Anfang 2020: Fünf junge Leute aus Zürich, darunter auch Bo und Natalja, machen sich mit einem Lastwagen auf den Weg nach Griechenland, wo sie rund 15 weitere Leute aus Deutschland treffen. Das gemeinsame Ziel der Gruppe im Alter von 25 und 40 Jahren ist, dass sie sich selber ein Bild der Flüchtlingssituation in Griechenland machen wollen.
Sie gehen aber nicht mit leeren Händen: Sie haben einerseits eine Küche auf Rädern mit dabei, um für die Menschen dort zu kochen. Zudem haben sie auch ein «Rolling Cinema», mit dem sie für etwas Unterhaltung mit Filmen sorgen, aber auch verschiedene Workshops anbieten können.
Ankunft in Griechenland
Den ersten Halt machen sie in Thessaloniki, wo sie für die dort vorallem jungen und obdachlosen Männer kochen. Doch sie müssen schnell feststellen: Die Regierung macht es freiwilligen Helfenden und NGOs nicht einfach. Die Essensausgabe durften sie nur am Stadrand, mitten im Rotlichtmilieu und einer einzigen grossen Müllhalde, aufstellen. Ein zusätzlicher Aufwand für die Menschen, die dort ihr Essen beziehen wollten.
Die psychischen Erkrankungen in den Camps nehmen zu. Einerseits aufgrund Traumata, die sie schon mitbringen, und andererseits wegen der dort herrschenden Zuständen.
Nach einer Woche in Thessaloniki wollen sie weiterziehen, doch auch da gibt es Schwierigkeiten, denn die Gruppe darf nur an Orte, wo es bereits eine NGO hat, die sie empfangen würde. «Das ist insofern blöd, denn dort gibt es ja schon Unterstützung, und an den Orten, die keine haben, wurden wir nicht toleriert», erklärt Natalja.
Traumatische Erlebnisse
Die Gruppe kann dann nach Serres im Norden Griechenlands weiterreisen. Im Camp dort leben Jesid*innen, eine religöse Minderheit aus dem Nahen Osten. «Diese Menschen sind auf der Flucht, weil sie wegen ihrer Religion vom IS verfolgt werden», erzählt Bo. «Sie haben schon unglaublich viel Leid erlebt, wurden versklavt und verkauft.»
Die Situation auf diesen Inseln ist nicht mehr ertragbar.
Was sie dort in Serres hören und sehen, ist auch für die Gruppe nicht einfach. «Während wir am Kochen waren, musste eine junge Frau ihr Trauma durchleben», erinnert sich Bo. Dieses könne durch ein Geruch oder ein Geräusch getriggert worden sein und das verdrängte Trauma sei bei ihr hochgekommen. «Im ersten Moment dachten wir, sie hätte einen epileptischen Anfall. Während wir etwas aufgelöst waren, gehört das dort zum Alltag und passiert regelmässig. Die Menschen machen nachher einfach normal weiter.»
Überall gibt es Schwierigkeiten
Die Gruppe will weiterreisen, doch die Repression in Griechenland nimmt immer mehr zu. «Wir haben die Lage unterschätzt. NGOs werden kriminalisiert, unsere Arbeit wurde verunmöglicht und Autos wurden beschlagnahmt», erzählt Bo. Anstatt wie geplant nach Lesbos, geht es für sie weiter auf die Insel Samos – nur noch zu fünft und mit dem Ziel, sich ein Bild vom Camp auf der Insel zu machen.
Die Situation im Camp kann man kaum in Worte fassen. Es fehlt an allem und den Leuten geht es schlecht. Sie verwahrlosen.
Die Zustände dort seien unerträglich: Die Camps sind überfüllt und mit allem, was die Leute in die Hände bekommen, versuchen sie so etwas wie eine Stadt aufzubauen. Weil sie keine andere Möglichkeit haben, sagt Bo: «Wegen dem Rückführungsabkommen sind die Menschen gezwungen, auf den Inseln zu bleiben und abzuwarten. Wie lange, das kann dir keiner sagen.»
Viele Menschen leben schon über ein Jahr im Camp und wissen nicht, wie lange sie noch dort bleiben müssen.
Den Menschen dort würde es an allem fehlen. «Es gibt zu wenig Wasser und Toiletten, es stinkt, gibt kein Licht und es gibt eine Rattenplage», zählt Bo auf. Er ist der Meinung, dass viele Probleme von der Regierung absichtlich herbeigeführt werden, indem keine Hilfe angenommen würde. «Es gibt Leute wie wir, die etwas machen wollen, aber sie lassen uns nicht. Es soll abschrecken, damit nicht noch mehr Menschen dorthin flüchten. Darum wollen sie diesen Zustand dort aufrecherhalten. Das ist unfassbar.»
Ich würde an diesem Ort zerbrechen.
Corona und Hygiene? Im Camp unmöglich
Die ganze Coronasituation habe die Zustände in den Camps nochmals deutlich verschlimmert. «Die Leute sind sich selbst überlassen, man schottet sie ab», findet Bo. «Wenn es einen Wasserhahn für 3'000 Leute gibt, wäre es ein Hohn, hier von Hygienemassnahmen zu reden.» Die Situation sei vorher schon prekär gewesen, steige jetzt aber ins Unermessliche.
Es gibt einen Wasserhahn für 3'000 Leute. Es wäre ein Hohn, hier von Hygienemassnahmen zu reden.
Zurück in der Schweiz verfolgt die Gruppe aus Zürich das Geschehen in Griechenland weiterhin und ist entsetzt, wie die Menschenleben unterschiedlich gewertet werden: «Die Regierung will Seenotrettung wegen Corona verhindern, gleichzeitig sagt sie, dass alle zu Hause bleiben müssen wegen Corona, um die Menschen zu schützen. Das heisst, das eine Menschenleben hat bei ihnen Wert, das andere nicht», sagt Bo.
Ich habe das Gefühl, dass sie die Leute in den Camps einfach sterben lassen wollen. Sie sollen dort bleiben, um ja niemanden ausserhalb anzustecken, und sind dort sich selbst überlassen.
Auch der Brand des Flüchtlingslagers Moria auf der griechischen Insel Lesbos verfolgen sie. Bo meint dazu: «Wir sind in verschiedenen Gruppen und erhalten dadurch praktisch eine Horrormeldung nach anderen aus den Camps. Letzte Woche eine Überschwemmung, der Brand im September – ich mache da keinen Unterschied, es ist alles gleich schlimm.»
Der Podcast
Nach der Rückkehr aus Griechenland war ihr ursprünglicher Plan, an Veranstaltungen den Menschen hier von ihren Erlebnissen aus Griechenland zu berichten und sie auf das Thema sensibilisieren. Doch Corona hat das unmöglich gemacht. Sie haben sich deshalb einen anderen Weg gesucht, es den Menschen zu vermitteln: ein Podcast. Sie nennen ihn «Ein Plan mit Grenzen» und besteht aus sechs Folgen. Sie versuchen darin, politische Konstrukte zu klären, berichten von ihren Erlebnissen und erzählen die Geschichten der Menschen, die dort leben. Zudem hätte der Podcast auch ihnen geholfen, alles zu verarbeiten und einzuordnen, was sie erlebt haben.