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Heimatliebe im Umbruch Eine Reise durch die kosovo-albanische Diaspora in der Schweiz

Die meisten kosovo-albanischen Menschen in der Schweiz fühlen sich stark mit ihrer Heimat verbunden. Die einen sind Feuer und Flamme, andere setzen sich kritisch mit ihrem Herkunftsland auseinander.

Ein Zehntel der Bevölkerung Kosovos lebt in der Schweiz, ungefähr 170'000 Menschen haben hier kosovo-albanische Wurzeln. Die zweite und dritte Generation der Diaspora ist immer besser integriert.

Doch die Verbundenheit zu Kosovo bleibt gross. Viele haben Familienangehörige in der Heimat und viele schicken ihren Verwandten Geld. 175 Millionen Franken flossen letztes Jahr von der Schweiz nach Kosovo, ein Viertel aller Rücküberweisungen der weltweiten kosovo-albanischen Diaspora.

Es ist nicht alles Gold was glänzt

Kosovo geht es wirtschaftlich schlecht, ein Drittel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, die Arbeitslosigkeit unter den Jungen liegt bei über 50 Prozent, und die Aussichten auf baldige Reisefreiheit in die Schengen-Länder sind im Moment eher mager.

Doch die Kritik an den grosszügigen Rücküberweisungen für die Landsleute in Kosovo wächst in der Diaspora, sagt der Journalist Enver Robelli. Die Kosovo-Albaner in der Schweiz hätten genug von der Misswirtschaft der politischen Elite und dem daraus resultierenden Stillstand. Zudem sei die finanzielle Abhängigkeit der Verwandten hinderlich für deren Eigeninitiative und Gift für die wirtschaftliche Entwicklung in Kosovo.

Mehr als Familienbesuche

Und auch sonst sei viel im Umbruch, wenn es um die Beziehungen zwischen der Diaspora und Kosovo gehe. «Die Beziehungen entspannen sich zunehmend, seit Kosovo frei ist, und die Jungen haben auch einen gesunden Abstand zur Heimat», sagt Robelli. Man sehe diese Entspannung auch daran, dass viele Junge nicht mehr nur nach Kosovo fahren, um ihre Familie zu besuchen, sondern auch um in die Musikszene in der Hauptstadt Pristina abzutauchen.

Einige Junge in der Diaspora nutzen ihre Verbindung zu Kosovo für unternehmerische Tätigkeiten. Zu ihnen gehört Valon Asani. Er hat in Pristina eine IT-Firma aufgebaut. Er pendelt zwischen der Schweiz und Kosovo. Sein Ziel: Arbeitsplätze schaffen. Nach anfänglichen bürokratischen und infrastrukturellen Hürden sieht er deutliche Fortschritte in der Unternehmerfreundlichkeit für ausländische Firmen in Kosovo.

Kosovaren in der Schweiz

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In den 60er-Jahren kamen sie vor allem als Gastarbeiter, in den späten 80er-Jahren, als die politischen Spannungen in Kosovo stetig zunahmen und spätestens 1998 mit dem Ausbruch des Krieges, kamen viele Kosovo-Albaner und Kosovo-Albanerinnen als Flüchtlinge in die Schweiz.

Über seine Geschäftstätigkeit hat Valon Asani auch den Draht zur Heimat neu gefunden. «Früher war Kosovo für mich ein fremdes Land. Wir sind dorthin in die Sommerferien gefahren und haben Verwandte besucht.» Erst in den letzten Jahren hätte er seine Bindung zu Kosovo stärken können, durch den Kontakt mit seinen Mitarbeitern, Geschäftspartnern und auch Freunden und Verwandten vor Ort. Asani sieht das Pendeln zwischen Zürich und Pristina als vielversprechendes Modell, wolle man in Kosovo geschäftlich aktiv werden.

Bauen für die Zukunft

Eine der Schwierigkeiten vor Ort bleibe jedoch, qualifizierte Arbeitskräfte zu finden, sagt Asani. Dort setzt Architekt Bujar Nrecaj an. Er stammt aus Kosovo und hat in der Schweiz studiert. Heute baut er Bibliotheken in kosovarischen Dörfern. «Ich habe mein Dorf und Kosovo 1991 verlassen, und damals gab es in meiner Schule keine Bibliothek. Als ich nach 17 Jahren in mein Dorf zurückkehrte, habe ich die Schule noch immer ohne Bibliothek angetroffen.»

Nrecaj fand diesen Zustand unhaltbar. Er habe in der Schweiz die Chance auf eine gute Ausbildung erhalten. Insbesondere Lesen habe ihn weitergebracht, seinen Verstand geschärft und ihn zu kritischem Denken inspiriert. Das solle auch Kindern in Kosovo nicht verwehrt bleiben. «Bunatekas» heissen seine Bibliotheken. «Bunar» heisst auf Albanisch Brunnen.

Als Architekt in Kosovo habe er stets sehr schweizerisch gelebt und gearbeitet, sagt Nrecaj. «Ich lebe beide Welten. Ich lebe in der Schweiz als Kosovare und in Kosovo als Schweizer». Er habe über die Jahre eine Art Mischidentität entwickelt. «Ich habe für beide Kulturen Gefühle und bin beides – das bin ich.»

Raum für neue Identitäten und Ideen

«Es ist Liebe», sagt Albana Agaj, Schauspielerin, über ihre Beziehung zu Pristina, zu Kosovo. Die gebürtige Kosovarin beschäftigt sich auf der Theaterbühne mit kulturellen Unterschieden und Klischees. Mit ihrer Theatergruppe hat sie mehrere Stücke in der Schweiz und Kosovo auf die Bühne gebracht.

Die Koproduktionen mit Theaterschaffenden aus Kosovo liess sie ihre alte Heimat und Pristina neu entdecken – und lieben. Sie fand eine lebendige, weltoffene Stadt vor. Im Gegensatz dazu würden einige Kosovo-Albaner in der Schweiz an alten Traditionen festhalten, die in der Heimat gar nicht mehr so gelebt würden. «Viele Junge aus der Diaspora befinden sich irgendwo dazwischen, in einem Zwischenraum zwischen hier und dort.» Doch der Wandel sei spürbar, sagt Agaj.

Und so hofft auch der Journalist Enver Robelli, dass die positive Energie und die jetzt noch enge Bindung zwischen Kosovo-Albanern in der Schweiz und ihrer Heimat genutzt werden könne. Die sei aber nur möglich, wenn Kosovo ein funktionsfähiger Staat werde. «Wenn sich politisch etwas ändert, im positiven Sinne, dann glaube ich, dass das eine unglaubliche Dynamik auslösen wird. Die Leute werden öfters zurückgehen und versuchen, in Kosovo etwas aufzubauen.»

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