Leben ohne Strom, ohne fliessendes Wasser, ohne Heizung, ohne Internet, ohne Telefonnetz. Was nach einem Leben vor hunderten von Jahren klingt, ist im Sommer für Laura (28) normaler Alltag. Schon als Kind verbrachte sie ihre Sommerferien auf der Alp, mittlerweile arbeitet sie dort jedes Jahr drei Monate als Hirtin. Zusammen mit einer gleichaltrigen Freundin kümmert sie sich um 210 Kühe, ein paar Hühner und bewirtschaftet eine kleine Beiz auf einer Alp bei Avers (GR) auf über 2'000 Höhenmeter.
Die beiden Frauen sind mittlerweile ein eingespieltes Team. Jeden Morgen stehen sie um halb sieben auf, frühstücken zusammen und gehen auf die Weide zu den Tieren. Dort sehen sie nach den Tieren und was es sonst noch alles zu tun gibt, wie zum Beispiel die Zäune kontrollieren und nachsehen, ob die Brunnen mit Wasser gefüllt sind. Bevor eine der Hirtinnen wieder zurück zur Hütte geht, besprechen sie jeweils die Route der anderen auf der Weide.
Da wir kein Telefonnetz haben, müssen wir immer wissen, wo die andere jeweils ist. So können wir am Abend, wenn sie nicht zurückkommt, auf die Suche gehen.
Ab 11 Uhr geht eine wieder zurück und bewirtschaftet die Alp-Beiz, die von Wanderern gerne besucht wird. Dort gibt es einiges zu tun: Kochen, Essen anrichten, Brot backen, Gäste bedienen, Getränke einschenken. Brot und Kuchen machen sie selber und bereiten es am Vorabend zu. Mit trockenen Lebensmitteln wie beispielsweise Teigwaren, Mehl und Zucker ist ihre Vorratskammer gut bestückt. Bevor sie nämlich den Alp-Sommer antreten, machen sie einen Grosseinkauf in der Stadt und bringen die Lebensmittel auf die Alp. Frische Lebensmittel wie Milch beziehen sie von einem Bauer auf einer benachbarten Alp. Eier geben ihnen drei Hühner, die mit ihnen auf der Alp wohnen und um die sie sich ebenfalls kümmern.
Wir freuen uns am meisten, wenn uns Gäste frische Lebensmittel wie Früchte und Gemüse mitbringen - sowie ein paar Zeitungen. Wie alt letztere sind, ist uns egal, denn wir interessieren uns auch für die Nachrichten von letzter Woche.
Gebadet wird im Bach
Etwa alle zwei Wochen gehen sie für ein paar Stunden ins Dorf hinunter - um einzukaufen, Anrufe zu tätigen, Mails zu checken, sich über die Welt zu informieren. Denn das ist fast die grösste Herausforderung auf der Alp: Es gibt weder Strom noch Telefonnetz, geschweige denn Internet. Es gibt etwas Solarstrom, der gerade so für die Lampen in der Hütte ausreicht, ansonsten gibt es nichts.
Nicht nur kein Strom und Internet, sondern auch fliessendes Wasser und eine Heizung gibt es auf der Alp nicht. Gebadet wird im Eisgletscher-kalten Wasser eines Bergbachs, der vor der Hütte vorbeifliesst. Zudem haben sie einen Brunnen, aus dem frisches Quellwasser rinnt. Geheizt wird mit Feuer im Ofen, was für die beiden Hirtinnen bedeutet, dass sie jeden Abend Holz hacken müssen.
Ich geniesse das so sehr! Einfach mal drei Monate für niemanden erreichbar zu sein. Ich muss keinen einzigen Anruf, keine Mail oder SMS beantworten. Das ist unglaublich befreiend.
Während eine der beiden Hirtinnen tagsüber die Beiz bewirtschaftet und die Gäste bedient, kümmert sich die andere um die Kühe auf der Weide. Die Tiere werden vor gefährlichen Stellen, bei denen zum Beispiel Absturzgefahr herrschen könnte, weggelockt, auf eine andere Weide gebracht oder sie werden einfach beobachtet, ob es ihnen gut geht und es ihnen an nichts fehlt. Als Hirtin müssen sie sicher sein, dass es jedem der über 200 Tiere gut geht.
Die Verantwortung, die man als Hirtin trägt, ist riesig: Man will kein einziges der über 200 Tiere verlieren.
Zurück in der Stadt: Der Kulturschock
Obwohl die beiden Frauen tagsüber meistens jede für sich sind – abgesehen von den Gästen in der Beiz – würden sie sich nie alleine fühlen. «Es gibt immer so viel zu tun, da hat man gar keine Zeit, sich einsam zu fühlen», meint Laura. Umso grösser sei dann der Kulturschock, wenn sie nach drei Monaten wieder zurück in die Stadt kommt: «Plötzlich hat man wieder alles, ist ständig erreichbar, man kann sich spontan mit jemandem verabreden. Das ist zwar schön, aber am Anfang auch wieder sehr streng». Sie brauche darum immer eine Weile, bis sie sich wieder an das Leben in der Stadt gewöhnt habe.