Eine klare Diagnose, ein eindeutiges Krankheitsbild fehlen. Verschiedene Ärzte und Psychologen kamen immer wieder zu anderen Schlüssen, ihre Symptome passten in keine medizinische Schublade.
Die Emotionen – sowohl ihre eigenen wie auch die ihrer Mitmenschen – sind für Flavia eine grosser Herausforderung. Das zeigte sich bereits im Kindesalter.
Ein bisschen ‹Täubele› ist ja normal. Bei mir waren diese Anfälle aber so schlimm, dass ich hyperventiliert habe, teilweise bin ich sogar ohnmächtig geworden.
Gerade mit solchen Situationen waren auch Flavias Eltern oft überfordert. Vor allem zu ihrer Mutter hatte sie kein einfaches Verhältnis. Es fehlt scheinbar die Empathie zwischen ihnen.
Wir haben Kontakt zueinander, aber wir haben keine wirkliche Beziehung. Ich empfinde ihr gegenüber keine Liebe, wie ich es zum Beispiel bei einem Partner oder bei meinen Freunden spüre. Es fühlt sich einfach komisch an.
«Ich wollte den ganzen Tag im Bett liegen»
Die Jahre im Schulzimmer waren für Flavia nicht einfach. Einerseits war sie Opfer unzähliger Mobbingattacken durch ihre Mitschüler, musste regelmässig beleidigende Sprüche und Radiergummis an den Kopf ertragen.
Andererseits fiel es Flavia schwer, sich zu fokussieren. Auf Anraten ihrer Lehrerin liess sie sich vom Arzt auf ADHS untersuchen, nahm im Anschluss verschiedenste Medikamente – bis sie diese nach einiger Zeit wieder absetzte.
Eine Diagnose, die besser zu Flavias Ängsten und Problemen passt, ist die «Hypersensibilität». Sie reagiert stark auf die Gefühle anderer Menschen, auf die Stimmung in einer Gruppe oder in einem Raum.
Wenn Leute miteinander streiten, reagiere ich wie ein kleines Kind. Ich halte mir die Ohren zu und würde am liebsten schreien: ‹Hört auf! Vertragt euch wieder!›
Doch auch mit ihren eigenen Gefühlen hatte Flavia zu kämpfen. Probleme im Geschäft und die Trennung von ihrem langjährigen Freund warfen sie so sehr aus der Bahn, dass sie in eine depressive Phase schlitterte. Eine Zeit, in der sie sich täglich überwinden musste, das Bett zu verlassen – eine Zeit, die sie glücklicherweise hinter sich lassen konnte.
Mut für ihre Träume
Heute steht Flavia anfangs 20 an der Startlinie ins Erwachsenenleben. Bereit dafür fühlt sie sich aber noch nicht.
Ich habe nicht das Gefühl, dass ich erwachsen bin. Vielleicht weil man immer hört, dass dieser emotionale Zustand ein Ding der Pubertät ist.
Flavia träumt davon, als Musikerin und Songschreiberin ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Doch bevor sie den Mut findet, um diesen Schritt gehen zu können, muss sie zuerst lernen, sich selber anzunehmen und ihre Ängste zu überwinden.
Bis jetzt überwiegt noch immer die innere Stimme, die Angst. Immer dann, wenn ich wieder an mich glaube. Doch vielleicht schaffe ich es, diese irgendwann zu überlisten.