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Gefängnispsychologin erzählt: Wie ist es, Mörder*innen zu therapieren?

Leena Hässig ist Psychotherapeutin und arbeitete über 30 Jahre in Strafvollzugseinrichtungen – sowohl mit Frauen, als auch mit Männern. Im Interview erzählt sie aus ihrem Arbeitsalltag als Gefängnispsychologin.

Leena Hässig

Leena Hässig

Fachpsychologin für Klinische Psychologie und Rechtspsychologie FSP

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Leena Hässig ist eine der erfahrensten Gefängnispsychologinnen der Schweiz. Sie arbeitete über 30 Jahre in Strafvollzugseinrichtungen - sowohl in der Frauenanstalt Hindelbank als auch in der Justizvollzugsanstalt Thorberg für Männer. Heute ist sie als Gewaltberaterin tätig.

SRF Virus: Frau Hässig, wie muss man sich den Job einer Gefängnispsychologin vorstellen?

Heute ist die Arbeit anders als in den 80er-Jahren. Ich war damals eine der ersten Psychologinnen, die in einem Gefängnis arbeiteten. In der heutigen Stafvollzugspraxis werden im Rahmen von Massnahmen Psychotherapien angeordnet. Diese Routine gab es damals noch nicht. Ich leistete immer psychotherapeutische Arbeit. Das heisst: Ich versuchte gemeinsam mit den Straftäterinnen und Straftätern herauszufinden, wie es zur Tat kam. Ich half ihnen, Verantwortung für diese Taten zu übernehmen und ihre Persönlichkeit so zu behandeln, dass sie nicht mehr rückfällig werden.

Ich therapierte die RAF-Terroristin Gabriele Tiedemann im Badezimmer

Wie sahen damals die Sicherheitsmassnahmen aus?

Die Sicherheitsrichtlinien für die Mitarbeiterinnen einer Anstalt waren zu dieser Zeit noch nicht so umfassend. Als ich beispielsweise die RAF-Terroristin Gabriele ­Tiedemann therapierte, war das im Badezimmer. Sie sass in Hindelbank im Hochsicherheitstrakt ein. Während der Therapie sass ich am Boden zwischen WC und Badewanne und sie zwischen der Dusche und dem WC. Das Badezimmer war nebst der Zelle der einzige Ort im Hochsicherheitstrakt, der nicht von Kameras überwacht wurde.

Wie ist das heute?

In der Regel arbeitet man heute an einem fluchtsicheren Ort. Die Insassen werden auf mögliche Waffen kontrolliert. Wenige kommen mit Handschellen und Fussketten in die Therapiestunde. Und die extrem gefährlichen Insassinnen und Insassen sitzen hinter einer Trennscheibe und werden vom Sicherheitspersonal begleitet.

Gab es in Ihrer Karriere Momente, in denen Sie Angst um Ihr Leben hatten?

Die gab es, aber sehr selten. Ich mag mich an einen Fall erinnern, als ein 2,10 Meter grosser Insasse einen psychotischen Schub hatte. Ich konnte das zum Glück gut handhaben. Es gab aber auch weitere abenteuerliche Situationen.

Zum Beispiel?

Eine Frau kam einmal mit Schlagringen in die Sprechstunde. Ich dachte mir, dass sie mich zusammenschlagen will. Als ich sie darauf ansprach, sagte sie, dass sie etwas habe erledigen müssen, mich das aber nicht betreffe. Es kam auch manchmal vor, dass mir eine Person sagte, dass sie jemanden umbringen will. Wenn es sich dabei um eine Mörderin handelt, dann fühlt es sich schon einen Moment befremdlich an.

Wie haben Sie solche Situationen emotional verarbeitet?

Als ich anfing, in diesem Job zu arbeiten, erzählte ich meinem Mann oft vor dem Einschlafen, was ich erlebt hatte. Danach lag er meist wach im Bett und ich schlief wie ein Stein. Irgendwann meinte er dann, ich dürfe ihm nach dem Znacht keine meiner Grusel-Geschichten mehr erzählen. Es ist wichtig, dass man sich im Team austauschen kann und letztendlich wird man für solche emotionalen Belastungen auch ausgebildet.

Gab es auch Straftäter*innen, die Sie nicht therapieren wollten?

Ja. Sexualstraftäter, die Kinder misshandelt hatten. Dort zog ich mich zurück und machte meinen Vorgesetzten klar, dass ich diesen Bereich nicht übernehmen will, was mir zugestanden wurde. Aber grundsätzlich muss man entgegennehmen, was einem in Auftrag gegeben wird.

Die Straftäterinnen und Straftäter sind mehr als ihre Taten

Wie schafften Sie es, den Straftäter*innen unvoreingenommen zu begegnen?

Die Staftäterinnen und Straftäter sind mehr als ihre Taten: Es sind Menschen. Wenn man Routine gewinnt, kann man das irgendwann trennen: Man sieht auf der einen Seite den Menschen und auf der anderen Seite die Tat.

Sie haben sowohl in einem Frauen- wie auch in einem Männnergefängnis gearbeitet. Gab es da Unterschiede?

Das ist eine meiner Lieblingsfragen. Frauengefängnisse sind immer sehr laut. Meine Kolleginnen und Kollegen haben immer gesagt, das sei wie in einem Hühnerstall. Männergefängnisse sind im Vergleich sehr leise. Und auch bei der therapeutischen Arbeit gibt es grosse Unterschiede zwischen Männern und Frauen.

Wieso ist das so?

In der Fachliteratur wurden alle Erkenntnisse in diesem Bereich an Männern erprobt und erarbeitet. Diese Erkenntnisse kann man aber nicht genau so auch an Frauen anwenden. Das ist etwas, das lange nicht anerkannt wurde. Frauen werden aus anderen Gründen gewalttätig als Männer.

Würden Sie sich rückblickend wieder für diesen Job entscheiden?

Auf jeden Fall! Ich bin vor allem meiner ersten Chefin sehr dankbar, die mir das ganze Fachgebiet schmackhaft gemacht und die wissenschaftliche Neugier in mir geweckt hat. Heute kann ich mein Wissen als Gewaltberaterin bei der Fachstelle Gewalt in Bern weitergeben. So kann ich gewalttätigen Frauen helfen und Kindern Schutz und Sicherheit geben.

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