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Hidden Helvetia Wie Armut in der Schweiz aussehen kann

Über 600'000 Personen in der Schweiz leben in Armut, obwohl das Image ein ganz anderes Bild zeichnet. Aber Armut sieht man den Menschen in unserem Land nicht unbedingt an. «Hidden Helvetia» macht sie sichtbar.

Wenn die Schweiz zu den reichsten Ländern der Welt zählt, dann hat das durchaus seine Berechtigung: Durchschnittlich sitzt hier jeder auf 200'000 – 900'000 Franken Privatvermögen – je nach Quelle. Dieses Geld ist aber nicht gleichmässig verteilt. So kommt es, dass 7.5% der Schweizer Bevölkerung armutsbetroffen ist.

Armut hat viele Gesichter

Nicole ist eines davon. Sie ist 34 Jahre alt, alleinerziehende Mutter und lebt mit ihrer Tochter in Zürich. «Wenn das Geld am Ende der Woche nicht mehr reicht, dann merke ich die Armut am meisten», sagt sie. Es sei ihr auch schon passiert, dass sie an der Kasse im Laden stand und nicht alle Waren auf dem Laufband bezahlen konnte. Dann gibt’s nur zwei Optionen: Entweder steht hinter ihr ein Mensch, der sich spontan ein Herz fasst und ihr mit ein paar Franken aushilft, oder sie muss die Sachen zurücklegen. «Das ist natürlich oberpeinlich.»

Mittlerweile sei sie es gewohnt, jeden Rappen umzudrehen. Das war aber nicht immer so: Nicole hatte früher ein geregeltes Einkommen, arbeitete als Restaurantmanagerin, verdiente gutes Geld und war unabhängig. Dann kam sie mit Drogen in Kontakt. Nach jahrelanger Drogensucht wurde Nicole Mutter, machte einen Entzug und kann heute wieder für ihre Tochter sorgen. Sie bekommt Gelder von der Sozialhilfe, damit sie finanziell über die Runden kommt.

Sarah lehnt die Sozialhilfe ab

Auch Sarah* lebt unter der Armutsgrenze. Geld von der Sozialhilfe will sie allerdings nicht beantragen. «Dann bist du gleich abgestempelt», sagt sie. «Ich will einfach ein ganz normaler Mensch sein.»

Wie es ist, wenn man von der Sozialhilfe Geld beziehen muss, weiss sie von ihrer Mutter, die seit der Scheidung darauf angewiesen ist. Deshalb wählt Sarah* den harten Weg: «Dafür muss ich mich nicht immer rechtfertigen», sagt sie.

Sarah ist ausgebildete Hotelfachfrau, hat aber vor vor kurzem ihre letzte Anstellung verloren. Nun versucht sie, sich mit Temporärjobs über Wasser zu halten. Das verdiente Geld muss reichen, denn auf Arbeitslosengeld hat sie keinen Anspruch mehr. Sarah ist ausgesteuert.

Soziale Isolation ist ein grosses Problem

Wer in Armut lebt, läuft Gefahr, ausgeschlossen zu werden, weil nicht genug Mittel vorhanden sind um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen: Das Konzert ist zu teuer, ein Zoobesuch Luxus und Ausgang liegt nur drin, wenn gespart wird. Gerade in der Schweiz, wo der Lebensstandard hoch ist, ist es schwierig, mitzuhalten.

«Wenn man sich nicht vernetzt, wird man es auch schwieriger haben, mit eigener Kraft aus der Situation zu finden», sagt Michelle Beyeler, Dozentin für Sozialpolitik an der Berner Fachhochschule. Aus Scham, würden viele nicht über ihre Situation sprechen und das schlechte Image der Sozialhilfe schrecke ab. Doch laut Michelle Beyeler sei es wichtig, sich möglichst schnell Hilfe zu holen und ein soziales Netzwerk aufzubauen.

*Name von der Redaktion geändert.

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