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Meinung Dinge, die mich als Jüdin nerven

Auf der Welt gibt es etwa 14,4 Millionen Juden. Ich bin eine von diesen 0.2% der Weltbevölkerung, in der Schweiz geboren und sehr liberal eingestellt und musste mich schon öfters mit Klischees zum Judentum rumgschlagen. Einige der Punkte möchte ich gerne aus der Welt schaffen.

Das ist unsere Autorin. Ganz "untypisch" ohne lange Nase und mit Piercing.
Legende: Das ist unsere Autorin. Ganz "untypisch" ohne lange Nase und sogar mit Piercing. zvg

Wenn ich auf der Strasse an dir vorbeigehe, merkst du es nicht. Wenn ich dir gegenüber im Bus sitze, siehst du es nicht. Wenn ich mich mit dir unterhalte, wirst du es auch nicht wissen. Du wirst es weder an meinem Äusseren merken, an meiner Kleidung sehen, noch steht es auf meiner Stirn geschrieben: Ich bin jüdisch. Und auch etwa anderen 19'000 Juden in der Schweiz siehst du's nicht an.

Kleiner Fun Fact zwischendurch: Die meisten Juden in der Schweiz kennen sich. Der Grund dafür ist sehr banal: Es gibt nicht so viele. Und weil wir uns alle durch unsere Treffen zur Weltherrschaftsübernahme kennen. Ein Scherz am Rande. Über sich selber zu lachen ist auch ein Teil jüdischer Gepflogenheiten.

«Was, du bist jüdisch?!»

Klar, es gibt ultraorthodoxe Juden, die an ihren traditionellen Kleidern schnell erkennbar sind. Weltweit sind die meisten Juden aber säkular, oder modern-orthodox (weltlich) und du bist sicher schon einigen über den Weg gelaufen, ohne es zu wissen – vielleicht sogar mir.

Ich hänge meine Religion nicht an die grosse Glocke, aber ich gehe ganz offen damit um. Falls es also aus irgendeinem Grund doch zu Wort kommen sollte, dass ich jüdisch bin, platzen andere (meistens jedenfalls) nicht laut und mit Verwunderung in der Stimme mit «Was, du bist jüdisch?» heraus. Die meisten entgegnen mir eher mit einer freundichen Reaktion. Aber trotz versuchter Coolness, lässt sich die Verwunderung oder ihre leichte Verwirrung in den Augen schlecht verbergen.

Mir ist bewusst, dass die meisten nicht so reagieren, weil sie irgendein Problem damit haben, dass ich jüdisch bin. Sie reagieren so, weil sie einen Moment brauchen, um meine Person mit dieser Glaubensausrichtung zu vereinen. Das zeigt mir immer wieder, welch festgefahrenes Bild und welche Unwissenheit in der Schweiz über Juden herrscht.

Juden = Israeli? Nope!

Nicht nur dass nicht alle Juden Israelis sind, scheint an vielen vorbeigegangen zu sein (es gibt sogar indische und äthiopische Juden), auch dass es nicht meine Pflicht ist mich, als junge in der Schweiz lebende Frau, für die Politik eines Staates erklären zu müssen checken viele nicht.

Eines von vielen Beispielen: Eine laue Sommernacht. Die Wochenenden werden mit feucht-fröhlichen Abenden an den Gewässern der Schweizer Städte eingeleitet. Auch ich geniesse meinen Feierabend gut gelaunt an einem fliessenden Gewässer mit Bier in der Hand. Mit dem mediterranen Gefühl in der Luft, passiert es schnell, dass neue Bekanntschaften geschlossen werden. Und so wird über das Leben, Popkultur, Gott und die Welt geredet.

Kristallisiert sich aus irgendeinem Grund während des Gesprächs heraus, dass ich jüdisch bin, werde ich des öfteren mit der politischen Situation Israels konfrontiert. Am besten noch von jemandem, der mit irgendwelchen zusammengerkratzen Newsmeldungen meint sich eine fundierte Meinung über den Nahostkonflikt gebildet zu haben, werde ich, ohne, dass ich es gerade möchte, in eine Verteidigungs- und Rechtfertigungsrolle für einen ganzen Staat gedrängt. Dabei wollte ich nur meinen Feierabend geniessen.

Juden sind alle reich!

Als Jude bist du auch im 21. Jahrhundert mit vielen Vorurteilen konfroniert – Reichtum zum Beispiel.

Ich habe vor kurzem bei meiner verzweifelten Suche nach Süssem in der hintersten Ecke des Küchenschranks noch ein paar Schockotaler gefunden. Die haben sich da wohl noch von letzter Weihnachtszeit verirrt. Während ich mit ziemlicher Skepsis auf diese Schockotaler im goldenen Alupapier in meiner Hand blicke, höre ich mir «Rich Bitch» der südafrikanischen Band Die Antwoord an (welche Ironie). Die Taler sehen so ansprechend aus, wie diese berühmten Schocko-Marienkäfer, die für Geburtstage gekauft werden und dann Jahre vor sich hin vegetieren. Trotzdem beträgt der Originalkaufwert dieser Schockopackung wahrscheinlich mehr als der Betrag auf meinem Sparkonto. Es war eine M-Budget Familienpackung für die WG.

Wenn das Vorurteil stimmen würde, dass alle Juden reich sind, wäre ich dem wirklich nicht abgeneigt. «Ich bin reich», denke ich mir schluchzend, während neben mir meine Lohnabrechnung liegt, «reich an Liebe».

Nur weil du ihn nicht siehst, heisst nicht, Antisemitismus ist inexistent

Nur weil es aktuell zum guten Ton gehört, sich mit «Political Correctness» und Toleranz zu profilieren, um als hipper, moderner Städter angesehen zu werden, bedeutet es nicht, dass Dinge wie Antisemitismus von der Bildfläche verschwunden sind.

Höre ich in der Tram, wie sich Jugendliche mit «Du Jude» sticheln oder ich bei nächtlichen YouTube-Sessions irgendwann auf der ganz dunkeln Seite der Videoplattform lande, wo mir gänginge und neu-skurille Theorien weis machen wollen, warum Juden für das Böse auf der Welt verantwortlich sind, wird mir schlecht. Genau so, wenn ich höre, wie sich einige Menschen darüber beklagen, dass «dieses Holocaust-Thema» langsam durchgekaut ist.

Momentan sterben die letzten Zeitzeugen einer der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte weg. Unser aller Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass es nie in Vergessenheit gerät – egal ob Jude oder nicht. Denn Geschichte wiederholt sich immer. Und der Mensch neigt dazu, die selben Fehler immer und immer wieder zu begehen.

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