«Es gibt so viele creepy Männer», «Oh Gott, schon wieder ein Dickpic» oder «Die wollen alle gleich ins Bett mit dir»: Viele meiner Freundinnen waren bereits auf Tinder oder ähnlichen Dating-Plattformen unterwegs und sind nicht gerade begeistert davon. Zu oft geht es um Sex, zu oft geilen sich Männer daran auf, ihr «Prachtsstück» (die Anführungszeichen sind hier nötig, da ich solche Bilder bereits zur Genüge gesehen habe und sagen wir mal, na ja, ästhetisch waren die nicht gerade) zur Schau zu stellen und viele sehen es eher als eine Art Zeitvertrieb, als dass sie sich wirklich auf die Suche nach Liebe machen.
Die Tinder-Kinder kommen!
Bei Isabel war es genauso: Sie ist mit ihren Freundinnen unterwegs, die alle in einer Beziehung sind. Eine Freundin aus Kanada erzählt ihr schliesslich von Tinder und Isabel meldet sich am gleichen Abend aus reinem Vergnügen an. Mit ihren Freundinnen swiped sie hin und her und checkt die vorgeschlagenen Männer aus.
Doch dann wird aus Spass plötzlich Ernst: Sie matcht mit Raphi, die beiden beginnen zu schreiben und sind sich auf Anhieb sympathisch. Irgendwann kommt es zum ersten Date (für beide übrigens das allererste Tinder-Date). Raphi reist von Luzern nach Basel und ist direkt begeistert: «Isabel stand mit einem Bier für mich da. Das hat sie sofort sehr sympathisch gemacht.» Die beiden sitzen den ganzen Abend am Rhein und treffen sich ab diesem Zeitpunkt jede Woche. «Es ging sehr schnell, eigentlich so, wie wenn man sich woanders kennenlernt», erzählt Isabel.
Unser Sohn war geplant, gewollt und es ist mega toll. Es macht so viel Spass!
Drei Jahre später ziehen die beiden schliesslich zusammen. «Raphi wohnte in Luzern, ich in Basel. Wir trafen uns in der Mitte und sind nach Aarau gezogen», erklärt Isabel. Heute wohnen sie in Zürich – und zwar zu dritt! Im Juni dieses Jahres kam ihr gemeinsamer Sohn zur Welt. «Geplant, gewollt und es ist mega toll. Es macht mega Spass», schwärmen die beiden und ich werde fast ein bisschen verlegen, weil die beiden in diesem Moment so glücklich aussehen, dass es fast aus ihnen herausplatzt.
Nie hätten die beiden erwartet, dass aus dem anfänglichen Spass, ein bisschen auf Tinder rumzustöbern, die grosse Liebe inklusive Baby-Glück entstehen würde. «Ich dachte, es würde ein bisschen länger gehen und nicht gleich beim ersten Date passieren», lacht Raphi und Isabel fügt an: «Was für eine Überraschung.»
PS: Der Übertitel dieses Abschnitts ist überhaupt nicht als Witz gemeint. In einigen Jahren wird es wohl noch viel mehr Tinder-Kinder geben: Fast jede Person, die ich zu diesem Thema befrage, kennt ein Paar, dass sich so kennengelernt hat.
«Wir haben uns auf einer Dating-Plattform kennengelernt» – ein No-Go?
Geschichten wie diese von Isabel und Raphi gibt es mehr als man denkt, nur haben viele nicht den Mut so offen darüber zu sprechen. Woran liegt das? Warum ist es den Meisten so oft peinlich?
Als solche Plattformen aufkamen, dachte man, dass sie nur für jene sind, die es im ‹echten› Leben nicht im Griff haben.
Mein Arbeitskollege Jan hat seinen Freund auf Grindr kennengelernt und sieht darin zwei Probleme: «Als solche Plattformen aufkamen, dachte man, dass sie nur für jene sind, die es im ‹echten› Leben nicht im Griff haben. Und sind wir mal ehrlich: Es macht die ganze Idee von Romantik kaputt. Zu sagen, ich habe jemanden online kennengelernt, klingt halt nicht so schön, wie wenn man sagen würde, man hätte jemanden beispielsweise im Kino angesprochen.»
Dem kann auch Isabel beipflichten: «Am Anfang war mir das schon ein bisschen unangenehm, darüber zu sprechen. Man möchte nicht, dass andere denken, dass man es nötig hat, jemanden online kennenzulernen.» Deswegen erzählen die beiden zu Beginn auch oft eine erfundene, ziemlich kitschige Geschichte. Sie hätten im Supermarkt beide nach dem letzten Apfel gegriffen, Isabel bekam den Apfel und Raphi dafür ihre Handynummer.
Wäre es romantischer zu sagen, dass man sich stockbesoffen im Club kennenlernte?
Heute sehen sie darin aber überhaupt kein Problem mehr und Raphi bringt es ziemlich sarkatisch, aber umso wahrer auf den Punkt: «Seien wir mal ehrlich, wäre es romantischer zu sagen, dass man sich stockbesoffen im Club kennenlernte?» Wohl nicht! Und wenn wir das Ganze mal realistisch betrachten, ist es eine Tatsache, dass sich ganz viele online kennen und lieben lernen. Daran gibt es auch überhaupt nichts auszusetzen. Gäbe es solche Plattformen nicht, wäre der kleine Sohnemann der beiden wohl nie auf die Welt gekommen, wie auch viele weitere Tinder-Kinder nicht. Das Wichtigste bleibt doch, dass es solche Happy-Ends noch gibt und jeder den passenden Deckel – wenn man denn möchte – finden kann, egal auf welche Art und Weise.
Du möchtest Online-Dating ausprobieren?
Dann schau dir diesen Artikel an. Sarah Schmidlin, die ebenfalls die Sendung «Kompass» moderiert, hat diverse Apps für dich getestet.