Wer medizinische Hilfe braucht, erwartet, dass innert Minuten ein Krankenwagen eintrifft. Schliesslich entscheidet bei einem Notfall jede Minute über Leben und Tod.
Damit dieses Rettungssystem effizient funktionieren kann, müssen jedoch genügend Ambulanzwagen vorhanden sein. Etwas, das in Mexiko-Stadt nicht der Fall zu sein scheint. Dort stellt die Stadtverwaltung ihren knapp neun Millionen Einwohnern nur gerade 45 Krankenwagen zur Verfügung.
In die Bresche springen Kleinunternehmer. Einer davon ist Fernando Ochoa. Zusammen mit seinem 17-jährigen Sohn Juan verbringt «Fer» seine Nächte damit, den Polizeifunk abzuhören. Sobald dort ein Vorfall aufploppt, bei welchem medizinische Hilfe benötigt wird, rast Familie Ochoa mit ihrem privaten Krankenwagen zum Unfallort. Nicht selten kommen ihnen dabei andere private Ambulanzunternehmen in die Quere, die es dann mittels waghalsigen Raserspielchen abzuschütteln gilt.
Wer nicht aufpasst, wird in eine teure Privatklinik eingeliefert
Die heimliche Hauptfigur in «Midnight Family» heisst «Geld». Teure Privatkliniken zahlen den Ochoas stolze Summen für jeden einzelnen Patienten, der bei ihnen eingeliefert wird. Dafür, dass sich leidende Unfallopfer gegen eine Behandlung in einem öffentlichen Spital entscheiden, sorgen geschickte Überredungstaktiken seitens Familie Ochoa.
Wie fest der «Midnight Family» das Wohl ihrer Patienten wichtig ist, sei also dahingestellt. Reich wird die Familie bei ihrer Arbeit aber nicht. Schliesslich landet ein Grossteil der Summe, welche Familie Ochoa von den Kliniken für eingelieferte Notfallpatienten erhält, in den Taschen jener korrupten Polizisten, welche die Ochoas unter der Hand über Unfallschauplätze (vor-)informieren.
Der stille Beobachter auf dem Rücksitz des Krankenwagens
Für «Midnight Family» hat der erst 26-jährige Regisseur Luke Lorentzen über 400 Stunden Filmmaterial zu einem kompakten, 81-minütigen Paket geschnürt. Lorentzen agiert als stiller Beobachter und sorgt mit einer «Stop-and-Go»-Herangehensweise für viel Abwechslung: Die rasanten Verfolgungsjagden durch Mexiko-Stadt balanciert er mit stillen Momenten, in denen er die Ochoas während ihrer Ruheperioden beobachtet.
Weil Lorentzen jedoch auf Frontalinterviews verzichtet, bleiben immer wieder wichtige Informationen und Details auf der Strecke. Antworten auf zentrale Fragen, die sich im Zusammenhang mit dem Gesundheitssystem von Mexico City stellen (Warum stellt die Stadt nicht mehr Ambulanzen zur Verfügung? Sind die Ochoas überhaupt ausgebildete Rettungssanitäter? Inwiefern werden sanitäre Vorgaben eingehalten?), erhält man leider nur am Rande oder gar nicht. 3.5 von 5 Punkten.