Die 90er gelten als schrill und wild. Sie rufen Erinnerungen an Latzhosen, Neonfarben und Plateauschuhe hervor. An die Backstreet Boys und Nirvana. In Zürich fand die erste Street Parade statt. Legendäre Filmklassiker wie Pulp Fiction, Jurassic Park und Matrix entstanden in dieser Zeit.
Einige der Musik- und Mode-Trends der 90er feiern heute ein Comeback. Wie solche Trends und deren Comebacks entstehen, erklärt der Trendforscher Stephan Sigrist.
SRF: Wofür stehen die 90er-Jahre überhaupt?
Stephan Sigrist: Die 90er waren das letzte Jahrzehnt vor dem Millenniumswechsel. Auf das 21. Jahrhundert waren grosse Hoffnungen und Ängste gerichtet. Zuerst waren die hochtrabenden 70er und 80er mit viel Lebensfreude und Hedonismus. Die 90er wurden dann durch politische Ereignisse wie den Zerfall der Sowjetunion und die Wiedervereinigung von Deutschland und somit auch das Ende des Kalten Krieges geprägt.
Die Trends der 90er
Und Mode, Kunst, Musik sind immer eine Reaktion auf wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Ereignisse. Man hat eigentlich das Laute, Farbige aus den 80ern eingetauscht gegen Widerstand (Grunge-Bewegung), die auch Krisen der Generation X zum Ausdruck brachte.
Die Verunsicherung und die Politisierung sind durchaus vergleichbar mit den 90ern.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen den 90ern und der heutigen Zeit?
Wirtschaftliche und politische Grosswetterlagen widerspiegeln sich in der Mode, das sah man in den 90ern. Und wir sind auch jetzt wieder in einer Zeit, in der nicht alles positiv ist: düstere Erwartungen rund um das Wirtschaftswachstum, der Klimawandel. Die Verunsicherung und die Politisierung sind durchaus vergleichbar mit den 90ern.
Nebst den langfristigen Grosswetterlagen gibt es auch einzelne Personen, die Trends punktuell setzen können. Man kann es sich wie das Wetter vorstellen: Es wird einerseits grossflächig wie zum Beispiel vom Klimawandel beeinflusst, andererseits sind es auch kleinere Entwicklungen, wie der Schmetterlingsschlag in Zürich, der das Wetter in Bern beeinflusst. Es ist ein Sammelsurium von Bewegungen und Gegenbewegungen, die die Grosswetterlage beeinflussen können.
Was sagt das aus, wenn Leute Trends wieder aufgreifen, wenn man plötzlich wieder Vokuhilas und Plateauschuhe sieht?
Man sucht nach Referenzen aus der Vergangenheit. Das kann einem eine gewisse Sicherheit geben. Vielleicht erinnert es einen auch an die Bilder, die man von den Eltern kennt.
Unsere Modis in den 90ern und heute
Auf der anderen Seite ist das Spektrum, sich neu zu erfinden nicht unendlich, sowohl in der Mode als auch in der Musik. Irgendwo kommt man auf das zurück, was es schon mal gab.
Kürzlich hat eine KI sämtliche Melodie-Kombinationen berechnet, die es theoretisch geben kann. Es ist heute also gar nicht mehr möglich, eine neue Melodie zu komponieren. Aber auch losgelöst davon hat die Remix-Kultur seit langem dazu beigetragen, Neues durch das Kombinieren von Bestehendem zu schaffen. Das dürfte auch der zentrale Teil sein, wie sich Trends weiterentwickeln.
Spielt man alle Trends irgendwann mal wieder durch?
Es gibt kein mathematisches Muster, wie und wann sich Trends wiederholen und nicht alle Trends werden wieder aufgenommen. Aber in den nächsten Jahren wird es weitere Revivals oder Abwandlungen von Entwicklungen geben, die in der Vergangenheit schon wichtig waren. Die gesellschaftliche, wirtschaftliche oder politische Grosswetterlage kann dabei eine Rolle spielen. Oft können es aber auch einzelne Gruppen oder Personen sein, die einen Trend zurückspielen.
Das Gespräch führte Lena Rhyner.