Eine Musikerin vor dem Mikrofon zu haben, die für einmal nicht aus einer der grossen Musik-Metropolen in Amerika oder England stammt, ist schon eine spannende Sache. Wenn die Künstlerin dann aber noch mit aggressiven elektronischen Klängen herumexperimentiert wie keine zuvor, uns mit monotoner Stimme hypnotisiert und die Missstände ihrer Heimat Israel besingt, stockt uns definitiv der Atem.
Wir haben den Shootingstar Noga Erez aus Tel Aviv vor ihrem Konzert in Zürich getroffen und feiern ihr Debütalbum «Off The Radar» als eine der spannendsten Veröffentlichungen des Jahres.
Noga, du bist in Tel Aviv aufgewachsen. Wie muss man sich das Leben als Musikerin dort vorstellen?
Alles, was du in Israel in Zusammenhang mit Kunst antriffst, ist unabhängig erschaffen worden. Du erhältst absolut keine Unterstützung von der Regierung, es gibt keine Stipendien und die kreative Arbeit hängt einzig und allein vom Menschen ab – nicht vom Staat.
Was hält dich dann noch in deiner Heimat?
Das ist eine schwierige Frage. Es gibt viele Gründe für einen Wegzug: Ich möchte gerne etwas anderes ausprobieren und wir haben viele Probleme in unserem Land, die mich beschäftigen. Andererseits möchte ich aber auch unbedingt bleiben, denn gerade in schwierigen Zeiten will ich erst recht für meine Liebsten da sein.
Aber du hast recht, eigentlich macht mein Wohnort nicht wirklich Sinn, da meine Karriere vor allem in Europa stattfindet. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis ich meine Koffer packe.
In Zusammenhang mit Israel fällt oft das Wort «Terror» – gerade in den Medien. Wie präsent ist das Thema in deinem Alltag?
Es gibt Zeiten, in denen es richtig abgeht: Ein Alarm geht am hellichten Tag los und man muss Schutz suchen, Terroristen attackieren öffentliche Plätze – aber zum Glück kann ich sagen, dass diese Angst nicht zu meinem Alltag gehört. Ich lebe auf der «guten», privilegierten Seite von Israel.
Trotzdem hast du dich entschieden, genau solche heiklen Themen wie Terror oder Waffengewalt in deinen Songs zu behandeln. Warum das?
Für mich wäre es komisch, wenn ich in meiner Kunst nicht darüber sprechen würde, denn im Alltag tue ich das mit meinen Freunden und meiner Familie ja auch. So verarbeite ich die instabile Lage in meinem Land und das gehört einfach zu meinem Leben. Nicht darüber zu singen wäre in meinen Augen einfach gefährlich und unauthentisch.
In Israel musstest du auch den obligatorischen Militärdienst absolvieren. Wie war das für dich?
Irgendwie waren die ganzen zwei Jahre ziemlich schräg. Ich war eine Sängerin in einer Band der israelischen Verteidigungskraft und musste Soldaten unterhalten. Ich weiss nicht, ob ich es heute wieder tun würde, denn ich bin jetzt 28 Jahre alt und meine Sicht der Dinge hat sich geändert – aber beeinflusst hat es mich auf jeden Fall.
Hat der Dienst auch aus musikalischer Sicht Spuren bei dir hinterlassen?
Es hat mich näher zur Musik gebracht und mir gezeigt, was man alles damit bewirken kann. Wir haben militärische Basen besucht und für israelische Soldaten gesungen, die kurz vor einem Einsatz standen. Da denkst du dir teilweise schon: «Was zur Hölle mache ich hier genau?», aber gleichzeitig wird dir bewusst, was für eine Auswirkung und Kraft deine Kunst auf andere Menschen haben kann.
Reden wir kurz über deinen Song «Pity». Der wurde ja inspiriert von einem realen Vergewaltigungsfall in Israel, oder?
Ja, das stimmt. «Pity» wurde inspiriert von einer realen Story, die vor allem in den israelischen Medien und auf Social Media gestreut wurde. Es ging dabei um einen Vorfall von sexueller Gewalt oder besser gesagt «angeblicher» Gruppenvergewaltiung. Ich sage angeblich, da das Gericht bis heute nicht offiziell bestätigt hat, dass es sich um ein Delikt handelt.
Aber das ist noch nicht alles: Zahlreiche geschmackslose Videos der Tat machten die Runde, da Schaulustige das Handy zückten und alles filmten. Das machte mich richtig wütend und ging mir tagelang nicht mehr aus dem Kopf. Ich meine nicht nur die Vorstellung, sexuell ausgenutzt zu werden, sondern auch den Fakt, dass deine Privatsphäre öffentlich derartig verletzt wird – das gab mir zu denken.
Was waren die Reaktionen darauf?
Viele Leute fanden es extrem mutig, über ein solches Thema zu sprechen und man muss dazu sagen, dass «Pity» vor der ganzen #MeToo-Kampagne veröffentlicht wurde. Aber ehrlich gesagt verwirrt mich das ein wenig, denn erstens bin ich nicht die Erste, die darüber spricht und zweitens verstehe ich nicht, dass das Thema mit Samthandschuhen angefasst wird. Es ist einfach die Realität und über die muss gesprochen werden – vor allem wenn sie so krank ist.
Und zum Schluss: Gibt es Themen, über die du nie singen würdest?
Meine Privatsphäre aufzugeben wäre ein absolutes No-Go für mich oder über persönliche Beziehungen zu schreiben – das würde sich falsch anfühlen.
Ausserdem ist die logische Konsequenz meiner musikalischen Arbeit, dass Leute wie du mich darauf ansprechen werden; das nutze ich aktuell lieber für andere Themen. Aber wer weiss wie ich in ein paar Jahren drauf sein werde. Vielleicht bin ich dann die verträumte Schmusesängerin.