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Cypher CH-Rap: Auf einmal dissen sich alle!

Eines steht fest: Schweizer Rapper haben in der Öffentlichkeit noch nie einen auch nur annähernd ähnlich aggressiven Kampf ausgetragen wie etwa ihre Genre-Kollegen aus Deutschland (Kool Savas gegen Eko Fresh) oder aus den USA (Jay Z gegen Nas). Neuerdings fliegen aber auch im Heidiland die Fetzen.

So unschweizerisch Rap auch ist, auch hierzulande wird eine breitgefächerte Rap-Szene gepflegt. Nichtsdestotrotz ist diese Szene weniger von einer respektlosen Boshaftigkeit geprägt als wieder einmal mehr von unserer Bünzli-Mentalität, allesamt mit Handschuhen anzufassen. Namentlich Dissen ist im Vergleich zum Ausland ein klares Tabu! Dachten wir zumindest.

Am diesjährigen Virus Bounce Cypher hatten wir über 80 Schweizer Rapper zu Gast in unserem Studio, die abwechslungsweise ihr Können unter Beweis stellten und unsere Wahrnehmung vorerst mehrfach bestätigten:

  • «Wir lästern eher hintendurch und gehen selten auf Konfrontation», meint etwa Rapper Knackeboul aus Bern.
  • «Es ist so eine kleine Szene, wir kennen uns ja alle. Für einen ernsthaften Streit sind wir uns viel zu nahe», glaubt auch der Luzerner Rapper Luzi von GeilerAsDu und Moskito.
  • «Die Schweiz ist wie ein Dorf. Es kann sehr schnell passieren, dass auf einmal Leute vor deiner Türe stehen», ergänzt das Basler Urgestein Black Tiger.

Noch am selben Tag mussten wir diese Annahme jedoch direkt wieder revidieren: Am Cypher 2016 wurden wir auf einmal Zeuge davon, wie verschiedene Rapper einige der Anwesenden namentlich in den Dreck zogen - ganz ohne Augenzwinkern. Aus dem geglaubten Ponyhof wurde auf einmal eine öffentliche Schlacht.

Zürich schiesst gegen Bern

Der Thurgauer Rapper Smack der Crew Möchtegang disste in der Zürcher Stunde Uğur und Knackeboul aus Bern, indem er sein Lyrik-Feuer ironisch eröffnete mit:

Lustigerweise meinte die Möchtegang im Interview danach:

  • «Im Normalfall hat man ja kein Problem miteinander. Aber man begegnet sich so oft, da hat es keinen Platz für Streit.»

Bern schiesst gegen Zürich

Manillio aus Bern nimmt in seinem etwa drei Stunden späteren Rap prompt Bezug auf diesen Vorwurf, Schweizer Festivals würden seine Berner Freunde nur aus inzestuösen Beziehungen buchen:

Es stellt sich trotzdem die Frage: War dieser Diss-Hagel tatsächlich eine direkte Reaktion aus Bern war oder bloss inhaltlicher Zufall?

Dieses Bild ist so unglaublich Hip-Hop und so unglaublich schön: Wahrscheinlich sass Manillio im Zug, hatte seine Strophen schon bereit, hörte dann aber den Diss der Möchtegang gegen seine Berner Jungs und dachte sich: So nicht Jungs! Und schrieb diese drei Strophen, in denen er sie - ehrlich gesagt - wirklich auseinandernimmt.
Autor: Pablo Vögtli Rapper und Cypher-Gastgeber

Zürich schiesst gegen Zürich

Der Zürcher Rapper Maurice Polo empörte sich auf Facebook ebenfalls über die Zeilen von Smack, haute wütend in die Tasten und fasste den Cypher 2016 folgendermassen zusammen:

Der realest Motherfucker aus Zürich! Definitiv jemand, der sich nicht scheut, seine Fresse auch in den sozialen Medien aufzumachen. Trotzdem wurde er heftig kritisiert, er könne nicht in einem Atemzug die Möchtegang haten und gleichzeitig cool sein mit Fratelli-B. Ach. Mir ist das zu kompliziert. Ich finde es unterhaltsam.
Autor: Pablo Vögtli Rapper und Cypher-Gastgeber

Zürich schiesst gegen Graubünden

Auch zwischen dem Zürcher Rapper Weibello und Ali aus Chur herrschte auf einmal schlechte Stimmung. Eröffnet wurde der Streit durch Weibellos indirekte Aussage am Cypher, Ali fühle sich zwar wie eine legendäre Figur aus Game of Thrones, sehe aber eher aus wie der Wildhüter aus Harry Potter.

Ali liess nicht lange auf eine Reaktion warten und geigte Weibello seine Meinung auf Facebook zurück.

So schnell kann sich eine Meinung ändern. Am Cypher-Tag meinte Ali noch:

  • «Wir treffen uns ständig an irgendwelchen Veranstaltungen und daher finde ich es extrem dumm, wenn man sich disst. Sobald man sich nämlich wieder trifft, steht man mit seiner Gruppe in einer Ecke, schaut sich gegenseitig böse an, lacht über sich - und die Stimmung ist abgefucked.»

Unser Urteil

Was hat das alles zu bedeuten? Machen alle nur auf Kindergarten? Oder ist es doch der Anfang eines grossen öffentlichen Schweizer Rapkriegs? Unser Szenen-Kenner Pablo fasst zusammen:

  1. «Es wurde an diesem dritten Cypher 2016 tatsächlich am meisten gedisst! 2013 waren es noch versteckte Botschaften, 2015 vielleicht eher mal etwas Kleines und Feines, aber mittlerweile ist wohl einfach ein viel grösserer Rap-Kuchen da. Wenn jeder also ein Stück davon haben will oder jemand mehr Erfolg hat als man selbst, dann mag man es ihm immer weniger gönnen.»
  2. «Auch die Competition und der Druck am Cypher hat zugenommen. Das macht mich gleichzeitig sehr stolz. Ich als Hip-Hop-Konsument fühle mich befriedigt und unterhalten von solchen Geschichten und eigentlich war ja alles noch im Rahmen. Niemand verliess das Studio mit einer riesengrossen Wut.»
  3. «Als Kindergarten würde ich das Gedisse nicht bezeichnen, auch wenn es für Aussenstehende so wirken kann. Rapper wählen Rap als Inhalt ihres Lebens, in welches sie sehr viel Zeit, Liebe und Passion stecken - also muss man ihre Worte ernstnehmen. Daher kann es auch verletzen, wenn man gedisst wird.

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