«Ich war nie bei der Mutter. Ich bin unehelich», mit diesen Worten beginnt Luise Bolli aus ihrem Leben zu erzählen. Ihre Mutter sei oft krank gewesen und wegen Kuraufenthalten abwesend. Ihr Vater habe kein Sitzleder gehabt und häufig im Ausland gearbeitet. Für die kleine Luise hiess das, dass sie sich immer wieder an ein neues Zuhause gewöhnen musste. Um das «verwaiste» Kind kümmerte sich die Verwandtschaft oder Menschen aus dem Bekanntenkreis.
Experiment mit schmerzlichen Folgen
Lange konnte Luise Bolli nie an einem Ort bleiben. Sie meint, dass sie dafür einfach zu anstrengend, weil «zappelig» gewesen sei. Das kleine Mädchen steckte voller Energie, sprühte vor Lebendigkeit, war stets von Neugier getrieben, wollte entdecken und erforschen und überschritt dabei vermutlich auch bestimmte Grenzen.
Im Nachhinein blickt Luise Bolli mit Heiterkeit auf die eine oder andere Begebenheit. Lachend erzählt sie davon, dass sie einmal den Kopf zwischen die Gitterstäbe eines Zauns gesteckt habe und ihn nicht mehr herausbrachte. «Ich habe nur noch gekräht und das Bellen von Hund Nero hat die Situation auch nicht gerade verbessert.» Wer sie schliesslich aus dieser misslichen Lage befreit hat, weiss die heute 80-Jährige nicht mehr.
Spass am Hausieren
Dafür sind die Erinnerungen an Ausfahrten mit ihrem Grossvater noch sehr lebendig. Die Grosseltern hatten in Reinach im Kanton Aargau einen kleinen Kleiderladen. Mit einem kleinen Wagen voller Waren ging der Grossvater regelmässig von Haus zu Haus. Für Enkelin Luise war das eine Riesenfreude, wenn sie ihn beim Hausieren ab und zu begleiten durfte.
Als hyperaktives Kind war Luise wohl auch in der Schule etwas auffällig. Doch der eine oder andere Lehrer erkannte das Potential hinter der Flatterhaftigkeit. Ein Lehrer empfahl ihr eine Haushaltslehre, doch die Erziehungsberechtigten «steckten» sie in die Fabrik. «Ich habe die Einführung von Fliessbandarbeit miterlebt», erzählt Louise Bolli. «In einer Minute musste ich 25 Einzelteile zusammensetzen. Ein Zähler registrierte meine Leistung. Es war ein Nervenschmarren.»
Einmal im Jahr das Wilde ausleben
Die Fasnacht war für Luise Bolli jeweils ein angenehmer Ausgleich zur stumpfsinnigen Arbeit in der Fabrik. Hier konnte sie so richtig aus sich herausgehen, tanzen, bis die Füsse schmerzten, kostümiert in Phantasiewelten eintauchen. «Einmal sind wir als Musketiere verkleidet an die Fasnacht gegangen», erzählt sie, die in jungen Jahren vor allem auf Seeräuber- und Historienfilme stand.
Lebensgeschichten auf SRF Musikwelle
In der «Sinerzyt»-Serie «Lebensgeschichten» von SRF Musikwelle blicken Seniorinnen und Senioren zurück in die Vergangenheit. Sie erzählen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – von wichtigen Episoden aus ihrem Leben. Manchmal werden diese nur kurz gestreift, ein anderes Mal detailliert geschildert.