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Kompass Klickscham: Surfen wir die Welt kaputt?

Die Umweltbelastung durch das Internet wird immer mehr zum Thema. Doch wo stehen wir momentan? Und sollte in Zukunft auf Smartphone, Netflix & Co. verzichtet werden? Wir sprechen mit einem Forscher und machen den Faktencheck.

Klicken ist das neue Fliegen. Mit dieser Schlagzeile sorgte die französische Denkfabrik «The Shift Project» im vergangenen Jahr für Aufsehen und markierte die Geburtsstunde eines neuen Öko-Phänomens: Klickscham. Von gewissen Personen wird sie bereits als Nachfolgerin der Flugscham prophezeit, andere halten ein digitales Umdenken für unwahrscheinlich. Doch wie schlimm ist es wirklich? Und müssen wir überhaupt umdenken?

Dr. Vlad Constantin Coroamă

Dozent und Oberassistent an der ETH Zürich

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Dr. Vlad Constantin Coroamă ist Dozent und Oberassistent an der ETH Zürich im Departement Informatik. Er gibt Vorlesungen und forscht im Bereich «Smart Energy».

Was ist das Internet?

Wenn du dir ein Video anschaust oder etwas googelst, sind drei Arten von Geräten beteiligt: Rechenzentren, Netze und Endgeräte. Die Umweltbelastung findet dabei durch die Elektrizitätsproduktion und zum kleineren Teil bei der Produktion der Geräte statt.

Forscher Dr. Vlad Constantin Coroamă findet, dass hier schon erste Probleme auftauchen: Einerseits sind Netze schwer greif- und messbar, andererseits ist die Definition des Internets schwammig. Was gehört dazu und was nicht? Welche Komponenten werden für eine Studie berücksichtigt? Dies hat zur Folge, dass die Resultate bis zu einem Faktor 10 auseinander liegen können. Im Vergleich zu früher eine starke Annäherung, denn vor 20 Jahren wurde noch mit dem Faktor 10'000 gearbeitet.

Frau mit Smartphone
Legende: Keystone

Problematisch auf mehreren Ebenen

Aus diesem Grund müssen Studien zur digitalen Umweltbelastung mit Vorsicht genossen werden. Besonders die Erkenntnisse von «The Shift Project» , welche als Auslöser für die Klickscham-Bewegung gelten, sind in dieser Hinsicht kritisch. Laut Dr. Vlad Constantin Coroamă bröckeln sie zudem auf drei weiteren Ebenen:

  1. Die Studie wurde nicht von Wissenschaftlern , sondern von einem französischen Think Tank durchgeführt. Dadurch wurde sie veröffentlicht, ohne vorher wirklich überprüft zu werden.
  2. Die Grundlage zu den Forschungen ist eine andere Studie aus dem Jahr 2015. Diese entspricht ebenfalls nur ungenügend wissenschaftlichen Qualitätskriterien. Zudem hat der Hauptautor der 2015er Studie deren Vorhersagen mittlerweile stark nach unten korrigiert; die Shift-Studie blieb von dieser Korrektur unbeeindruckt.
  3. Die Studie wagt Prognosen bis ins Jahr 2030 und behauptet, dass die Digitalisierung im schlimmsten Fall 8% der weltweiten Treibhaus-Emissionen ausmachen wird. Dafür müsste sich jedoch der heutige weltweite Stromverbrauch mehr als verdoppeln und der Wachstum ausschliesslich von Digitaltechnologien aufgebraucht werden. Hier wird nicht berücksichtigt, dass enorme Kosten für die Konsumenten anfallen würden, weil die Infrastruktur stark aufgerüstet und deutlich mehr produziert werden müsste.

Weiterklicken oder umdenken?

Doch in welcher Grössenordnung bewegen wir uns momentan konkret? Dr. Vlad Constantin Coroamă macht folgenden Vergleich: Eine Stunde Netflix schauen heisst in etwa, 100 bis 500 Meter mit dem Auto zu fahren. Das mag im ersten Moment erschrecken, ist im weltweiten Vergleich aber relativ gering. Ausserdem sei es schwer vorauszusagen, in welche Richtung sich der Internetkonsum entwickeln wird: Vor zehn Jahren wurden im Internet hauptsächlich Daten und Musik ausgetauscht, heutzutage besteht die Nutzung zu 75% aus Videostreaming.

Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass Klicken bei weitem nicht so schlimm ist wie Fliegen. Aus diesem Grund empfiehlt Dr. Vlad Constantin Coroamă, sich beim ökologischen Umdenken auf wesentlichere Bereiche zu konzentrieren.

Wenn ich mithelfen will, die Umweltbelastung relevant zu senken, werde ich das kaum schaffen, indem ich meinen Digitalkonsum bändige. Da macht Flugscham deutlich mehr Sinn.
Autor: Dr. Vlad Constantin Coroamă Dozent und Forscher

Tipps für den Alltag

Falls du dein digitales Konsumverhalten trotzdem ökologischer gestalten möchtest, kannst du diese fünf Punkte beachten:

  • Tausch deine Geräte nicht unnötig aus. (Einzige Ausnahme: Energiefresser wie alte Plasmabildschirme!)
  • Schau Videos und Serien in Full HD statt 4K.
  • Hör deine Musik ausschliesslich über Streamingdienste wie Spotify oder Soundcloud und nicht via YouTube (wo Videos unnötig über das Netz geschickt werden).
  • Deaktiviere die Funktion des automatischen Abspielens von Videos auf Facebook.
  • Konsumiere bewusst und hinterfrage, bevor du klickst: Lasse ich mich hier einfach berieseln oder hat es einen Mehrwert?

Was sagst du zu Klickscham? Übertrieben oder gerechtfertigt? Könntest du der Umwelt zuliebe auf gewisse Devices verzichten? Erzähl’s uns via Whatsapp-Sprachnachricht auf 079 909 13 33.

«Kompass»

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