Die Geschichte von «Pokémon» ist märchenhaft. Als Nintendo am 2. Februar 1996 die rote und die grüne Edition des Spiels auf den Markt bringt, tut es dies mit einer Auflage von nur 200'000 Stück. Keine grossen Erwartungen also an die kleinen Pocket-Monster, wie die Franchise ausgeschrieben heisst. Doch wie in jedem Märchen entwickelt sich auch hier eine Story, die ungeahnte Dimensionen annimmt.
Nicht nur, dass das Spiel den bereits totgeglaubten Gameboy wiederbelebt, die Anime-Serie erreicht unwiderruflichen Kultstatus und begleitet die Menschen bis heute. Auch die Sammelkarten, die 1999 ein erstes Mal die Schweiz erreichen, haben mittlerweile Kultstatus.
Mund-zu-Mund-Propaganda
Wie das so weit kommen konnte? Marcel Scheibler (59), Inhaber von MaRo-Games und der Mann, der viel zum schweizerischen Hype der Sammelkarten beigetragen hat, ist sich sicher: «In den 90ern und Nullerjahren gab es einen regelrechten Boom auf Sammelkartenspiele, welcher zwangsläufig auch die Schweiz erreichen musste.»
Er kauft zuerst «Magic»-Karten für seine Kinder, wird dann aber schnell selbst vom Fieber gepackt am heimischen Küchentisch. Darauf veranstaltet er die ersten Turniere im Raum Basel, bei denen zeitweise bis zu hundert Teilnehmer dabei sind. Scheibler geht von Restaurant zu Restaurant und stellt der Bevölkerung die Kartenspiele vor. So und durch Mund-zu-Mund-Propaganda verbreitet sich die Spielfreude in der ganzen Nation.
Auch Rocky Lonigro (35), mittlerweile Geschäftspartner von Scheibler, kommt dadurch auf den Geschmack. «Grundsätzlich spiele ich ‹Magic›, da mir das Spiel taktischer ist.»
Durch Videospiele zum erstmaligen Erfolg
Dass sich nur «Pokémon» und «Magic» durchsetzen können, hat mehrere Gründe. «Magic», dass sich über die Jahre zum stabilsten Sammelkartenspiel gemausert hat, sei mehr etwas für erwachsene Menschen. «Die Kinder, die früher ‹Pokémon› spielten, fühlten sich irgendwann zu alt dafür und wechselten zu ‹Magic›», erzählt Scheibler.
Digimon ist ein Abklatsch von Pokémon
Den «Pokémon»-Karten verhelfen vor allem die Videospiele und Filmadaptionen zu ihrem Erfolg. Es gibt wenig erfolgreichere Franchises in der Nintendo-Welt, selbst der allseits beliebte Klempner Mario wird von den Tierchen ausgestochen. «Und ‹Digimon› war einfach nur ein Abklatsch», fügt Scheibler lachend hinzu.
YouTube-Stars und Jubiläum erneuern den Hype
Den momentanen Hype erklärt sich der 59-Jährige indes durch zwei gewichtige Ereignisse. Da wäre einerseits YouTube-Star Logan Paul, welcher auf seinem Kanal eine Booster-Box der ersten Edition des Kartenspiels öffnet und sich von einem Experten über den Wert der Karten aufklären lässt.
Der Hype kam erwartet. Doch über das Ausmass war sich niemand bewusst.
Andererseits ist da auch noch das 25-jährige Jubiläum von «Pokémon» am 27. Februar 2021. Solch ein Event verhilft oftmals zu einem zwischenzeitlichen Hype, pflichtet ihm Lonigro bei. «Erwartet haben wir den momentanen Hype schon, das ist wie bei anderen alten Dingen, die wieder aufkommen. Doch das Ausmass war keinem von uns bewusst.»
Die Kartenpreise steigen ins Unermessliche
So steigt der Wert gewisser alter Karten ins Unermessliche. Rapper Logic hat zum Beispiel im Sommer vergangenen Jahres für eine Ersteditionskarte des Pokémon Glurak (engl. Charizard) rund 200’000 US-Dollar auf den Tisch gelegt. Eine seltene Pikachu-Illustratorkarte wird auf der Auktionsplattform «Ebay» für drei Millionen US-Dollar gelistet.
Schön ist auch die Geschichte einer Karte von Turtok (engl. Blastoise). Wizards Of The Coast, der Erstvertreiber der Karten im amerikanischen Raum, stellt 1999 zwei dieser Karten her, um diese einem Gremium Schmackhaft zu machen. Einer dieser Rohlinge ist mittlerweile wieder in wunderbarem Zustand aufgetaucht und von Experten bewertet worden. Sie beläuft sich auf einen Wert von rund 300'000 US-Dollar.
Je weniger gespielt, desto grösser ist der Wert
Dass viele dieser Karten heutzutage nicht mehr auf einen solchen Wert kommen, ist für die beiden Turnierveranstalter logisch. «Als wir mit dem Spielen und Sammeln starteten, war uns der künftige Wert der Karten nicht bewusst. Wir spielten mit ihnen und sie sind dementsprechend auch abgenutzt. Deshalb erreichen nur Karten, die zufälligerweise in Boxen verstaubt auf dem Estrich liegen, den vollen Wert.»
Die Karten, mit denen man gespielt hat, haben extrem an Wert verloren
Doch was sicher ist: Den emotionalen Wert der Karten und allem, was man mit dieser Zeit verbindet, kann nicht weggenommen werden. In diesem Sinne: Schnapp sie dir auch in den nächsten 25 Jahren alle, mein lieber Ash Ketchum!