt Patrick Comboeuf von der E-Commerce-Unternehmensberatung Carpathia.
So lässt sich nämlich Marktforschung betreiben und einfach erkennen, wo die Interessen der Schweizer Kundschaft liegen. Für ein datengetriebenes Unternehmen wie Amazon sind das wichtige Informationen.
Schweizer Händler zeigen sich unbesorgt
In der Lücke, die Amazon bisher in der Schweiz lässt, konnten sich mittlerweile heimische Anbieter wie Galaxus, Siroop oder Brack etablieren. Sie schauen einem möglichen stärkeren Engagement des Online-Riesen deshalb recht gelassen entgegen.
Ein Amazon.ch würde unserem Geschäft nicht schaden.
Bei Siroop heisst es auf Anfrage von SRF Digital, man habe statt der Konkurrenz lieber die eigenen Kunden im Blick. Und Galaxus erklärt, man bereite sich schon seit Jahren auf eine stärkere Präsenz von Amazon vor und sei entsprechend gewappnet.
Dabei geht es unter anderem den Ausbau des Sortiments und des Filialnetzes, Verbesserungen des Kundendienstes, Preissenkungen und schnellere Lieferungen. Alex Hämmerli von Galaxus meint deshalb: «Wir gehen nicht davon aus, dass ein Amazon.ch unserem Geschäft schaden würde.»
Amazon wächst in der Schweiz schneller als heimische Angebote
Die meisten Beobachter des Online-Handels gehen davon aus, dass sich Amazon in Zukunft stärker in der Schweiz engagieren wird. Eine Prognose, wann das geschehen wird, mag allerdings niemand wagen. «Das wäre reine Spekulation», sagt Ralf Wölfle.
Die Fragen, die SRF Digital dazu direkt an Amazon richtete, wurden leider nur sehr vage beantwortet. («Die Zufriedenheit der Kunden ist für uns ausserordentlich wichtig, daher arbeiten wir konsequent am Ausbau der in der Schweiz verfügbaren Artikel.»)
Alles in allem gibt es für Amazon wohl einige Länder gibt, in denen ein Engagement lohnender wäre als in der Schweiz. Zu diesem Schluss kommt auch der aktuelle E-Commerce Report. Und stellt fest, dass Amazon auch mit dem Status Quo im Schweizer Markt schon gute Geschäfte macht. Das in der Schweiz bestellbare Angebot wachse und immer mehr Schweizerinnen und Schweizer machten davon Gebrauch.
Es ist nicht bekannt, wie gross das Wachstum von Amazon in der Schweiz ist. Die Schweizer Anbieter gehen aber fast alle davon aus, dass die Plattform bei uns weit schneller wächst als die heimischen Online-Händler – und das auch ohne eigene Schweizer Plattform. Die Frage, warum sich Amazon in der Schweiz nicht stärker engagiert lässt sich also ganz leicht beantworten: Weil Amazon das gar nicht nötig hat.