Langsam nähere ich mich der Titlis-Bergstation. Nicht im Aufstieg, wohlgemerkt, sondern fliegend von oben. Ich sehe den Antennenmast hinter dem Gebäude und die Seilbahnstützen der Gondelbahn, die ins Tal führen. Ich drehe den Kopf nach rechts und blicke über die Kette der Alpengipfel, fast bis zum Matterhorn.
Dann steige ich höher, bis die Welt als Kugel vor mir liegt. Ich drehe den Globus, sehe Nordamerika unter mir, schwebe nach unten. Jetzt stehe ich in den Strassenschluchten von New York, an der Ecke Broadway und 5th Avenue. Wenn ich nach rechts blicke, sehe ich den Madison Square Part. Hinter mir liegt das Flatiron Building.
Bloss merke ich schnell, dass es nicht das echte Gebäude ist. Sein Äusseres ist grob texturiert, die Form eher klobig. Denn ich stehe nicht im echten New York, sondern im virtuellen Abbild der Stadt, das mir Google Earth VR zeigt – die Virtual-Reality-Version des digitalen 3D-Globus Google Earth .
Virtual Reality ist viel Aufwand
«Wir arbeiten ständig daran, das Erlebnis in Google Earth VR noch besser zu machen», sagt Dominik Käser. Architektur und Natur sollen in Zukunft höher aufgelöst dargestellt werden; Landstriche, die heute noch flach sind, dreidimensional modelliert werden. Käser weiss, wovon er spricht: Der 31-jährige Schweizer hat Google Earth VR vor vier Jahren ins Leben gerufen und leitet das Projekt heute im Google-Hauptsitz im kalifornischen Mountain View.
Die Daten für die virtuelle Welt sind dieselben Sateliten- und Luftaufnahmen, die auch beim klassischen Google Earth zum Einsatz kommen. Doch in der Virtual-Reality-Variante steigert sich der Aufwand gewaltig: Um das Erlebnis glaubhaft zu machen, müssen dem Benutzer 90 Bilder pro Sekunde gezeigt werden. Und jedes dieser Bilder setzt sich aus zwei bis drei Millionen Polygonen zusammen.
«Es ist unglaublich anspruchsvoll, das alles in Echtzeit zu berechnen», sagt Käser. «Wir mussten lange daran arbeiten, das so zu schaffen.»
Vom Trickfilm zu Google
Die Herausforderungen waren nicht nur technischer Natur: Weil sich die Benutzer der frühen Versionen bei ihren Erkundungen einsam fühlten, statteten Käser und sein Team die virtuelle Welt mit einer Soundkulisse aus. Am Tag hört man nun Vögel, in der Nacht zirpen die Grillen. Und wer auf die Sonne zufliegt, hört sie zischen – als Vorlage für das Geräusch diente Speck, der in der Bratpfanne brutzelt.
«In der virtuellen Realität ist die ganzheitliche Erfahrung wichtig», meint Käser. Die Leute sollen einen Dienst wie Google Earth VR nicht nur dazu benutzen, eine Aufgabe zu erledigen, so wie sie das bei einem gewöhnlichen Atlas tun, sondern etwas erleben. «Und dazu gehören auch Sound, schöne Farben und Animationen».
In der virtuellen Realität ist die ganzheitliche Erfahrung wichtig.
Beim Umsetzen dieser Ziele konnte Käser von den Erfahrungen profitieren, die er in seinem vorherigen Job gesammelt hat. Nach Studium an der Zürcher ETH war er nämlich beim Animations-Studio Pixar («Toy Story», «Finding Nemo») für Charakteranimationen und das Design von Naturlandschaften zuständig.
Was kommt nach den Smartphones?
Erste eigene Virtual-Reality-Erfahrungen machte Dominik Käser Anfang 2013, als er die Entwickler-Version der Oculus-Rift-Brille ausprobieren konnte. Damals war ihm sofort klar, dass diese Technologie wie geschaffen war für einen Dienst wie Google Earth.
Erst arbeitet er auf eigene Faust an der Umsetzung; in einem 20-Prozent-Pensum, das Google seinen Mitarbeitern für solche Vorhaben zur Verfügung stellt. Später wurde es zu einem Vollzeitjob, für den er ein eigenes Team bekam. Heute kümmert Käser sich nicht mehr um technische Details, sondern um die strategische Planung des Projekts.
Für Google sei Virtual Reality in den letzten Jahren zu einem wichtigen Geschäftsfeld geworden, meint der Informatiker, der im Zürcher Oberland aufgewachsen ist. Nicht nur was Dienste wie Google Earth angeht, sondern auch bei der Hardware. «Sozusagen als eine Art Investition in kommende Medien», sagt Käser.
Er glaube zum Beispiel nicht, dass wir in 20 Jahren noch auf kleinen Smartphones herumtippen werden – auch wenn noch nicht klar sei, wie die neuen Geräte dann aussehen werden. «Aber in neue Technologien wie Virtual Reality zu investieren wird helfen, diese Frage zu beantworten.»