Ja. Es macht eigentlich überhaupt keinen Sinn, sich über falsch getroffene Entscheidungen an den Grammy-Verleihungen aufzuregen. Weil: Im Gegensatz zu den Oscars, die immerhin noch so etwas wie ein Spürchen von Relevanz geniessen, sind die Grammys ein jährlich stattfindendes, äusserst seltsames Mischmasch, das weder repräsentativ für das zeitgenössische Musikschaffen ist, noch von jemandem wirklich ernst genommen wird.
Und trotzdem sorgen sie jedes Jahr für rote Köpfe.
Es gibt sogar Musiker*innen, die sich so fest über diese Musikpreise nerven, dass sie sich dazu verpflichtet fühlen, Videos ins Internet zu stellen, in denen sie auf Trophäen urinieren .
Und jedes Mal, wenn die Nominierten bekannt gegeben werden, gibt's hässige Tweets.
Da machen wir natürlich gerne mit. Wir haben uns durch die letzten 20 Grammy-Jahre geklickt und die ungeheuerlichsten Fehlentscheidungen dieser – wir sagen's gerne nochmals – eigentlich irrelevanten Veranstaltung gefunden. Aber der Reihe nach:
Alle Jahre wieder: «Best New Artist»-Nominierte, die nicht «new» sind
Die Diskussion darüber, wer oder was jetzt wirklich «neu» ist und wer nicht, werden wir nie abschliessend führen können. (Auch bei SRF Virus streiten wir uns ständig darüber, wie neu ein Song sein muss, damit er wirklich noch als «neu» durchgeht.)
Klickt man sich jedoch durch die Nominierten in der Kategorie «Best New Artist», stösst man immer wieder auf Namen, die einen stutzig machen.
So ist dieses Jahr beispielsweise Multitalent Kaytranada in dieser Kategorie nominiert. Problem: Er wurde bereits vor vier (!) Jahren an den kanadischen «Juno Awards» mit dem gleichen «Breakthrough»-Preis geehrt. Und bei uns im Programm läuft er sogar schon seit über fünf Jahren!
2011: «Best New Artist» für Esperanza Spalding
Sowieso ist der «Best New Artist»-Preis wohl jene Grammy-Auszeichnung, die am meisten Kopfzerbrechen bereitet.
Dabei ist die Auswahl der Nominierten meistens gar nicht so schlecht! Es sind die schlussendlichen Gewinner*innen, bei denen die Academy regelmässig bizarre Entscheidungen trifft. Zum Beispiel 2013, als sich die Popband fun. (Das sind die mit « Toooooo-niiii-iiight... We! Are! Young! »), die notabene seither kein weiteres Album mehr veröffentlicht haben, gegen RnB-Zauberer Frank Ocean durchsetzen konnten.
Und zwei Jahre zuvor fiel die Entscheidung sogar noch kurioser aus: Damals setzte sich Jazzmusikerin Esperanza Spalding gegen ein hochkarätig besetztes Feld aus Mumford & Sons, Florence and the Machine, JUSTIN BIEBER(!) und DRAKE(!!!) durch.
Klar, die Grammys möchten jedes Genre gleichmässig abdecken und, hey, nichts gegen Frau Spalding! Aber dass eine Jazzmusikerin über zwei der grössten Popstars der Gegenwart und zwei mega-erfolgreiche Indie-, respektive Pop-Rock-Acts triumphieren konnte, mutet schon ein bisschen seltsam an. Erst recht, wenn man ein Auge darauf wirft, wie sich die fünf Acts in den letzten zehn Jahren relevanztechnisch weiterentwickelt haben.
2001: Steely Dan gewinnen «Album of the Year» – und nicht Eminem oder Radiohead
Der Preis für das Album des Jahres ist so etwas wie der Grammy-Hauptpreis und wird darum auch in der Regel ganz am Schluss der Veranstaltung verliehen. (Etwa so wie der Preis für den «Besten Film» an den Oscars.)
Und ähnlich wie bei den Oscars, passiert es auch den Grammys regelmässig, dass arrivierte Künstler*innen «zu spät» ausgezeichnet werden. Anstatt sie auf dem Zenit ihrer Karriere zu ehren, kommt die Auszeichnung erst Jahre später, mit ihrem nicht unbedingt besten Werk.
So würden wahrscheinlich auch die grössten Steely Dan-Fans der Welt deren Comeback-Album «Two Against Nature» nicht unbedingt als Höhepunkt ihrer Karriere bezeichnen. (It's all about «Aja» , my Friends.)
Und wenn man dann sieht, wer die anderen Nominierten in diesem Jahr waren – Eminems «The Marshall Mathers LP» zum Beispiel, eines der erfolgreichsten und stilprägenden Hip-Hop-Alben aller Zeiten, oder «Kid A» von Radiohead, das vielleicht genreübergreifend beste Album der 00er-Jahre – macht es das umso ärgerlicher.
2014, 2016, 2018: Kendrick Lamar geht leer aus
Kendrick Lamar ist der beste Rapper der Neuzeit. Sagen wir ja schon lange.
Dass seine letzten drei Studioalben «Good Kid, M.A.A.D City», «To Pimp a Butterfly» und «DAMN.» zwar allesamt für den Hauptpreis «Album of the Year» nominiert waren, aber schlussendlich nie ausgezeichnet wurden, ist jedoch ein weiterer Beweis dafür, dass Hip-Hop so etwas wie das Sorgenkind der Grammys bleibt.
(Und dass Lamar 2014 in der «Best New Artist»-Kategorie ausgerechnet gegen Macklemore und Ryan Lewis den Kürzeren zog, ist… well... let's not talk about it.)
2012: Kein «Best Recording Package» für Kanye und Jay-Z
Fun Fact: Die Grammys küren nicht nur Musik, sondern auch deren Verpackung. So gibt's jedes Jahr auch einen Preis für die beste Tonträger-Verpackung zu gewinnen.
2012 ging dieser Preis an die «Deluxe Edition» des Arcade Fire-Albums «The Suburbs», welches später an diesem Abend auch mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurde.
Warum hier allerdings ausgerechnet dieses Album, dessen Gimmick «Albumcover in verschiedenen Farben» war, ausgezeichnet wurde, und nicht etwa das goldig-gestanzte, von Louis Vuitton-Guru Virgil Abloh designte «Watch the Throne»-Artwork, kann wohl niemand so genau erklären. Poor Kanye!
2015: Beck statt Beyoncé
Und apropos Kanye: Der hätte fast (mal wieder) die Bühne gestürmt, weil 2015 Beck anstelle von Beyoncé mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurde. Und – Suprise! – irgendwie hatte er hier für einmal recht?
Weil: Beck hätte in den 90er-Jahren für «Odelay» gewinnen müssen – und nicht für sein eher durchschnittliches Album «Morning Phase».
So wartet Superstar Beyoncé noch immer auf den grossen Grammy-Hauptpreis, trotz insgesamt drei Nominierungen.
Immerhin: Als ihr 2017 Adele die Show stahl, war das – im Gegensatz zu vielen anderen Grammy-Fehlentscheidungen – die absolut richtige Wahl.
Nein, nein, nein! Haben wir mit unseren Einschätzungen total unrecht? Dann klick dich hier durch die bisherigen Gewinner*innen und sag in den Kommentaren oder aus Whatsapp via 079'909'13'33 wie falsch wir liegen.