Am 12. August 2020 dürfte der Event- und Musikbranche ein Stein vom Herzen gefallen sein: Nach langer Zeit der Ungewissheit verkündete der Bundesrat, Grossveranstaltungen ab dem 1. Oktober 2020 wieder möglich zu machen. Natürlich nur mit funktionierendem Schutzkonzept und einheitlichen Richtlinien aller Kantone. Für einige ein überraschender Entscheid, der viele Fragen aufwirft: Was heisst das konkret für Veranstalter*innen? Ist die Bevölkerung schon bereit für grössere Menschenansammlungen? Und wird es je wieder sein wie vor Corona? In der Hintergrundsendung «Kompass» (oben) fühlen wir einem Musiker, einem Festival und einer Eventlocation auf den Puls und schauen gemeinsam nach vorne.
Volles Programm – leere Halle?
Für Philipp Musshafen war es kein einfacher Start: Im Januar 2020 übernimmt er die Leitung des Hallenstadions Zürich und macht sich auf ein Rekordjahr mit prall gefülltem Veranstaltungskalender gefasst. Nur einen Monat später der schmerzhafte Wendepunkt: Nach etlichen Absagen und Verschiebungen plant er mit seinem Team nun das erste Konzert Ende Oktober mit strengem Schutzkonzept.
Ich glaube an die Magie von grossen Events und den Konzertvirus der Menschen, der im Vergleich zu Corona etwas Gutes ist.
Diese sieht folgendermassen aus: maximal 5'000 statt 15'000 Zuschauer*innen, alle sitzend. Entweder wird das Publikum in 300er-Sektoren aufgeteilt oder pro Kaufgruppe zwei Stühle Abstand gelassen. Zusätzlich herrscht in allen öffentlichen Bereichen mit Ausnahme des Saales Maskenpflicht, das kulinarische Angebot wird verkleinert und es gibt keine Pause.
Eine etwas grössere Knacknuss dürften die Auftritte internationaler Superstars werden. Hier rechnet Philipp Musshafen frühestens ab Frühling 2021 mit ersten Shows und prophezeit, dass die hohen Gagen aufgrund der kleineren Kapazität zwingend zurückgehen werden. Das sei aber gar nicht so schlecht, wenn man an die Gagenexplosionen der letzten Jahre denke.
Maskenpflicht am Festival?
Wie schon in den vergangenen Jahren wäre auch diese Ausgabe des Openairs Frauenfeld ausverkauft gewesen. Mit rund 185'000 Besucher*innen ist es Europas grösstes Hip-Hop-Festival und bietet ein hochkarätiges Line-Up aus dem In- und Ausland. Aufgrund der Absage liegen die Einbussen der Organisatoren momentan bei rund 3 Millionen Franken. Um nicht noch mehr zu verlieren, werden die Tickets nicht zurückerstattet, sondern automatisch in einen Pass für die nächste Ausgabe umgewandelt.
Ich halte eine Maskenpflicht an Festivals für denkbar und sehe kein Problem darin. Openairs im Ausland haben gezeigt, dass da viel Cooles und Modisches möglich ist.
Momentan steht Joachim Bodmer mit diversen anderen Veranstalter*innen in Kontakt und erarbeitet verschiedene Sicherheitskonzepte. Wie diese konkret aussehen, steht zum jetzigen Zeitpunkt noch in den Sternen. Eine Maskenpflicht auf dem Gelände oder Unterteilung in Sektoren hält er aber durchaus für realistisch.
Ebenfalls unklar ist, was mit den amerikanischen Acts, die einen Grossteil des Programms ausmachen, passiert. Hier hofft er, dass sich die Lage bis im nächsten Sommer beruhigt – ansonsten müsse man umdenken. Sein Ziel sei es, 2021 ein möglichst ähnliches Line-Up auf die Beine zu stellen. Ausserdem werden erstmals 4 statt 3 Festivaltage stattfinden, um sich für die Treue der Openair-Frauenfeld-Fans zu bedanken und den diesjährigen Corona-Schaden so gut es geht auszugleichen.
Aufschwung von kleinen Clubs?
Der Berner Rapmusiker Baze steht seit über 20 Jahren auf der Bühne und hätte auch dieses Jahr einiges vorgehabt: eine grosse Tour mit Chlyklass , zahlreiche Openair-Auftritte im Sommer sowie eine ausverkaufte Plattentaufe. Ganz so ungelegen ist ihm der Lockdown trotzdem nicht gekommen. Zu Beginn des Jahres ist der 40-Jährige erneut Vater geworden, ausserdem hat ihm die kreative Auszeit ziemlich gut getan. Seit August spielt Baze wieder kleinere Konzerte mit dem Pianisten Fabian Müller und tourt durch die Schweiz.
Vielleicht erfordert es tatsächlich ein Umdenken: kleiner, lokaler und unterstützender. Wenn wir mehr Wert darauf legen, ist das eine gute Lehre aus dem Ganzen heraus.
Durch die Krise erhofft er sich, dass es zu einer Aufwertung der Livemusik kommt und das Publikum wieder bewusster zuhört. Ausserdem wünscht er sich, dass kleine Lokale und Clubs mehr unterstützt und besucht werden. Denn eine Zukunft, die von einem Virus dominiert und eingeschränkt werde, kann und möchte er sich nicht vorstellen – egal ob auf, neben oder vor der Bühne.
Glaubst du, dass Konzerte und Festivals künftig wieder so sein werden wie vorher? Würdest du hingehen oder nicht? Schick uns deine Meinung via Whatsapp-Sprachnachricht an 079 909 13 33 oder schreibe unten einen Kommentar.