Die FDP hat sich viel vorgenommen: Sie will die SP als zweitstärkste Kraft überholen. 2015 lag sie noch mehr als zwei Prozentpunkte hinter den Sozialdemokraten zurück. Der Formstand der Partei ist recht gut. In vielen kantonalen Wahlen seit 2015 zählte die Partei zu den klaren Gewinnern. Erst die Klimadiskussion bremste der Aufwärtstrend.
Im Wahlkampf setzt die Partei darum nun – neben FDP-Kernthemen wie bessere Rahmenbedingungen für die Wirtschaft und weniger Bürokratie – auf die Klimapolitik. Als Reaktion auf die Klimadiskussion startete Parteichefin Petra Gössi Anfang Jahr eine Mitgliederbefragung und führte eine Delegiertenversammlung zur Umweltpolitik durch. Nun setzt sich die FDP trotz innerparteilicher Kritik für einen tieferen CO2-Ausstoss ein und unterstützt auch Massnahmen wie eine Flugticketabgabe.
Kommt dieser Kurswechsel bei der Stammwählerschaft an? Und gelingt es den Freisinnigen, damit neue Menschen anzusprechen? Antworten im Parteiencheck auf Radio SRF1 und SRF4 sowie hier im 30-minütigen Live-Chat
Chat-Protokoll
Max Heinzmann, Rapperswil: Seit den letzten Jahren kommt es mir so vor, als ob die FDP nur noch wirtschaftliche Interessen und Pro-EU Parolen vertritt. Auch das plötzliche Mitmachen bei dem Thema Klimawandel sehe ich eher als Linksrutsch an. Wie wird es in Zukunft um die FDP im politischen Spektrum stehen?
Andrea Caroni: Die FDP ist der liberale Pol - heute und auch morgen. Unser Ziel sind freiheitliche Bedingungen für alle Menschen, sei es in wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Fragen. Übrigens: Wir wollen definitiv nicht in die EU. Aber gute Beziehungen zu unseren Nachbarn sind uns natürlich wichtig.
Peter Straub, Seon: Wenn die FDP sich so für die Entschlackung einsetzt: Weshalb sind sie nicht für eine Einheitskrankenkasse? Da liessen sich im Gesundheitswesen doch Milliardenbeträge sparen!
Andrea Caroni: Wir befürchten, dass eine Monopol-Kasse die Bürgerinnen und Bürger weniger gut behandelt, als wenn die Kassen untereinander um die Gunst der Kundinnen und Kunden im Wettbewerb stehen. Wettbewerb stellt sicher, dass sich die Kassen um Effizienz und gute Dienstleistungen bemühen.
Martina Meier, Bern: Wenn Sie die anderen Länder zu besserer Klimapolitik überreden wollen, sollten Sie dann nicht zuerst in der CH so gute Umweltpolitik machen, dass wir dann ein Vorbild sind? Ist ziemlich unglaubwürdig sonst oder?
Andrea Caroni: Natürlich müssen wir auch vor der eigenen Haustür kehren. Aber wenn wir das alleine tun, hilft das dem Klima wenig, derweil wir die Kosten tragen. Also muss es unser Ziel sein, dass alle am gleichen Strick ziehen. Gehen wir dabei zu sehr einsam in Vorleistung, besteht auch die Gefahr, dass andere einfach Trittbrettfahren. Das wäre dann ein Bärendienst am Klima. Hier ist unsere Klimadiplomatie gefragt.
Manfred Kaiser, Zürich: Die FDP ist eine Volkspartei? Welches Volk meinen Sie - anders gesagt, in welchen Punkten vertreten Sie uns Wenigverdienende? Bitte um 4 konkrwte Beispiele!
Andrea Caroni: Gerne: 1. Wir wollen sichere und fair finanzierte Sozialwerke - damit auch die heutigen Werktätigen einmal eine Rente erhalten. 2. Wir wollen zusätzliche Massnahmen zur besseren Integration älterer Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt. 3. Wir fördern den Wettbewerb unter den Anbietern, damit die Konsumentinnen und Konsumenten von hoher Qualität bei tiefen Preisen profitieren. 4. Wir wollen, dass Massnahmen zum Klima- und Umweltschutz sozialverträglich sind.
Markus Laubacher, Neuhausen: Herr Carroni, Was meinen Sie zu den Vorwürfen, dass die FDP dem millionenschweren Economiesuisse-Verband - von den Konzernen mehrheitlich finanziert - zudient, resp. von ihm abhängig ist, weil dieser Wirtschasftsverband die FDP finanziell unterstützt. Und der Vorwurf, dass die FDP eher nach den wenigen, egoistischen Unternehmer- u. Konzerninteressen handelt u. dabei die gesellschaftlich - sozialen Aspekte zu sehr in den Hintergrund stellt? Viele Grüsse!
Andrea Caroni: Die FDP ist politisch und finanziell völlig unabhängig. Nur zwei Personen in der Partei kennen überhaupt unsere Spender, und eine Revisionsstelle prüft, dass niemand mehr als 1/15 unseres Budgets beiträgt. Im Übrigen finanzieren wir uns über Beiträge von Kantonalparteien und Mandatsträgern. Politisch sind wir allen Menschen verpflichtet, seien sie Erwerbstätige oder nicht, seien sie Angestellte oder Selbständige, seien sie in KMU oder Grossunternehmen tätig. Die Wirtschaft sind wir alle. Und die Gesellschaft auch.
Tobias Braunwalder, Goldach: Herr Caroni, sie haben gesagt, wir Männer sollten im Falle einer Geburt unseren Urlaub um den Geburtstermin legen, um uns selbst einen Vaterschaftsurlaub zu generieren. Wie soll das gelöst werden wenn: 1. der Betrieb die Ferien festlegt oder 2. Der Urlaub für das Folgejahr im Dezember festgelegt wird und die Partnerin erst in den folgenden Monaten schwanger wird?
Andrea Caroni: Hierfür habe ich einen Vorstoss eingereicht. Danach erhielten Arbeitnehmer das absolute Recht, ihre Ferien um die Geburt herum zu beziehen. Viele Gewerbe- als auch Gewerkschaftsvertreter fanden das eine gute Idee.
Nicolas Vuille, Baden: Warum tun sich Parteien so schwer Sachpolitik zu betreiben?
Andrea Caroni: Über andere Parteien kann ich nicht sprechen, aber in der FDP machen wir den ganzen Tag nichts anderes, als auf Grundlage unserer liberalen Positionen möglichst gemeinsam mit andern Kräften Lösungen zu suchen, die unser Land vorwärts bringen. Am besten wählen Sie möglichst lösungsorientierte Parteien, dann kriegen Sie auch mehr der gewünschten Sachpolitik.
anita messmer, herisau: Hallo Andrea. Hast du eine Ahnung wie sich ein Arbeiter zB bei Huber und Suhner abstrampelt muss um eine Familie mit 2 Kindern über die Runden zu bringen? Kann er sich eine Kita leisten? Ferien machen, wenn ein Kind zur Welt kommt? Sorry aber du lebst in einer anderen Welt und musst dir nicht Gedanken machen, ob das Geld bis zum Monatsende reicht.
Andrea Caroni: Liebe Anita, mein Ziel ist eine Schweiz, in der möglichst alle vom wachsenden Wohlstand profitieren können, und blickt man in der Zeit zurück, sieht man, wie weit wir gekommen sind. Zum konkreten Punkt der Kita: Ich bin unbedingt dafür, dass man Kindern, deren Eltern sie sich nicht leisten können, unterstützt. Davon profitieren die Kinder, aber auch die Wirtschaft infolge besserer Vererinbarkeit. Aber entscheiden sollen das Gemeinde und Kanton (wie bei uns in Herisau). Dafür braucht es keine Bundesvorgaben.
Thomas Berli, Heiden (AR): Sind sie der Meinung, dass Kirche und Staat in der Schweiz besser getrennt werden müssen? Ist es aus Ihrer Sicht in Ordnung, dass die katholische und reformierte Kirche direkt Steuern erheben dürfen - die jüdischen oder muslimischen glaubensgemeinschaften aber nicht? Ist es in Ordnung, dass für juristische Personen eine Kirchensteuerpflicht gilt? Ist es in Ordnung, dass der Staat viele Funktionen (soziale Aufgaben) faktisch der Kirche überlässt?
Andrea Caroni: Ich halte die Religionsfreiheit hoch und bin der Meinung, der Staat sollte alle Religionen gleich behandeln. Das heisst, er soll religiöse Institutionen weder über Gebühr einschränken noch mit besonderen Privilegien ausstatten. Zwangskirchensteuern für juristische Personen sollte es meiner Meinung nach nicht geben.
Christian Gattiker, Ecuador: Herr Caroni, stimmt es, dass Sie das Stimm/Wahlrecht der Auslandschweizer einschränken oder wegnehmen wollen? Ich bin Auslandschweizer, wir reden Schweizer Deutsch Zuhause und fühlen uns als Schweizer.
Andrea Caroni: Lieber Herr Gattiker, ich war auch mal Auslandschweizer und schätze die 5. Schweiz sehr. Es gibt aber Leute mit Schweizer Stimmrecht, die noch nie im Land waren oder ausgewandert sind und wohl nie mehr kommen werden. Ich hab daher mal angeregt, eine Regel zu prüfen wie z.B. in DE oder UK, dass das Auslandschweizer-Stimmrecht nach 20 Jahren ruht. Dies aus der Überlegung, dass vor allem die Leute in einer Sache entscheiden sollen, die auch wirklich betroffen sind. Übrigens: Viele Kantone (so auch meiner) lassen Auslandschweizer nicht in kantonalen Dingen abstimmen.
Boris Weber, Worblaufen: Wenn Sie die Arbeitszeit erhöhen, kann es dann theoretisch sein, dass zb eine Krankenschwester von 8.00 Uhr bis 10.00 Uhr und dann nochmals von 13.00 - 19.00 Uhr am Arbeitsplatz erscheinen muss? Und wie fänden Sie das, so zu arbeiten?
Andrea Caroni: Ich denke, Ihr Beispiel wäre heute schon möglich. Aber natürlich nur, wenn alle einverstanden sind. Wenn es also dieser Dame entgegenkommt, soll sie das vereinbaren dürfen. Vielleicht hat sie ja keine Familie, will sich aber über Mittag an einem Mittagstisch oder einem Altersheim engagieren. Die Menschen sollen einfach möglichst viel Wahlfreiheit erhalten. Zwang aber lehne ich natürlich ab.