Kenadid, Amira, Mohamed, Savas, Umu und Milaim fasten zurzeit – alle, weil es eine der fünf Säulen des Islam ist. Für Savas ist es aber auch Erziehung: «Ich bin in diesem Umfeld gross geworden, alle fasteten in meiner Kindheit.» Für die 19-jährige Amira ist das Fasten erstens ein religiöser Akt, andererseits aber auch ein sehr persönlicher. Sie hat es ihrem Bruder versprochen, der vor viereinhalb Jahren verstorben ist. «Er sagte immer, dass Ramadan das Wichtigste ist und seither mache ich das auch, um ihm Würde und Ehre zu geben.»
Fasten in der Isolation
In den meisten nicht-islamischen Ländern kann man in der Öffentlichkeit Essen und Trinken, das ist zum Beispiel in Saudi-Arabien oder in den Vereinigten Arabischen Emiraten ganz anders. Restaurants werden mit Vorhängen versteckt, in der Schule gibt es Essensräume und im Auto darf man keine Flüssigkeit zu sich nehmen – aus Respekt für Muslim*innen, die fasten.
Könnte die Corona-Zeit in der Isolation das Fasten also vereinfachen? Mohamed findet schon: Er konnte sich dieses Jahr eine Routine erarbeiten, die nur im Homeoffice möglich ist. Sport, Freizeit und Studieren sind 2020 im Einklang mit seinen Zielen für Ramadan. Auch für die 29-jährige Umu ist es ganz klar einfacher in der Isolation zu fasten, als wenn sie am Arbeiten ist. Doch für Savas ist es definitiv nicht leichter geworden, «obwohl Ramadan per se ein monotoner Monat ist, hat sich dieses Gefühl vervielfacht dieses Jahr – ich verbringe die ganze Zeit in denselben vier Wänden.»
Die Zeit der Gemeinschaft
Durch das Versammlungsverbot stehen viele Muslim*innen in der Schweiz vor einer Herausforderung. Mohamed (19) erklärt: «In einer Gemeinschaft zu beten ist im Islam grundsätzlich besser als allein.» Zudem erläutert Milaim: «Ich vermisse die Spiritualität, die Atmosphäre und das Flair in der Moschee. Aber auch die Möglichkeit, das Fasten mit Kollegen zu brechen oder eine Grillade zu organisieren.» Bekannte und erweiterte Familienmitglieder kann man dieses Jahr nicht spontan zum nächtlichen Iftar (das Fastenbrechen) treffen und finden nur im kleinsten Kreis statt.
Das grosse Fest im Anschluss, Eid al-Fitr/Bajram
Das Fest des Fastenbrechens in den ersten drei Tagen nach Ramadan, von der Bedeutung her vergleichbar mit dem christlichen Weihnachten, ist dieses Jahr bei den Muslim*innen am stärksten betroffen von der Coronakrise. Das grosse gemeinschaftliche Gebet, das Treffen von verschiedenen Freundeskreisen, Bekannten und erweiterten Familienmitgliedern, ist quasi abgesagt. Schade findet das nicht nur Kenadid (38), sondern auch Milaim. «Es frustriert und es herrscht einen Unmut in der Familie, weil das Fest nicht wie gewohnt stattfinden kann». Video-Calls werden dieses Jahr sicherlich eine grössere Rolle spielen und Umu ist sich bewusst, dass sie so das Beste aus der Situation machen kann, «weil ändern können wir es ja nicht.»