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Kompass Vom Flüchtlingsjungen zum Profiboxer

Ando Hakob (28) kam als Flüchtling in die Schweiz und musste seinen Weg an die Spitze des Schweizer Boxsports nicht nur mit seinen Fäusten erkämpfen. Er widmet sein ganzes Leben dem Sport und ist überzeugt, dass das Boxen junge Menschen vom Prügeln abhält und ihnen bei der Integration hilft.

«Kompass»

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Unser Host Jan Gross

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Andranik Hakobyan , wie Ando richtig heisst, wurde in der armenischen Hauptstadt Jerewan geboren. Er wuchs mit seiner Familie auf einem Bauernhof auf, seine frühe Kindheit war geprägt von grosser Armut.

Auf der Suche nach einem besseren Leben machten sich seine Familie und der 7-jährige Ando auf den Weg in «das gelobte Westeuropa».

Doch der Wunsch nach einem neuen Zuhause ging nicht so schnell in Erfüllung wie erhofft: vom weissrussischen Minsk ging es nach Polen, dann nach Deutschland, Frankreich und Spanien. 1999 brachte der Zufall die Familie nach Genf.

In Genf kam die Familie in ein Flüchtlingsheim, das sich in der Nähe des Flughafens befand. Dann wurden sie nach Muri AG geschickt, wo sie in einer Unterkunft lebten, in der es überhaupt keine Privatsphäre gab – eine schwierige Situation für die Familie. Schlussendlich landeten sie in Ennetbaden AG und konnten dort Fuss fassen.

Wir mussten nachts über zugefrorene Flüsse laufen. Mein Vater sagte zu den Schleppern, dass er ihnen nicht vertraue, das Eis zu dünn sei und wir alle sterben würden.

Die Erinnerungen an die Flucht wird Ando nie vergessen. In Polen lebte die Familie in einem Hotelzimmer, das so dreckig war, dass sich Ando noch bis ins kleinste Detail daran erinnern kann: «Wir lebten zu fünft auf 10 Quadratmeter, die Wände waren voller Schimmel, es hatte Kakerlaken in den Ecken. Bis heute denke ich an dieses Zimmer zurück, wenn ich mich hier in der Schweiz über etwas beschweren möchte.»

Bevor die Familie aber überhaupt in Europa ankam, mussten sie ihr Leben mehrmals riskieren und beispielsweise über zugefrorene Flüsse laufen und dabei den Schleppern vertrauen, dass das Eis dick genug für eine Überquerung war.

Started from the bottom – now he's here

In der Schweiz angekommen, fiel es Ando zuerst schwer, in der Schule Freunde zu finden: «Die Kinder lachten mich aus, weil ich kein Deutsch konnte und man mir ansah, dass wir kein Geld hatten. Das war schwierig. Ich hatte noch nicht das Selbstbewusstsein, das ich heute habe», erzählt er.

Trotzdem liess sich Ando nicht herunterkriegen und begann, Fussball zu spielen. Mit dem Fussball kam aber auch der Frust, nicht weiter zu kommen. Dieser Frust entlud sich auf völlig falsche Art und Weise. Ando prügelte sich auf der Strasse, holte sich dort seine Bestätigung.

Ich wollte kämpfen. Denn was kann ich besser als das? Ich habe mein Leben lang gekämpft.

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Hier gibt's eine ausführliche Liste mit Boxclubs in der Schweiz. Es gibt Kurse für Jedermann: Amateure, Frauen oder auch Berufstätige, die im Alltag zu fest gefordert werden.

Für Ando war klar, dass er schleunigst etwas ändern musste. Er hängte den Fussball an den Nagel und ging ins Boxtraining: «Ich brauchte einen Sport für mich. Einen Sport bei dem ich mich auf mich selber konzentrieren musste. Ich wollte kämpfen. Denn was kann ich besser als das? Ich habe mein Leben lang gekämpft.»

Nach einem Jahr Training hatte er seinen ersten Wettkampf. Sein erstes grosses Ziel war es, Schweizer Meister zu werden. Das Profisein war ihm damals noch ziemlich egal.

«Eigentlich wollte ich nur Schweizer Meister werden. Ich dachte, dass ich so vielleicht den Schweizer Pass bekommen kann. Diese Rechnung ist aber nicht ganz aufgegangen. Als ich dann wirklich Meister wurde, rückte für mich der Sport ins Zentrum.»

Ando begann härter zu trainieren, gab seinen Job auf und setzte alles auf die Karte Profiboxen. In der Kategorie Superleichtgewicht hat er bisher acht Profikämpfe bestritten und sie allesamt gewonnen – vier davon durch K.o.

Ando managt sich selbst, sucht nach Sponsoren, führt Buchhaltung, trainiert Jugendliche – und das alles neben seinem eigenen Training. Er lebt seinen Traum, auch wenn er nicht gerade reich davon wird.

Boxen ist nicht Prügeln

Boxen ist Leidenschaft, Strategie und Lebensschule. Man braucht eine gewisse Intelligenz für diese Sportart. Es ist viel mehr als einfach Prügeln, es ist für mich Schach mit dem Körper.

Entgegen dem geläufigen Vorurteil, dass Boxen sowieso nur Prügelei ist, braucht es bei dieser Sportart viel mehr, als geballte Fäuste: «Wenn man im Ring aggressiv ist, dann verliert man nicht nur die Kontrolle, sondern auch den Kampf. Boxen ist Leidenschaft, Strategie und Lebensschule. Man braucht eine gewisse Intelligenz für diese Sportart. Es ist viel mehr als einfach Prügeln, es ist für mich Schach mit dem Körper», so Ando.

Boxer sind keine Schlägertypen. Du lernst, dich besser unter Kontrolle zu haben – es haltet dich von der Strasse ab.

Gerade deswegen halte das Boxen auch davon ab, sich auf der Strasse zu prügeln. Man könne mit dem Boxen seinen Frust kontrolliert herauslassen, meint Ando. Und nach dem Training sei man sowieso viel zu kaputt, um sich noch mit solchen Dingen zu beschäftigen. «Es gibt auch immer mehr Manager, die boxen. Sie sind gestresst im Alltag, kurz vor dem Burnout. Beim Boxen können sie ihren ganzen Frust herauslassen», fügt Ando hinzu. Man nimmt die ganze negative Energie und wandelt sie in positive um.

Ando ist dies gelungen. Sein ganzes Leben lang musste er kämpfen, nun hat er das Kämpfen zu seinem Beruf gemacht. Er ist überzeugt: «Wenn ich wohlbehütet in der Schweiz aufgewachsen wäre, dann wäre ich jetzt kein Boxprofi.»

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