Ich gehöre zu dem einen Prozent der Menschen in der Schweiz, die histaminintolerant sind. Das heisst: Neben ganz vielen – ziemlich feinen – Lebensmitteln muss ich auf den Konsum von Alkohol verzichten und gehöre somit auch zu den 17 Prozent der Nicht-Trinker in der Schweiz. Das ist manchmal gar nicht so einfach.
Denn kommen Menschen zusammen, fliesst Alkohol, das ist quasi ein ungeschriebenes Gesetz unserer Gesellschaft. Sätze wie «Ou nei, du Armi!» oder «Bisch schwanger?» gehören deshalb zu meinem Alltag – egal ob beim Feierabendsoftdrink mit Freunden oder dem Znacht mit den Schwiegereltern. Wie mir geht's auch Felix. Er selbst hatte Probleme mit Alkoholismus, ist mittlerweile aber seit einer «zweistelligen Jahreszahl», wie er es selbst ausdrückt, trocken. «Beim männlichen Geschlecht heisst's dann: Du bist eine Memme! Oder: Hat dir deine Freundin verboten, zu trinken?», erzählt er aus eigener Erfahrung.
Wieso diese dummen Sprüche auch heute noch keine Seltenheit sind? Wahrscheinlich, weil Alkohol seit der Mittelsteinzeit, also etwa 10'000 vor Christus (!), zu einem Genussmittel des Menschen zählt und er bereits bei den Römern zu einem Gesellschaftsereignis dazugehörte. Der zu dieser Zeit lebende Schriftsteller Seneca beschrieb das Besoffensein als «freiwilliger Wahnsinn» und «Krankheit», die einsetze, wenn «die Kraft des Weines von der Seele Besitz ergreift».
Kein Alkohol, keine Freunde?
Ganz unrecht hatte er damit ja eigentlich nicht, schliesslich verändert Alkohol erwiesenermassen unsere Wahrnehmung. Nur: Viele wünschen sich diesen anderen Mindset und das Gefühl, frei von Sorgen zu sein. «Alltägliche Probleme können schon dazu führen, dass man zum Glas greift», bestätigt Felix und fügt an: «Wenn ich in die Stammbeiz gehe und von Problemen mit meiner Partnerin erzähle, finden die anderen: ‹Ach, das geht wieder weg. Trink doch noch eins.›»
Etwas, das er heute nicht mehr braucht. Alkohol trinken könne er ja, erzählt er, doch für ihn sei klar, dass seinem Körper kein Alkohol mehr zugeführt werden dürfe: «Ich würde in eine Abwärtsspirale schlittern. Und wenn ich ein Glas trinke, wird das nicht das letzte sein.» Deshalb hat er nach einer Entgiftung, einem Entzug und dem Beitritt bei den Anonymen Alkoholikern entschieden, einen Schlussstrich ziehen: «Der Stammtisch ist für mich passé und mein Freundeskreis hat sich drastisch verändert. Ich suche mir automatisch Leute, die verstehen, warum ich nicht trinke.»
Diese Veränderung kenne ich nur zu gut: Obwohl ich nie viel getrunken habe, wurde mit der Diagnose Histaminintoleranz vieles anders: Die ausgelutschten Sprüche satt, bin ich an Wochenenden eher daheim auf dem Sofa als in einer Bar zu finden – von Clubs ganz zu schweigen.
Damit will ich mich nicht in die Opferrolle drängen, ganz und gar nicht – eigentlich find ich's nämlich ziemlich okay, Serien zu schauen und mit meinen Katzen zu kuscheln, während sich andere masslos besaufen.
Jeder so, wie's ihm passt
Klar, für Leute die trinken und deswegen keine Probleme bekommen – egal ob physisch oder psychisch – mag sich das alles weinerlich anhören, aber neben der geschichtlichen Gesellschaftszugehörigkeit haben solche Sprüche eine ganz andere Message: Viele benützen sie, um ihren eigenen, oft übermässigen Alkoholkonsum zu relativieren oder rechtzufertigen. «Solche Leute nehmen ihre Kommentare als Spiegel für sich selbst», beobachtet Felix immer wieder.
Inwiefern das stimmt, lasse ich an diesem Punkt offen. Das soll jeder selbst für sich entscheiden. Was ich aber ganz sicher weiss: Auch ohne mich zu betrinken kann ich (wenigstens ein bisschen) lustig sein und meinen Spass haben – mit meinen ebenfalls nüchternen und sogar mit den besoffenen Freunden. Zum Glück!
Und übrigens, wer ebenfalls ganz auf Alkohol verzichtet, ist unser Moderator Robin Rehmann: