Er war gerade zwölf Jahre alt und dennoch schon ein gefragter Jodelstar. Walter Mittelholzers Agenda war in den 1970er-Jahren immer voll. Wenn er nicht zu Auftritten geladen war, musste er auf dem elterlichen Hof mit anpacken. Die Schule durfte natürlich auch nicht unter dem Erfolg leiden. Mittelholzer trat in der ganzen Schweiz auf. Auch im Fernsehen war er ein gern gesehener Gast. Verständlich, dass er dafür einen Teil seiner Kindheit aufgeben musste.
Den Vergleich mit Schlagerstar Heintje hörte er indes nicht gerne. Auch dass man ihn überall erkannte, war ihm als Kind irgendwie peinlich. So gesehen war es ein Fluch und ein Segen zugleich, als der Stimmbruch kam und ihm seine glockenklare Stimme raubte.
Mittelholzer wuchs mit sieben Geschwistern im appenzellischen Eggerstanden auf. Wenn er als kleiner Junge beim Heuen müde wurde, setzte er sich einfach hin und begann zu singen. So machte sich sein Gesangstalent schon früh bemerkbar. Mit elf Jahren besuchte er seine Gotte, die im Bernbiet ein Hotel führte. In der Küche lauschte er gebannt, wie die Köchin während der Arbeit Jodellieder von Vreni Kneubühl sang. Das wollte er selber auch können. Letztlich war es diese Köchin, die ihm dann das Jodeln beibrachte.
Verküsst wider Willen
Bei einem gemeinsamen Auftritt im Hotel war zufälligerweise der Veteranenobmann des Eidgenössischen Jodlerverbandes zugegen. Dieser brachte den Ball ins Rollen und verhalf Mittelholzer zu seinem ersten grossen Auftritt an der eidgenössischen Veteranentagung in St. Gallen. Dort war wiederum sein Idol Vreni Kneubühl anwesend. Diese war so begeistert von dem Jungtalent, dass sie ihn umarmte und herzlich küsste – dem kleinen Walterli war diese freundliche Geste allerdings eher peinlich.
Dank Mundpropaganda folgte Auftritt an Auftritt – vorerst in der Ostschweiz und später über die ganze Schweiz verteilt. Besonders eindrücklich empfand Mittelholzer seinen Auftritt am Weltkongress des Rotary Clubs in Lausanne, wo er vor 20'000 Menschen singen durfte. Zwischen 1972 und 1973 nahm er vier Schallplatten auf. Ein wichtiger Mentor während dieser Zeit war «Hornsepp» alias Josef Dobler, der ihn weiter förderte.
Reich an Erfahrung
Reich wurde Mittelholzer durch seine Zeit als Jodelstar zwar nicht, er konnte sich davon aber später ein Studium zum Feinwerkmechaniker leisten. Dies hätten ihm seine Eltern nicht ermöglichen können. Profitieren konnte er durch seine Erfahrungen als Kinderstar auch beruflich. Dank seinem selbstbewussten Auftreten gelang ihm der Sprung bis in die Konzernleitung seines späteren Arbeitgebers. Allerdings war er nun beruflich so eingespannt, dass Mittelholzer keine Zeit zum Jodeln mehr fand.
Vom Knabentenor zum ersten Bass
Erst jetzt, nach seiner Frühpensionierung, kann er sich wieder seinen Hobbies widmen. Seinen Wohnort hat er schon vor 27 Jahren in den Kanton Aargau verlegt. Mittlerweile ist er dem Jodlerchörli Niederlenz beigetreten. Als Vorjodler reiche seine Stimme nicht mehr aus, gibt Mittelholzer bescheiden zu. Dafür fühle er sich als erster Bass am wohlsten – und natürlich ist die Erinnerung an damals noch lebendig geblieben, genauso wie die Liebe zu seinen Appenzeller Wurzeln.