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Bücher Ich glaub, es geht ihm nicht so gut

Das Beste am neuen Buch von Benjamin von Stuckrad-Barre ist der Titel. «Ich glaub, mir geht‘s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen» sind zusammengesammelte Texte und der Versuch des Popliteraten, nach seinem Bestsellererfolg «Panikherz», nicht vergessen zu gehen.

Mit «Panikherz» legte Benjamin von Stuckrad-Barre 2016 seine Autobiografie vor, hat uns sein leidendes und verdrogtes Herz geöffnet und dabei das ganze Magazin leergeballert, weil er kein wirtschaftlicher Autor sei, wie er mir damals, in der Raucherlounge eines Fünf-Sterne-Hotels in Köln, erklärte. Es war kein Gespräch zwischen uns, sondern völlige Verweigerung seinerseits. Er hatte halt einfach keine Lust.

Was kommt nach «Panikherz», das wochenlang auf der Bestsellerliste stand, fragte ich mich. Neuer Stoff braucht Zeit, die sich Stuckrad-Barre nicht nimmt, weil er Angst hat, wir könnten ihn vergessen. Also hat er Texte zusammen gesucht und «Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen» veröffentlicht. Begegnungen, in denen er uns dringend erzählen muss, welche Promis er unter welchen überraschenden Umständen kennen gelernt hat. Boris Becker, Madonna, Thomas Bernhard, Jörg Fauser, Pharell Williams – alle kommen vor. Eigentlich ist es gar nicht so wichtig, wer die Menschen sind, sondern wie er über sie schreibt. Und das kann er. Rasant, schlau und ironisch. Aber dafür muss man dieses Buch nicht lesen. Wenn, dann bitte dringend «Panikherz» als Hörbuch runterladen, wer das nicht eh schon gemacht hat! Weil Vorlesen kann er unbestritten, nur macht er das halt nicht bei Lesungen.

Über Nora Zukker

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Nora steht auf gute Geschichten. Sie ist sprachvernarrt und ins Lesen eigentlich einfach so reingerutscht.

Sie arbeitet für die NZZ, SRF und das Migros Magazin. An den übrigen Tagen schreibt sie an ihrem ersten Buch, das wahrscheinlich nie fertig wird, weil auch schon wieder was dazwischen kommt.

Eine One-Man-Show, die man nicht verpassen sollte

Am 26. April 2018 war er übrigens im Zürcher Kaufleuten für seine einzige Show in der Schweiz. Und wer dachte, Lesung, nein danke, hat die One-Man-Show eines Versehrten verpasst, der sich als Popstar feiert mit allem was dazu gehört. Lesen? Nein, das können wir ja alleine machen, findet er und liest genau zwei seiner Texte, erzählt dazwischen Anekdoten, ärgert sich über das neue Rivella-Logo und schiesst gegen Köppel, während er eine Zigarette nach der anderen raucht.

Das Publikum ist begeistert. Roger Schawinski sitzt stolz in der ersten Reihe, Dieter Meier kommt auf die Bühne und singt vier mal hintereinander «Ich glaub, mir geht’s nicht so gut, ich muss mich mal irgendwo hinlegen.»

Leider liest Stuckiman (wie ihn sein Schutzengel Udo Lindenberg zärtlich nennt) genau den Text, den ich sprachlich völlig uninteressant finde. «Tattoo» heisst die pathetische Liebesgeschichte zwischen Benjamin und einer Frau, die sich ihre Initialen tätowieren lassen. Die ZEIT schreibt: «Dem besten Text fehlt jegliche ironische Distanz. Ein Juwel.» Ich denke, wenn er Sätze wie: «Im Herzen war noch jede Menge Platz und der andere hatte alle Schlüssel dazu» oder «Wir liegen in der 24-Stunden-Sonne, namens Liebe» wirklich ernst meint, dann hilft mir beim Lesen nur noch ironische Distanz. Im Hintergrund der Liebesgeschichte Sommergewitter – war ja klar. Heidi Klum hat Stuckrad-Barre übrigens gesagt, wie man Tattoos dann auch wieder wegbekommt.

Und was wäre eine Lesung ohne Musik? Eben, dachte sich Stuckrad-Barre und stellt sich in die Menge, singt «Feel» von Robbie Williams, während das Publikum Feuerzeuge anzündet. Dann beleidigt er noch ein bisschen alle Schriftsteller, er ist ja Popstar, und meint: «Beim Suhrkamp Verlag sind jetzt alle gegen Bomben. Urs Widmer hat gesagt; keine Bomben! Da kann ich nur sagen: Ihr seht scheisse aus und riecht aus dem Mund.»

Wir lachen und applaudieren. Dann werden alle auf die Bühne gebeten für ein Instagramfoto. Benjamin von Stuckrad-Barre nennt Insta auch «Der Hohlraum, den wir jetzt alle zusammen bewohnen» und macht dort inflationär Werbung für sein Buch, die Fans feiern es ab und posten seit Wochen Selfies mit dem Buch irgendwo liegend (Stuckiman benutzt übrigens meistens den Juno-Filter).

Um 22:30 Uhr liest er den zweiten und letzten Text über ein Madonna-Konzert in L.A. Dann steht er auf und sagt: «Ich verwechsle das hier komplett mit Liebe und Familie. Ich liebe euch!» Dann kippt‘s.

Er stellt sich an den Bühnenrand, den Mikrofonständer zitternd zwischen die Beine geklemmt und singt «Angels» von Robbie Williams als wäre er nicht recht in der Welt. Aber die Verlorenheit hält er nicht aus und steht zehn Minuten später in Popstar-Manier im Foyer, signiert, lässt sich von den Fans umarmen und raucht.

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