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Eine Nahaufnahme der Augen- und Nasenpartie des digitalen weiblichen Avatars Siren.
Legende: Auch von Nahem betrachtet lässt sich der digitale Avatar Siren kaum von einem echten Menschen unterschieden. Cubic Motion

ZFF 2019 Haben Schauspieler aus Fleisch und Blut ausgedient?

Digital erschaffene Figuren lassen sich nicht mehr von echten Menschen unterschieden. Haben Schauspieler ausgedient?

Beispiel Superhelden: In den letzten Marvel-Filmen bevölkerten in vielen Szenen keine Menschen, sondern am Computer geschaffene Figuren die Leinwand. Und selbst wenn ein Gesicht noch von einem echten Schauspieler oder einer echten Schauspielerin stammte, war das Drumherum – vom Körper über die Kleider bis zu den Hintergründen – allein am Computer entstanden (siehe Video unten).

In «Thor: Ragnarok» (2017) zum Beispiel stand Hauptdarsteller Chris Hemsworth zwar für die meisten seiner Szenen als hammerschwingender Superheld vor der Kamera. Ein grosser Teil seiner Arbeit wurde in der Postproduktion aber vollständig durch ein Computermodell ersetzt. Aus dem simplen Grund, dass sich die Spezialeffekte rund um die Figur so besser kontrollieren liessen.

Die Filmstudios machen kein Geheimnis um diese Tricksereien. In sogenannten VFX-Breakdowns – Videos, welche die Entstehung der Spezialeffekte zeigen – werden sie den Fans sogar stolz präsentiert.

Digitale Avatare von echten Schauspielern haben für die Filmproduktion entscheidende Vorteile: Sie sind immer verfügbar, können das Nachdrehen von Szenen überflüssig machen und verhalten sich genau so, wie die Regisseurin das will. Darum ist ihr Einsatz auch nicht auf Superheldenfilme oder andere effektstarke Blockbuster beschränkt.

Im neuen Film von Martin Scorsese «The Irishman» zum Beispiel ist Robert de Niro in den verschiedensten Altersstadien zu sehen – beziehungsweise eben nicht der echte de Niro, sondern seine digital verjüngten Kopien. Stehen wir also kurz vor dem Punkt, an dem Schauspieler ganz überflüssig werden und sich die Filmemacher nur noch auf den Computer verlassen?

«Wenn das so wäre, dann könnten wir die Schauspielschule schliessen und das Studium an die ETH verlagern», sagt dazu Anton Rey von der Zürcher Hochschule der Künste. Rey leitet das Institute for the Performing Arts and Film. Im Nationalfondsprojekt « Actor and Avatar » erforscht er den Einfluss von digitalen Avataren auf die Schauspielerei. Damit ist er auch im Rahmenprogramm des diesjährigen Zurich Film Festival an der Ausstellung « Facing Robots » beteiligt.

Anton Rey glaubt nicht, dass Avatare echte Schauspieler je ersetzen werden. Denn hinter fast allen Avataren steckt immer noch die schauspielerische Leistung eines real existierenden Menschen, der mit seiner Gestik und Mimik dem digitalen Modell als Vorlage dient. «Je treffender die Arbeit des Schauspielers oder der Schauspielerin ist, um so mehr kann man in der Postproduktion dann daraus machen», so Rey.

Andy Wood teilt diese Meinung. Wood ist Präsident von Cubic Motion, eine englische Firma, die sich auf Gesichtsanimationen für Games und Filme spezialisiert hat. Am diesjährigen Neuchâtel International Fantastic Film Festival (NIFFF) zeigte Wood Kostproben seiner Arbeit. Zum Beispiel das digitale Wesen Siren – ein Avatar, der live von einer Schauspielerin im Hintergrund gesteuert wird und sich kaum mehr von einem echten Menschen unterscheiden lässt.

«Die Technologie ist heute so weit, dass eigentlich jeder in die Haut einer digitalen Figur schlüpfen und so etwa den Avatar eines bekannten Schauspielers oder einer bekannten Schauspielerin steuern kann», sagt Wood. In Hollywood soll es bei manchen Studios sogar schon üblich sein, digitale Kopien junger Stars anzufertigen, auf die sich später zurückgreifen lässt.

Doch so einfach lässt sich ein bekannter Schauspieler nicht durch einen Avatar ersetzen. Denn um das Publikum wirklich zu täuschen, muss der Darsteller hinter dem Avatar die Mimik und Gestik des Vorbilds bis ins kleinste Detail kopieren – eine fast unmögliche Aufgabe. «Am Ende scheint hinter dem Avatar eben doch immer der Darsteller durch», weiss Andy Wood.

Thomas Grunwald ist Neurologe und leitender Arzt am Schweizerischen Epilepsie-Zentrum und leitet zusammen mit Anton Rey (und Dieter Mersch) auch das Projekt «Actor and Avatar». Er kennt einen weiteren Grund, weshalb Schauspieler nicht so rasch von digitale Avataren ersetzt werden: die Gefühle, die wir einem Darsteller entgegenbringen. «Es scheint so, dass wir zum Beispiel auf ängstliche Gesichter viel stärker reagieren, wenn sie von Menschen kommen als wenn Avatare dasselbe versuchen», weiss Grunwald.

Noch mehr: Echte Schauspieler spielen die Emotionen ihrer Figur nicht nur, sie fühlen sie wirklich. Das konnten Thomas Grundwald und sein Team mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomographie sogar wissenschaftlich belegen. «Wenn wir einen guten Schauspieler sehen, der etwas darstellt, das mit Wut, Trauer, Schmerz oder Liebe zu tun hat, dann können wir uns guten Gewissens darauf verlassen, dass er das in dem Moment tatsächlich fühlt. Bei Avataren können wir uns auf die Echtheit des Gefühls nur insofern verlassen, dass es effektiv nie echt sein wird», so Grunwald.

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